Faltblatt zur Ausstellung Seite 2
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Faltblatt zur Ausstellung Seite 2
Zur Geschichte der Photographie in Jena Der Beginn des Industriezeitalters wird für die thüringische Universitätsstadt Jena mit der Einrichtung der mechanischen Werkstätte von Carl Zeiss im Jahr 1846 begründet. Mit dem schnellen Aufstieg der Firma zu einem weltmarktführenden Optikunternehmen ging ein gleichzeitiger infrastruktureller Modernisierungsschub der Stadt einher. Das Stadtbild wandelte sich von einem – seit drei Jahrhunderten immer noch weitgehend in den mittelalterlichen Grenzen stagnierendem Ort – zu einer auch räumlich expandierenden großen Stadt. Das Abbild Jenas verändert sich nun rasant. Bis in das zweite Drittel des 19. Jahrhunderts war es überwiegend durch Druckgrafiken übermittelt worden, die in großer Anzahl als kleinformatige Stammbuchblätter von einheimischen Künstlern gefertigt waren und die meist die Studenten als Erinnerungstücke gekauft hatten. Doch im Jahr 1853 begann eine neue Ära – der erste Jenaer Photograph Carl Schenk, der seine Dienste in einem eigenen Atelier anbot, installierte damit auch das neue, moderne Bildmedium in Jena. Mit den seit dieser Zeit massenhaft entstandenen Photographien werden seit fast 150 Jahren die vielfältigsten Facetten der Entwicklung der Stadt im Bild festgehalten. Carl Schenk (1813–1874) eröffnete am 7. Juni 1853 Hinter der Rinne Nr. 154 ein „Atelier für unveränderliche Lichtbilder auf Papier“. Der gelernte Maler und Kolorist suchte mit dem neuen Medium der Photographie auch neue Kundenkreise zu gewinnen. Wie alle frühen Photographen versprach er sich dies durch Anfertigung von Porträts, die er preisgünstiger als die gemalten oder lithographierten Bilder anfertigen konnte, aber auch durch Illustrierung wissenschaftlicher Werke für den Bedarf der Universität. Zu den, aus seinem Atelier überlieferten frühen Porträts zählen die der Universitätsprofessoren, aber auch die von Jenaer Bürgern, wie das Doppelporträt von Hanny Grimm und ihrem Sohn Eduard, das als das älteste in Jena überlieferte Photo eines Jenaer Photographen anzusehen ist. Hanni Grimm mit Sohn Eduard, Carl Schenk, um 1852 Der seit 1858 in Jena ansässige Photograph Johann Friedrich Wilhelm Julius Müller erregte im Jahr 1869 mit einem Situationsbild sogar behördliches Aufsehen, als er eine Gruppe Studenten, die eine Karzerstrafe verbüßen mußten, photographierte und diese Aufnahme in einem Schaukasten an seinem Atelier in der Kollegiengasse 137 öffentlich ausstellte und zum Verkauf anbot. Zu den weiteren frühen Jenaer Photographen gehörte Adolf Schwenker, von dem jedoch keine Aufnahmen bekannt sind. Er ist auch nur für die Jahre 1862 und 1863 als Photograph in der Saalgasse 328 bei Bäckermeister Schilling verzeichnet. Der einzige in seiner Zeit über die lokalen Grenzen Jenas bedeutend gewordene Photograph ist Julius Schnauss (1827-1895), der für seine Forschungen in der Photochemie und der Errichtung des ersten Lehrinstitutes für Photographen in Deutschland bleibende Verdienste erworben hat. Von 1855 bis 1867 läßt er sich mit einem Atelier für Porträtphotographie am Eichplatz nachweisen. Schnauss bildete über 100 Schüler in seinem „Photographisch-chemischen Institut“ aus – sowohl in Jena als auch extern über brieflichen Unterricht. In der Erforschung der Photochemie hat er als Erster die Grundlage für eine wissenschaftliche Erklärung der photographischen Prozesse beim Entwickeln des photographischen Bildes gegeben. Schnauss publizierte Artikel in Fachzeitschriften, gründete mit seinem Schüler Paul Liesegang die Zeitschrift „Photographisches Archiv. Illustrierte Berichte über den Fortschritt der Photographie“ und war Initiator des 1858 konstituierten „Allgemeinen Deutschen Photographenvereins“, dessen Sitz in Jena war. Nach einer Anzeige im Jenaer Adreßbuch von 1879 hat er sich später auf Reproduktionsphotographie, Lichtdruck und Photolithographie spezialisiert. Von Julius Schnauss sind Aufnahmen der beiden ältesten Serien Jenaer Baumotive erhalten, die sich auf die Jahre zwischen 1858 und 1865 datieren lassen – die Gesamtansicht der Stadt von Südwesten, das Rathaus, das Griesbachsche Auditorium, das neuerrichtete Denkmal des Hanfried sowie der Burgkeller. Allen Motiven ist gemeinsam, daß sie sich als Erinnerungsbilder eigneten und sicher Absatz bei Studenten und Besuchern der Jubiläumsfeiern fanden, die in diesen Jahren begangen wurden. Jena von Osten Julius Schnauss, um 1860 Drei weitere Photographen führten fast über ein halbes Jahrhundert ein Familienunternehmen. Carl Bräunlich (1823–1890) erscheint 1865 im Adreßbuch der Stadt Jena als Photograph mit einem Geschäft Hinter der Rinne 3 – nahe des Ateliers von Carl Schenk. Er spezialisierte sich auf „Visitenkartenporträts“ – Kontaktabzüge, mit einer Kamera für Glasplatten in den Maßen von ca. 5,7 cm x 8,5 cm hergestellt, die als der erste photographische „Massenartikel“ im Visitenkartenporträt 19. Jahrhundert gelten. Die Abzüge auf Emil Tesch, 1912 Albuminpapier zog man auf vorgestanzte kleine Pappen auf. Diese sind keine künstlerischen, sondern stereotype Aufnahmen, die einen Erwerb zu erschwinglichen Preisen möglich machten. Meist als Geschenke für Freunde, Verlobte bzw. Verwandte in Auftrag gegeben, dienten sie auch der „bleibenden“ Erinnerung. Von 1879 bis 1893 residierte der gleichnamige Sohn, Carl Bräunlich (1850–1900), mit dem Photoatelier am Teichgraben 5. eines Ihm verdanken wir eine repräsentative Serie Rückseite Visitenkartenporträts mit 18 großformatigen Gebäudeaufnahmen aus dem Jahr 1879, die er im Auftrag von Jenaer Bürgern für das Jubiläum der Silbernen Hochzeit des Oberbürgermeisters Robert Blochmann (1823–1902) anfertigte. Das Geschäft am Teichgraben 5 von Bräunlich übernahm spätestens 1900 der Schwiegersohn Emil Tesch (1860–1931), der es bis zu seinem Tod führte. Von 1879 bis 1949 prägte eine weitere Familiendynastie die Entwicklung der Jenaer Photographiegeschichte. Bernhard (1842–1899), Alfred (1882–1946) und dessen Ehefrau Charlotte Bischoff (1889–1951) erwarben sich Anerkennung durch Atelierphotographien, vor allem aber durch die zahlreichen Aufnahmen von Straßen, Plätzen und Landschaften. Alfred Bischoff dokumentierte für das Stadtmuseum den Zustand des Jenaer Schlosses im Jahr 1905, kurz bevor dessen Gebäude abgerissen wurden. Die von ihm bis heute am häufigsten tradierten Aufnahmen wurden u. a. für Postkartenserien und Bildbände im Kupfertiefdruck ausgeführt. Bernhard und Alfred Bischoff kann man auch als die ersten Jenaer „Pressephotographen“ bezeichnen, da sie meist zur Stelle waren, wenn sich Besonderes ereignete – sei es bei Besuchen der Großherzöge, bei Jubiläumsfeiern von Vereinen mit ihren Umzügen, aber auch Propagandaaufnahmen im Jenaer Kriegslazarett in der Nordschule 1915 fielen in ihr Fach.