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Inhalt
Vorwort .................................................................................................................. 5
Veranstaltungsverzeichnis des Wissenschaftlichen Zentrums der Polnischen
Akademie der Wissenschaften in Wien in den Jahren 2007-2008 .......................... 7
NIKOLAUS KOPERNIKUS ............................................................................. 13
Krzysztof Mikulski:
Von seinem Geburtshaus bis zu seiner Grabstätte –
Neueste Forschungserkenntnisse über das Leben von Nikolaus Kopernikus ....... 15
Anna Ziemlewska:
Das Nikolaus Kopernikus-Haus in Thorn ............................................................ 23
POLNISCH-ÖSTERREICHISCHE GESCHICHTE .................................... 27
Bogusław Dybaś:
Die Schlacht bei Wien (1683) –
Überlegungen zur Natur der Erinnerung sowie des kollektiven Gedächtnisses... 29
Adolf Juzwenko:
Die Nationalstiftung von Józef Maksymilian Graf Ossoliński und Henryk Fürst
Lubomirski ............................................................................................................ 35
Isabel Röskau-Rydel:
Von einer staatstragenden Nation zur unbedeutenden Minderheit - Deutsche in
Galizien (1772-1918) ............................................................................................ 45
Barbara Vecer:
Das erfüllte Leben des Geologen Gejza Bukowski von Stolzenburg (1858 – 1937)
Forschungsreisender auf zwei Kontinenten .......................................................... 65
II. WELTKRIEG – GEMEINSAME ODER GETRENNTE ERINNERUNG 85
Adam Zieliński:
Über Henryk Sławik, den beinahe vergessenen Helden des polnischen Volkes.... 87
Feliks Tych:
Die wechselhafte Rezeptionsgeschichte von Henryk Sławik, dem polnischen
Wallenberg ............................................................................................................ 91
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INHALT
Szita Szabolcs:
Erinnerungen an Henryk Sławik ......................................................................... 101
Andrzej Kola:
Archäologie des Verbrechens. Das archäologische Know-how im Dienste der
Aufklärung von Geheimnissen der jüngsten Vergangenheit (am Beispiel exhumierter
Opfer des Stalinismus aus Massengräbern von Charkow und Kiew) ................... 107
LITERATUR .....................................................................................................117
Jan Lucjan Rydel:
Über die Realien im Drama „Wesele“ von Stanisław Wyspiański ......................119
PERSPEKTIVEN IN DEN NATURWISSENSCHAFTEN .......................... 128
Andrzej Górski, Jan Borysowski:
Bakteriophagen: quo vaditis? ............................................................................. 131
FORSCHUNGSPROJEKTE ........................................................................... 143
Waldemar Bukowski:
Die Handschriftliche Topographische Karte des Königreiches Galizien und
Lodomerien - die so genannte Miegkarte - der Jahre 1775 – 1783 in den
Sammlungen des Kriegsarchivs in Wien sowie das Projekt ihrer Herausgabe .. 145
Jerzy Gaul:
Polonica im Parlamentsarchiv Wien................................................................... 157
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Vorwort
Der vorliegende Band ist der erste Band einer neuen Reihe - das Jahrbuch des Wissenschaftlichen Zentrums der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Wien -, das
beginnend mit dem Jahrgang 2007/2008 jährlich erscheinen wird.
Die wissenschaftliche Forschung in Polen, ihre Erkenntnisse und Leistungen, der
wissenschaftlichen Community in Österreich näher zu bringen, ist eines der Hauptziele
des Wissenschaftlichen Zentrums der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Wien.
Daher ist es den Herausgebern eine große Freude, auf diese Weise eine Auswahl der Vorträge, die am Wissenschaftlichen Zentrum der Polnischen Akademie der Wissenschaften
in Wien gehalten wurden, einem breiteren Leserkreis zugänglich zu machen. Der Band
vereint dabei Beiträge aus sehr unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen. Die
Leserinnen und Leser haben auf diese Weise die Möglichkeit, nicht nur einen Streifzug
durch die Welt der Wissenschaft zu unternehmen, sondern auch die Tätigkeit des Wissenschaftlichen Zentrums der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Wien besser
kennen zu lernen.
Die Vielfalt der Beiträge weisen eine Gemeinsamkeit auf: sie wurden entweder von
WissenschaftlerInnen polnischer Herkunft verfasst oder sie sind Themen gewidmet, die
mit Polen verbunden sind oder sie vereinen - last but not least – beide Gemeinsamkeiten,
wie es bei der Mehrheit der Beiträge dieses Bandes der Fall ist.
Am Beginn des Bandes befindet sich ein Verzeichnis sämtlicher Veranstaltungen, die
in der Zeit von September 2007 bis Dezember 2008 im Wissenschaftlichen Zentrum der
Polnischen Akademie der Wissenschaften stattgefunden haben.
Der erste Themenblock ist dem großen Astronomen und Gelehrten Nikolaus Kopernikus gewidmet. Der Beitrag von Krzysztof Mikulski setzt sich mit neuen Forschungserkenntnissen auseinander, der Beitrag von Anna Ziemlewska ist dem Nikolaus Kopernikus-Museum in Thorn (poln.: Toruń) gewidmet.
Die zweite Gruppe von Texten vereint unterschiedliche Themen aus der polnischösterreichischen Geschichte. Der Beitrag von Bogusław Dybaś ist der 325. Wiederkehr
des Entsatzes von Wien gewidmet und setzt sich mit dem Phänomen der kollektiven
Erinnerung auseinander. Eine der verdienstvollsten Institutionen Polens, das Ossolineum in Wrocław, die eine der größten und bedeutendsten Bibliotheken in Polen ist, stellt
dessen Direktor Adolf Juzwenko vor. Isabel Röskau-Rydel analysiert in ihrem Beitrag
die Geschichte der Deutschen in Galizien im Spannungsfeld zwischen Integration und
Abgrenzung (1772-1918). Einem biographischen Thema ist der Beitrag der Geologin
Barbara Vecer gewidmet, sie hat Leben und Werk des polnisch-österreichischen Geologen Gejza Bukowski von Stolzenburg erforscht. Dieser hat sich um die Erforschung des
südosteuropäischen Raums besonders verdient gemacht.
Im Rahmen des Themenblocks „II. Weltkrieg – gemeinsame oder getrennte Erinnerung“ sind gleich drei Beiträge Henryk Sławik gewidmet, der als der polnische Wallenberg bezeichnet wird. Nach Angaben von Yad Vashem rettete Henryk Sławik in Ungarn
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VORWORT
in den Jahren 1940 - 1944 mehr als 5000 Juden, nach Angaben von József Antall sen.,
dem Bevollmächtigten der Regierung des Königreichs Ungarn zur Betreuung von Kriegsflüchtlingen, waren es etwa sogar 14 000. Die Beiträge von Adam Zieliński, Feliks Tych
und Szita Szabolcs sind diesem großen Polen gewidmet. Andrzej Kola wiederum fasst in
seinem Beitrag die Ergebnisse seiner archäologischen Forschungen am Beispiel exhumierter Opfer des Stalinismus aus Massengräbern von Charkow und Kiew zusammen.
Der nächste Teil ist der Literatur gewidmet. Einen Klassiker der polnischen Literatur
bringt Jan Lucjan Rydel seinen Lesern näher. In seinem Beitrag erläutert er die Entstehungsgeschichte des Dramas „Wesele“ (Hochzeit) von Stanisław Wyspiański. Nicht nur
als Historiker ist Rydel mit dieser Thematik vertraut, als Enkel des realen Vorbilds von
einem der Hauptprotagonisten des Dramas „Wesele“, des Bräutigams, ist er auch biographisch mit der Entstehungsgeschichte und dem Inhalt des Dramas, das als polnisches
Nationaldrama gilt, verbunden.
Auch die Naturwissenschaften sind in diesem Band mit einem Beitrag vertreten. Bakteriophagen, von der medizinischen Forschung bedauerlicherweise zu wenig beachtet,
stellen eine bedeutende Alternative zur Antibiotikatherapie dar, die angesichts der Zunahme antibiotikaresistenter Bakterien von großer Bedeutung sein können. Andrzej Górski
und Jan Borysowski stellen in ihrem Artikel die Erforschung, das therapeutische Anwendungsspektrum der Bakteriophagen sowie bereits erreichte therapeutische Erfolge vor.
Im ersten Band des Jahrbuches werden auch zwei im Rahmen der Tätigkeit des
Wissenschaftlichen Zentrums der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Wien
durchgeführte wissenschaftliche Projekte präsentiert. Als erstes wird das Projekt der
Herausgabe der so genannten Miegkarte von Waldemar Bukowski besprochen. Die
Miegkarte ist ein Teil der Josephinischen Landesaufnahme aus der zweiten Hälfte des
18. Jahrhunderts, die für die im Zuge der ersten Teilung (1772) erworbenen Gebiete
Polens (das sog. Königreich Galizien und Lodomerien) erstellt wurde. Diese Karte wird
im Kriegsarchiv (Österreichisches Staatsarchiv) in Wien aufbewahrt. Jerzy Gaul wiederum fasst in seinem Beitrag die Ergebnisse seines Forschungsprojekts über Polonica im
Parlamentsarchiv in Wien zusammen. Dieses Projekt stellt die Fortsetzung der früheren
Aktivitäten des Autors im Bereich der Registrierung der Polonica in anderen österreichischen Archiven dar.
Die Herausgeber hoffen, Ihnen mit dem vorliegenden Band einen Einblick in die
Tätigkeit des Zentrums geben zu können und wünschen Ihnen interessante Lektürestunden. Wir ersuchen höflichst um Nachsicht, dass auf Grund der ganz unterschiedlichen in
diesem Band vertretenen Wissenschaftsgebiete sowie auf Grund der Verschiedenheit der
jeweiligen Beitragsart die Angaben des wissenschaftlichen Apparats weitgehend in der
von den AutorInnen vorgelegten Form belassen wurde.
Weitere Informationen über das Wissenschaftliche Zentrum der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Wien können Sie auch auf der Internetseite des Zentrums
www.viennapan.org finden.
Das Redaktionskomitee
Veranstaltungsverzeichnis des Wissenschaftlichen
Zentrums der Polnischen Akademie der Wissenschaften
2007–2008
Es gehört zu den Hauptzielen des seit dem Jahr 1991 bestehenden Wissenschaftlichen Zentrums der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Wien, die wissenschaftliche Forschung in Polen, ihre vielfältigen Richtungen, besondere Erkenntnisse
und Errungenschaften - und dies in einem sehr umfassend verstandenen Sinn - bekannt
zu machen, das Interesse daran zu fördern, bereits bestehende österreichisch-polnische
wissen-schaftliche Kontakte zu intensivieren sowie die Entstehung von neuen wissenschaftliche Kooperationen anzuregen und zu unterstützen.
Im Folgenden wird in chronologischer Reihenfolge, gegliedert nach Veranstaltungstyp, eine Übersicht über die Aktivitäten der Jahre 2007-2008 gegeben. Soweit nicht
anders angegeben fanden alle Veranstaltungen im Wissenschaftlichen Zentrum der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Wien statt.
I. Vorträge:
Mgr Alina Mazur:
Musikinstrumente im 16. und 17. Jhdt.
18. September 2007
Prof. Dr. Jerzy Gaul:
Präsentation des Projekts: Polonica in österreichischen Archiven
25. September 2007
Diesen Vortrag finden Sie in der vorliegenden Publikation.
DI Barbara Vecer:
Das erfüllte Leben des Geologen Gejza Bukowski
23. Oktober 2007
Diesen Vortrag finden Sie in der vorliegenden Publikation
Dr. Adolf Juzwenko:
Die Nationalstiftung von Józef Maksymilian Graf Ossoliński und Henryk Fürst Lubomirski
5. November 2007
Diesen Vortrag finden Sie in der vorliegenden Publikation
Prof. Andrzej Górski, Vizepräsident der Polnischen Akademie der Wissenschaften in
Wien: Bakteriophagi. Quo vaditis?
14. November 2007
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VERANSTALTUNGSVERZEICHNIS
Diesen Vortrag, der als Special Lecture im Rahmen der Vorlesungsreihe „State of the
Art Lectures Oncology“ an der Medizinischen Universität Wien gehalten wurde, finden
Sie in der vorliegenden Publikation.
Prof. Isabel Röskau-Rydel:
Deutsche in Galizien - zwischen Integration und Abgrenzung (1772 - 1918)
15. Jänner 2008
Diesen Vortrag finden Sie in der vorliegenden Publikation
Prof. Henryk Olszewski:
Die goldene Freiheit der Polen und die Auseinandersetzungen über ihr Erbe im 19. und
20. Jhdt.
17. Jänner 2008
Dr. Magdalena Żelasko:
Fröhlich auf dem Weg zu Gott.
Vergänglichkeit und Älterwerden als wesentliche Motive im Werk Jan Twardowskis
(1915-2006).
29. Jänner 2008
Prof. Krzysztof Mikulski:
Von seinem Geburtshaus bis zu seiner Grabstätte –
Neueste Forschungserkenntnisse über das Leben von Nikolaus Kopernikus
Dr. Anna Ziemlewska:
Das Nikolaus Kopernikus-Haus in Toruń
Diese beiden Vorträge finden Sie in der vorliegenden Publikation
4. März 2008
Prof. Andrzej Kola:
Archäologie des Verbrechens.
Das archäologische Know-how im Dienste der Aufklärung von Geheimnissen der jüngsten Vergangenheit (am Beispiel exhumierter Opfer des Stalinismus aus Massengräbern
von Charkow und Kiew)
11. März 2008
Diesen Vortrag finden Sie in der vorliegenden Publikation
Dr. Ewa Cwanek-Florek:
Polnische Berühmtheiten im Spiegel der öffentlichen Erinnerung in Wien.
Die Rezeption polnischer Spuren in der Donaumetropole
8. April 2008
Dr. Katharina Weisswasser:
Die Polonistik an der Universität Wien
15. April 2008
VERANSTALTUNGSVERZEICHNIS
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Prof. Dr. Tomasz Szarota:
Britische Flugblätter im 2. Weltkrieg als Warnung vor Luftangriffen auf Deutschland
13. Mai 2008
Prof. Alexander Wolszczan, Entdecker des ersten extrasolaren Planetensystems
Children of the Universe
5. Juni 2008
Dieser Vortrag wurde im Festsaal der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
in Wien gehalten
Prof. Gertrud Pickhahn:
Ein Fenster zur Freiheit - Jazz in der Volksrepublik Polen
27. Juni 2008
Prof. Tomasz Dietl:
Magnetism in semiconductors
23. Oktober 2008
Dieser Vortrag wurde im Festsaal der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
in Wien gehalten.
Dr. Małgorzata Fronia-Stolarska
Der Anteil der Breslauer Juden am kulturellen und künstlerischen Leben der Stadt seit
ihrer Emanzipation bis zum Jahr 1933
17. November 2008
Dr. Claus Ascheron:
Wissenschaft und Kunst
10. Dezember 2008
II. Ausstellungen:
Die Polnische Mathematische Schule
Die Ausstellungseröffnung fand am 21. Oktober 2008 statt
Diese Ausstellung fand in der Aula der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
in Wien statt.
Buch- und Verlagsausstellung:
Das Polnische Wissenschaftliche Buch
25. - 30. November 2008
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VERANSTALTUNGSVERZEICHNIS
III. Symposien und Konferenzen:
International Symposium:
The Future of Europe.
Sustainable Development and Economic Growth?
12. – 13. September 2007
Zu dieser Konferenz erschien eine gesonderte Publikation:
Andrzej J. Nadolny, Thomas Schauer (ed.): The Future of Europe. Sustainable Development and Economic Growth? Proceedings of the International Symposium. – Wien:
Wissenschaftliches Zentrum der Polnischen Akademie der Wissenschaften (Reihe:
Conference Proceedings and Materials Vol. 7)
International Conference:
(Bio)Degradable Polymers from Renewable Resources
18. - 21. November 2007
Zu dieser Konferenz erschien eine gesonderte Publikation
Andrzej J. Nadolny (ed.): (Bio)degradable Polymers from renewable resources. Proceedings of the International Conference. – Wien: Wissenschaftliches Zentrum der
Polnischen Akademie der Wissenschaften (Reihe: Conference Proceedings and Materials Vol. 8)
Symposium:
Die Anatomie frühneuzeitlicher Imperien. Herrschaftsmanagement jenseits von Staat
und Nation: Institutionen, Personal und Techniken
7. - 8. Dezember 2007
Dieses Symposium fand im österreichischen Haus-, Hof- und Staatsarchiv statt.
Symposium:
Die Europäisierung der öffentlichen Verwaltung
8. - 9. Februar 2008
Eine gesondere Publikation ist in Vorbereitung
Konferenz:
Zwischen Galizien, Wien und Europa – zum literarischen Werk von Andrzej Kuśniewicz
24. - 25. April 2008
Hiezu ist ein gesonderter Tagungsband erschienen:
Alois Woldan (red.): Między Galicją, Wiedniem i Europą. Aspekty twórczości literackiej Andrzeja Kuśniewicza. – Wien: Wissenschaftliches Zentrum der Polnischen
Akademie der Wissenschaften in Wien 2008 (Reihe: Symposien und Seminare Bd. 5)
Ausstellung und wissenschaftliches Symposium:
Das Bild von Wrocław / Breslau im Laufe der Geschichte
18. - 19. Juni 2008
VERANSTALTUNGSVERZEICHNIS
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Diese Veranstaltung fand im Österreichischen Staatsarchiv sowie im Wissenschaftlichen Zentrum der Polnischen Akademie der Wissenschaften statt.
Hiezu ist ein gesonderter Tagungsband erschienen:
Jan Harasimowicz (Hrsg.): Das Bild von Wrocław/Breslau im Laufe der Geschichte.
– Wien: Wissenschaftliches Zentrum der Polnischen Akademie der Wissenschaften in
Wien 2008 (Reihe: Symposien und Seminare Bd. 6)
Symposium:
Polnisch-österreichische Kontakte sowie Militärbündnisse 1618 - 1918
12. - 13. September 2008
Diese Veranstaltung fand im Heeresgeschichtlichen Museum in Wien statt.
Hiezu ist ein gesonderter Tagungsband erschienen:
Heeresgeschichtliches Museum (Hrsg.): Polnisch-Österreichische Kontakte sowie Militärbündnisse 1618-1918. – Wien: Heeresgeschichtliches Museum Wien 2009
Internationales wissenschaftliches Symposium
anlässlich des 500. Geburtstages von Primus Truber:
Die Reformation in Mitteleuropa
15. - 17. Oktober 2008
Diese Veranstaltung fand im Theatersaal der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien, im Collegium Hungaricum sowie im Wissenschaftlichen Zentrum der
Polnischen Akademie der Wissenschaften in Wien statt.
Hiezu ist eine gesonderte Publikation in Vorbereitung
IV. Literarische Salons:
Poesieabend: Die Lyrik Zygmunt Brzezińskis
19. Februar 2008
Literatursalon: Präsentation zeitgenössischer außerhalb Polens lebender polnischer
Autoren
15. November 2008
V. Weitere Veranstaltungen:
Polnisches Theater aus Kanada: Maria Skłodowska-Curie
23.September 2007
Filmpräsentation und Podiumsdiskussion:
Henryk Sławik – der polnische Wallenberg
25. September 2007
Drei Vorträge, die die im Rahmen der Podiumsdiskussion geäußerten Thesen vertiefen,
finden Sie in diesem Band.
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VERANSTALTUNGSVERZEICHNIS
Konzert anlässlich der 125. Wiederkehr des Geburtstages von Karol Szymanowski
14. November 2007
Dieses Konzert fand in der Universität für Musik und Darstellende Kunst statt.
Feierliche Enthüllung einer Gedenktafel aus Anlass der 150. Wiederkehr des Geburtstags des polnisch-österreichischen Geologen Gejza Bukowski von Stolzenburg am
ehemaligen Wohnhaus des Geologen
14. April 2008
Feierliche Begehung der 63. Wiederkehr der Befreiung der Konzentrationslager Mauthausen, Gusen und Ebensee
17. Mai 2008
Konzentrationslager Mauthausen, Gusen und Ebensee
Internationaler Didaktik-Workshop für LehrerInnen der polnischen Sprache
31. Mai - 1. Juni 2008
Festliche Gedenkfeier: 325 Jahre Entsatz von Wien
15. September 2008
Diese Veranstaltung fand im Festsaal der Universität Wien statt.
Den im Rahmen dieser Festveranstaltung gehaltenen Vortrag von Prof.Bogusław Dybaś
finden Sie in dieser Publikation
Podiumsdiskussion: Das Jahr 1918 - Anfang und Ende:
Österreichische und polnische Geschichte im Vergleich
6. November 2008
VI. Forschungsprojekte
Die Handschriftliche Topographische Karte des Königreiches Galizien und Lodomerien
- die so genannte Miegkarte - der Jahre 1775 – 1783 in den Sammlungen des Kriegsarchivs in Wien sowie das Projekt ihrer Herausgabe (Waldemar Bukowski, Bogusław
Dybaś, Zdzisław Noga)
Polonica im österreichischen Parlamentsarchiv (Jerzy Gaul)
Nikolaus Kopernikus
Krzysztof Mikulski
Von seinem Geburtshaus bis zu seiner Grabstätte –
Neueste Forschungserkenntnisse über das Leben von
Nikolaus Kopernikus
Als in Thorn lebender Historiker nichts über Nikolaus Kopernikus zu schreiben – das
ist nicht möglich. Das wäre etwa so, als ob man, ist man in Krakau, den Wawel nicht besuchte. Über Kopernikus wurde bereits sehr viel geschrieben. Mit umso größerer Überraschung habe ich daher anlässlich meiner zehnjährigen Forschungstätigkeit über die
Sozialtopographie und die Gesellschaft Thorns in der Zeit des 15. – 16. Jhdt. entdeckt,
dass es zwar viele Hinweise bezüglich Wohnort und Familie des Astronomen gibt, die
aber bei genauerem Hinsehen nicht unser volles Vertrauen verdienen.
Beginnen wir, wie im Titel vorgesehen, mit seiner Geburt. In dieser Frage gibt es
einige gesicherte Erkenntnisse – Nikolaus Kopernikus wurde mit Sicherheit am 19. Februar 1473 in Thorn geboren. Seine Eltern waren der aus Krakau stammende Nikolaus
Kopernikus der Ältere sowie Barbara Watzenrode, Tochter eines Thorner Kaufmanns.
Hinsichtlich des Geburtsorts eines der berühmtesten Thorner besteht jedoch keine Einigkeit. Im Jahr 1955 gab Karol Górski, ein herausragender Kenner der Geschichte der
Pommerellen, sein erstes Werk zum Thema des Hauses der Familie von Nikolaus Kopernikus heraus. Seine Thesen wiederholte er in seinem Werk „Dom i środowisko rodzinne
Mikołaja Kopernika” (Das Haus und das familiäre Umfeld von Nikolaus Kopernikus).
Dieses Buch wurde dreimal wieder aufgelegt und ist zum letzten Mal im Jahr 1987 erschienen. Im Laufe der letzten fünfzig Jahre ist unser Wissen über das Haus der Familie
Kopernikus außerordentlich angewachsen. Das vielleicht einzige weiterhin gültige Element dieser älteren Forschungen blieb der Titel der Arbeit von Karol Górski.
Die Diskussion über den Standort des Hauses der Familie Nikolaus Kopernikus dauert bereits einige Jahrhunderte. Zunächst waren es die Einwohner von Thorn, die gewissermaßen auf Empfehlung von Napoleon Bonaparte, der die Stadt besuchte, versuchten,
dieses Haus an der Ecke der Ziegengasse (poln.: Kozia; gegenwärtig ul. Piekary) und der
Altthornischengasse (poln.:Starotoruńska; gegenwärtig ul. Kopernika) zu lokalisieren.
Ende des 19. Jhdt. löste ein Thorner Bürgermeister Georg Bender, der zugleich einer
der bedeutendsten Historiker war, der sich mit dieser Stadt beschäftigte, eine eigenartige
„Revolution” in der Forschung bezüglich des Standortes des Hauses von Kopernikus in
Thorn aus. Auf Grundlage einer gründlichen Quellenanalyse stellte dieser Forscher fest,
dass sich das Geburtshaus des berühmten Astronomen an der St. Annengasse (das ist die
Parzelle des Grundstückkatasters mit der Nr. 190, zurzeit ul. Kopernika 17) befand. Die
Ansicht Benders wurde nach anfänglichem Widerstand konservativ eingestellter Historiker sowohl von deutschen als auch von polnischen Historikern akzeptiert. Bis vor
kurzem hing über dem Eingang in dieses Haus die stolze Aufschrift „Kopernikushaus”.
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KRZYSZTOF MIKULSKI
Zu einer weiteren „Revolution” von etwas kleinerem Ausmaße führten die Forschungen von Tomasz Jasiński Ende der Siebzigerjahre des 20. Jhdt. Dieser Forscher, der
über eine größere Zahl von Steuerregistern aus der Mitte des 15. Jhdts. verfügte, korrigierte die Festlegung von G. Bender um ein Haus. T. Jasiński stellte fest, dass sich das
Nikolaus Kopernikus dem Älteren gehörende Haus (der Vater des Astronomen) in der
ul. Święta Anna (Katastralnummer 189, zurzeit ul. Kopernika 15) befand. Auch diese
Festlegung wurde nicht sofort akzeptiert - sie zog den ziemlich energischen Widerstand
des berühmten Historikers K. Górski nach sich, der weiterhin die These von G. Bender für richtig hielt. An dieser Stelle muss ausdrücklich betont werden, dass die Festlegungen von T. Jasiński hinsichtlich der Lokalisierung des uns interessierenden Hauses
nicht widerlegt werden konnten und als endgültig anerkannt werden können. Auch die
Ergebnisse meiner Forschungen über die Grundstückseigentümer in Thorn im 14. – 17.
Jhdt. deuten eindeutig darauf hin, dass das Grundstück Nr. 189 Eigentum von Lucas
Watzenrode war und später seinem Schwiegersohn Nikolaus Kopernikus dem Älteren
gehörte. Wenn auch die Lokalisierung an der St. Annengasse gelöst ist, als deren Folge
vor einigen Jahren die Aufschrift „Kopernikushaus” verlegt wurde (ich betrachte dies
als meinen persönlichen Erfolg), so ist das Problem des Geburtsorts des Astronomen
Nikolaus Kopernikus weiterhin ungelöst. Denn es gibt sehr gewichtige Umstände, die
eine Verbindung des Hauses an der St. Annengasse mit der Geburt des Astronomen ausschließen.
Bereits im Jahr 1973 stellte Antoni Czacharowski in einem Artikel, der dem Thorner
Kauf in der zweiten Hälfte des 16. Jhdt. gewidmet war, die These auf, dass die Familie
Kopernikus bereits seit dem Jahr 1468 hier gewohnt haben könnte und nicht erst, wie
von der älteren Literatur angenommen wird, seit etwa 1480, in einem der prächtigsten
Zinshäuser am Markt, das als „Glasurhaus“ (Parzelle Nr. 436) bezeichnet wurde. A. Czacharowski schrieb: „Wir müssen daran erinnern, dass in der mittelalterlichen Stadt die
Häuser am Markt ganz besonders attraktiv waren und die wohlhabendsten Patrizier darin
wohnten. [...] Über den Altstädter Markt verlief der Haupthandelsweg von der Weichsel
in Richtung Culmer Tor. Ein neben dieser Route gelegenen Haus war für den Käufer von
besonderem Wert. Daher muss man annehmen, dass Nikolaus Kopernikus nach dem Erwerb der Hälfte des Hauses am Altstädter Markt nicht allzu lange mit der Übersiedlung
zögerte.” Dieser Vorschlag war jedoch nur ein Randthema rund um die Diskussion des
Hauses der Familie Kopernikus, in der die Diskussion über die Lokalisierung des Bürgerhauses an der St. Annengasse dominierte.
Die älteren Forscher wussten hingegen nicht, dass das uns bereits früher interessierende Haus am Markt der Familie Watzenrode gehörte. In den Jahren 1394 und 1398 trat
Albrecht I. Watzenrode, der Urgroßvater des Astronomen, als dessen Besitzer auf, er trat
im Jahr 1398 gemeinsam mit seinem Sohn Caesar in einer Quelle in Erscheinung. Die
Watzenrodes traten bis zum Jahr 1424 als Eigentümer bzw. Miteigentümer auf. Davon
wusste Karol Górski nichts, er kannte nur die späteren Eigentümer des Hauses. Interessanterweise handelte es sich in der Zeit von 1424 bis 1468 bei dem Transaktionsobjekt
lediglich um eine Hälfte des Grundstücks. Schließlich kaufte Nikolaus Kopernikus se-
VON SEINEM GEBURTSHAUS BIS ZU SEINER GRABSTÄTTE
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nior im Jahr 1468 eine Haushälfte vom Danziger Kaufmann Jakub Michaelis. Die Frage,
die sich die Historiker früher stellten, lautete, wann Kopernikus die zweite Haushälfte
erwarb, denn ihrer Meinung nach bestätigt dies die Möglichkeit der Übersiedlung. Offensichtlich wohnte die Familie Kopernikus seit dem Jahr 1480 im Haus am Markt, der
kleine Nikolaus musste sich eigentlich an dieses Haus als an das Haus seiner Familie
erinnern. Dorthin kehrte er auch während seiner Aufenthalte in Toruń zurück, da das
Haus bis zum Jahre 1518 Eigentum seiner Schwester und seines Schwagers war. Denn
im Jahr 1480 verkaufte die Familie Kopernikus ihr Bürgerhaus an der St. Annengasse jenem Cousin, der in den Quellen als Polnischer Greger bezeichnet wird. Meiner Meinung
nach musste die Familie Kopernikus die zweite Hälfte des Bürgerhauses am Markt nicht
kaufen, da es die ganze Zeit hindurch weiterhin der Familie Watzenrode und deren Erben
gehörte. Im Jahr 1468 kaufte Nikolaus Kopernikus, der Vater des Astronomen, nur die
fehlende Hälfte des Hauses hinzu, und es gab nun kein Hindernis mehr, dass er danach
mit seiner Familie dort wohnte. Umso mehr, da – wie Czacharowski schrieb – das Bürgerhaus zu den repräsentativsten Häusern der Stadt gehörte, noch dazu in bester Lage.
Bis zur Geburt des jüngeren Sohnes blieben noch fünf Jahre, er konnte das Haus sogar
noch renovieren und neu ausstatten, um für seine Familie ein angenehmes Zuhause zu
schaffen.
Eine noch schwierigere Aufgabe war es, eine Liste der Thorner Vorfahren von Nikolaus Kopernikus zu erstellen. Ohne Zweifel gehört die Familie seiner Mutter – die
Watzenrodes – dazu. Die Watzenrodes kamen mit Sicherheit etwa Mitte des 14. Jhdt.
aus Schlesien nach Thorn. Die Familie stammte aus Breslau, wo sie dem dort ansässigen
Patriziat angehörte. Es fehlen jedoch Daten, die zumindest eine hypothetische Ableitung
der Breslauer Wurzeln des Thorner Zweigs der Familie erlauben würde. In jeden Fall
stammen die ersten Hinweise auf die Mitglieder dieser Familie in Toruń aus dem Jahr
1369. Aus den Aufzeichnungen im ältesten Schöffenbuch der Altstadt geht hervor, dass
zu dieser Zeit drei Brüder in Thorn lebten: Friedrich, Albrecht und Johann Watzenrode.
Ob sie Einwohner der Stadt in erster Generation waren oder ob bereits ihr Vater und vielleicht sogar ihr Großvater dort lebten, ist nicht bekannt. Das gesellschaftliche Prestige,
dessen sich die Brüder erfreuten, sowie die hohen städtischen Ämter, die zwei Brüder
erlangten, könnten den Schluss nahe legen, dass die Familie zumindest bereits seit einer
Generation mit der Stadt Thorn verbunden war.
Einer dieser Brüder war der Urgroßvater des Astronomen - Albrecht (er starb um
1399). Er war mindestens zweimal verheiratet. Auf die Herkunft seiner Frauen können
wir mithilfe der Vornamen seiner Kinder schließen. Er hatte mindestens fünf Söhne: Fryderyk II., Albrecht II., Cesarius, Tileman und Łukasz (!) sowie drei Töchter: die Gattin
von Jan Warschaw sowie die Gattin von Jakub Falbrecht – von beiden ist uns der Vorname nicht bekannt - sowie Barbara, die zweite Gattin von Girke Friese. Die Vornamen
seiner mittleren Söhne (Tileman und Cesarius) erlauben die Annahme, dass deren Mutter
der Patrizierfamilie Hengistberg entstammte (nur in dieser Familie trat der seltene Vorname Cesarius auf – der Toruńer Bürgermeister in der Zeit von 1366 - 1381 war Träger
dieses Namens, er war vielleicht der Vater oder der Bruder der möglichen Gattin von
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KRZYSZTOF MIKULSKI
Albrecht I.). Die jüngsten Kinder von Albrecht I. (Łukasz und Barbara) entstammten
jedoch seiner Verbindung mit einer Tochter von Łukasz Russe, deren Vorname uns nicht
bekannt ist, er war in der Zeit von 1370-1384 Ratsherr. Ihr Onkel war der Sohn des vorangehenden Łukasz (II) Russe, Ratsherr in den Jahren 1436-1442. An dieser Stelle ist es
sicherlich interessant, auf ein sehr bemerkenswertes Prinzip bei der Namensgebung der
Nachkommen Albrechts hinzuweisen: seine ältesten Söhne erhielten Namen, die in der
Familie Tradition hatten, nach dem Großvater (bzw. Onkel)) sowie nach dem Vater, die
weiteren Söhne konnten Vornamen aus der Familie der Mutter erhalten. Diese Konsequenz bei der Namensgebung ist nicht nur für die Familie Watzenrode charakteristisch,
sondern auch für weitere Patrizierfamilien des mittelalterlichen Toruńs und ermöglicht
es uns, ein verhältnismäßig präzises Bild der genealogischen Verbindungen im Umkreis
der Elite dieser Stadt zu erstellen.
Der jüngste Sohn Albrechts I. aus seiner zweiten Ehe war Łukasz I. Er musste kurz
vor dem Tod des Vaters geboren worden sein (er verstarb um 1399). Die Tatsache, dass
Albrecht am Ende seines Lebens noch Vater minderjähriger Nachkommen war, wird auch
durch eine Erwähnung aus dem Jahr 1395 bestätigt. Das erste Mal trat Lucas gemeinsam mit seinen Brüdern im Jahr 1427 auf. Er heiratete spät, zwischen 1434 und 1439
- Katarzyna, Witwe nach Henryk Peckaw, Schöffe in Toruń in den Jahren 1426-1434.
Ihr Mädchenname war bis vor kurzem Gegenstand der Forschung. Der Ehe mit Peckaw
entstammten drei Kinder: In der Ehe mit Łukasz wurden drei Kinder geboren: Łukasz
II., der spätere Bischof von Ermland, Christina, Gattin des langjährigen Ratsherren und
Thorner Bürgermeister Tileman von Allen, und Barbara, die Frau von Nikolaus Kopernikus, Schöffe in den Jahren 1465-1483.
Das größte Rätsel in der Biographie der Vorfahren von Bischof Łukasz Watzenrode
sowie seines Neffen Nikolaus Kopernikus bleibt bis heute die Herkunft von deren Mutter und Großmutter – der Gattin Łukasz des Älteren. Frühere Genealogien führten ihre
Herkunft auf die Familie der Reusse (Russe) oder der Rüdiger zurück. Beide Varianten
halten allerdings der Kritik nicht stand. Mit der Familie Russe war Łukasz Watzenrode
der Ältere über seine Mutter verwandt, er erhielt seinen Vornamen übrigens nach seinem
Großvater Łukasz Russe. Die Familie Rüdiger spielte in Toruń in der ersten Hälfte des
15. Jhdt. keine Rolle, es fehlten auch jedwede Spuren einer Verbindung der Nachkommen von Łukasz mit dieser Familie bis in die erste Hälfte des 16. Jhdt. Auf der Suche
nach seiner Herkunft weist uns ein Dokument aus dem Jahre 1464 hin, als Katarzyna, zu
diesem Zeitpunkt bereits verwitwet, als eine der Erben nach einem gewissen Jerzy Lodel
angeführt wird. Eine Analyse der familiären Verbindungen von dessen weiteren Erben
lässt den Schluss zu, dass die Großmutter des Astronomen aus einer bekannten, aber in
männlicher Linie in der ersten Hälfte des 15. Jhdt. ausgestorbenen Patrizierfamilie entstammen könnte – der Familie Kordelitz. Auf ihre Herkunft aus dieser Familie weisen
die Verbindungen ihrer möglichen Schwester oder Cousine Barbara Kordelitz mit dem
Kloster in Culm hin, in dem später die Tochter Katarzynas aus erster Ehe (ebenfalls Barbara) untergebracht wurde und in der Folge ihre Enkelin, die Schwester von Nikolaus
Kopernikus (ebenfalls Barbara). In der Familie Kordelitz tauchte der zu dieser Zeit in
VON SEINEM GEBURTSHAUS BIS ZU SEINER GRABSTÄTTE
19
Toruń seltene Vorname Andrzej auf, den später der älteste Sohn von Nikolaus Kopernikus und Barbara Watzenrode erhielt – vielleicht unter dem Einfluss der Großmutter.
Nach diesen Überlegungen, die die Vorfahren und die Jugend von Kopernikus betrafen, schlage ich vor, dass wir uns nun dem Zeitpunkt seines Todes zuwenden beziehungsweise dazu, was mit der sterblichen Hülle des Astronomen nach dessen Tod geschah. In
jüngster Zeit ist in Polen die Diskussion über die Grabstätte von Nikolaus Kopernikus
wieder aufgelebt. Es ist bekannt, dass der Astronom in der Kathedrale von Frauenburg
begraben wurde, mit Sicherheit bei jenem Altar, zu der er als Kanonikus in dieser Kathedrale gehörte. Hinsichtlich der Lokalisierung dieses Altars gab es seitens der Gelehrten
große Meinungsverschiedenheiten. Jüngst jedoch, auf Grundlage der Expertise von Jerzy
Sikorski, der unterstrich, dass Kopernikus beim vormaligen Altar des Hl. Andreas (heute
Altar des Hl. Kreuzes) begraben worden wäre, wurden unter der Leitung von Prof. Jerzy
Gąssowski Exhumierungsarbeiten durchgeführt. Dieses Team gab im Jahr 2005 bekannt,
dass es den Ort der Grabstätte sowie die sterblichen Überreste von Nikolaus Kopernikus
entdeckt hätte. Unter dem Altar des Hl. Kreuzes wurde der Schädel eines zum Zeitpunkt
seines Todes siebzigjährigen Mannes (so alt war Kopernikus zu seinem Tod) exhumiert.
Schon bei der ersten Untersuchung wurde festgestellt, dass der Schädel gewisse Anomalien aufweist, die uns von den ältesten Porträts von Kopernikus bekannt sind. Auf
dem berühmten Toruńer Selbstporträt hat er eine krumme Nase – die anthropologischen Untersuchungen zeigten, dass die Beschädigung des Nasenknorpels bereits in der
frühen Kindheit erfolgt sein musste (vielleicht im Laufe einer Bubenrauferei) und eine
Krümmung der Nase verursacht hatte. Darüber hinaus sind auf dem Schädel Hinweise
auf eine Verletzung über dem linken Auge zu sehen, was wiederum mit der auf einem
der Porträts des Astronomen zu erkennenden Narbe auf der Höhe der linken Augenbraue
entspricht. Die im Zentralen Kriminalpolizei der Polizei durchgeführte Rekonstruktion
des Gesichts brachte einen weiteren Beweis – das auf diese Weise entstandene Gesicht
zeigt uns einen Menschen, der ein ziemlich genaues Abbild der bekannten Porträts von
Nikolaus Kopernikus zu sein scheint. Mit Triumph verkündete Jerzy Gąssowski, dass
er den Schädel des großen Astronomen entdeckt hätte. Die Diskussion über diese Entdeckung dauert jedoch an. Es fehlt der letztgültige Beweis für eine Identifizierung des
„Eigentümers” des Schädels mit Nikolaus Kopernikus. Eine Vergleichsanalyse der mitochondrialen DNA des Schädels mit dem Code von heute lebenden Verwandten Kopernikus - jedoch ausschließlich in weiblicher Linie – könnte einen solchen liefern. Denn
der uns interessierende Code wird der Nachkommenschaft ausschließlich über weibliche
Nachkommen vererbt.
Zwei meiner Studentinnen, Anna Stachowska und Joanna Jendrzejewska, machten
sich auf die schwierige Suche nach den Nachkommen des Astronomen. Alle Spuren
führten nach Danzig. Denn dort wurden die beiden Cousinen von Nikolaus verheiratet
– die Töchter von Tileman von Allen und von Christine Watzenrode.
Die Arbeit schien anfangs leicht, da Dorothea Weichbrodt die Genealogie der Danziger Patrizierfamilien, die auch die Verwandten von Nikolaus Kopernikus umfasste,
ausarbeitete. Leider zeigte sich bei der Überprüfung der Daten dieser Tabelle, dass sie
20
KRZYSZTOF MIKULSKI
viele Fehler enthält. Diese betreffen sowohl falsche Identifizierungen von Personen und
deren Nachkommen als auch falsche Daten von Eheschließungen. Aus diesem Grund
müssen an erster Stelle die Daten, gestützt auf Matrikelbücher, überprüft werden. Für die
Forschung am wichtigsten sind dabei die Matrikelbücher der evangelischen Pfarren in
Danzig. Für die Forschungen zur erwähnten Gruppe der Familie stellten sich die Matrikelbücher der evangelischen Pfarren in Danzig als am wichtigsten heraus, vor allem das
Matrikelbuch der Pfarre der Heiligsten Jungfrau Maria in Gdańsk.
Nach einer gründlichen Analyse der 35 Eheschließungen in der genannten Gruppe,
die in der Pfarrkirche der Heiligsten Jungfrau Maria in den Jahren 1593 -1779 geschlossen wurden, lassen sich erste demographische Schlüsse ziehen:
1. Das Durchschnittsalter der Frauen bei ihrer erster Eheschließung betrug 28 Jahre;
2. Die jüngste Braut war am Tag der Eheschließung 18 Jahre. Es war dies Adelgunda
von den Linde, die im Jahre 1607 Michel Wieder heiratete;
3. Die älteste Braut war am Tag der Eheschließung 55 Jahre. Es war dies Barbara
Wieder, die im Jahre 1673 Nathanael Anders heiratete;
4. Vier Frauen heirateten nach dem Tod des ersten Gatten ein zweites Mal;
5. Achtzehn Ehen blieben ohne Nachkommen.
Man muss auf die Tatsache hinweisen, dass die Mehrheit der Frauen relativ spät heiratete. Aus der Analyse der Heiratsmatrikeln geht hervor, dass zweiundzwanzig Frauen
zum Zeitpunkt der ersten Eheschließung etwa dreißig Jahre alt waren, was 40% ausmacht. Davon blieben neun Ehen ohne Nachwuchs. In den verbleibenden Ehen wurden
trotz des fortgeschrittenen Alters der Frauen von einem bis zu sechs Kindern geboren.
Von den Quellen neben den Matrikelbüchern sind für die von Stachowska und Jendrzejewska durchgeführten Forschungen die von C. A. Kaschlinsky ausgearbeiteten genealogischen Tabellen besonders wichtig, die sich bei der Verifizierung von Teilen der
Angaben in der Arbeit von Dorota Weichbrodt als hilfreich erwiesen. Ähnlich hilfreich
sind in dieser Hinsicht die Arbeiten von Helmut Stehlau und Erich Lemmel, doch muss
man an diese mit Vorsicht sowie mit einer gewissen kritischen Distanz herangehen.
Wesentlich vertrauenswürdiger und wichtiger sind die Dokumente, die sich in der
Abteilung für alte Drucke der Bibliothek der Polnischen Akademie der Wissenschaften
in Danzig befinden. Es soll erwähnt werden, dass sich dort unter anderem auch Drucke
befinden, die anlassbezogen - auf Grund einer Hochzeit oder auf Grund des Ablebens der
uns interessierenden Menschen -, herausgegeben wurden und von denen manche auch
eine vereinfachte genealogische Tabelle enthalten.
Als Ergebnis der bereits ein Jahr andauernden Suche wurden über 500 Verwandte
von Kopernikus gefunden, die jüngste wurde Mitte des 18. Jhdt. geboren. Leider besteht
nahezu keine Chance, weitere Verwandte des Astronomen zu finden. Die innerhalb des
engen Kreis der Danziger Patriziaten analysierten Ehepaare führten im Verlauf einiger
Generationen praktisch zum Aussterben der Nachkommen von Kordula Feldsted und
Anna Schilling, der Cousine des großen Astronomen.
Eine unerwartete Unterstützung für die Historiker brachte die Genetik. Dr. Marie
Allen aus der Schweiz stellte fest, dass zwei von jenen Haaren, die im von Kopernikus
VON SEINEM GEBURTSHAUS BIS ZU SEINER GRABSTÄTTE
21
verwendeten Kalender gefunden wurden, mit den in der Kathedrale von Frauenburg gefundenen sterblichen Überresten identisch sind. Die Rekonstruktion des Gesichts von
Kopernikus und insbesondere die anthropologischen Forschungsmethoden, derer sich
das Forschungsteam von Prof. Gąssowski bedient, ist Gegenstand scharfer Polemik.
Vielleicht enthüllen die nächsten Monate, dass die in Frauenburg aufgefundenen sterblichen Überreste eines Mannes tatsächlich oder nur wahrscheinlich jene von Nikolaus
Kopernkus sind.
Und schlussendlich möchte ich das Thema der Neuedition der Werke von Nikolaus
Kopernikus ansprechen. Genau genommen möchte ich über ein solches Werk sprechen
– unlängst erschien unter der Redaktion des herausragenden polnischen Historikers
Andrzej Wyczański eine Sammlung sämtlicher kleinerer Arbeiten von Kopernikus mit
zeitgemäßem wissenschaftlichen Apparat sowie in exklusiver grafischer Gestalt. Dieses
Werk zeigt zweifelsohne in vollem Umfang die Interessensvielfalt des Kanonikus aus
Frauenberg sowie seine Verstandeskraft – beginnend mit dem von seinen Zeitgenossen
hoch geschätzten medizinischen Wissen über seine organisatorische Begabung, sein ausgezeichnetes ökonomisches und juridisches Wissen bis hin zu seinen wissenschaftlichen
Forschungen auf dem Gebiet der Astronomie.
Bibliographie:
Marie Allen: Analiza DNA włosów znalezionych w kalendarzu należącym do Mikołaja Kopernika, in: Badania nad identyfikacją grobu Kopernika, red. Jerzy Gąssowski, Pułtusk
2008, S. 226-235
Ludwik Antoni Birkenmajer: Mikołaj Kopernik jako uczony twórca i obywatel, Kraków
1923
Ludwik Antoni Birkenmajer: Stromata Copernicana, Kraków 1924
Marian Biskup: Regesta Copernicana, Wrocław 1975
Antoni Czacharowski: Kupiectwo toruńskie w latach młodości Mikołaja Kopernika, Rocznik
Toruński, Bd. 7: 1972, S. 21-38
Jerzy Drewnowski: Mikołaj Kopernik w świetle swej korespondencji, Wrocław 1978
Karol Górski: Dom i środowisko rodzinne Mikołaja Kopernika, 3. Aufl., Toruń 1987
Karol Górski: Domostwa Mikołaja Kopernika w Toruniu, Toruń 1955
Karol Górski: Łukasz Watzenrode, życie i działalność polityczna (1447-1512), Wrocław
1973
Karol Górski: Mikołaj Kopernik. Środowisko społeczne i samotność, Wrocław 1973
Tomasz Jasiński: Dom rodzinny Mikołaja Kopernika: przyczynek do studiów nad socjotopografią późnośredniowiecznego miasta, „Kwartalnik Historyczny” R. 92: 1985, Nr. 4, S.
861-884
Joanna Jendrzejewska, Anna Stachowska: Genealogia żeńskiej linii krewnych Mikołaja Kopernika – charakterystyka i stan badań, in: Badania nad identyfikacją grobu Kopernika,
red. Jerzy Gąssowski, Pułtusk 2008, S. 66-133
22
KRZYSZTOF MIKULSKI
Mikołaj Kopernik: Dzieła wszystkie, Bd. III: Pisma pomniejsze, red. A. Wyczański, Warszawa 2007
Krzysztof Mikulski: Watzenrodowie i dom rodzinny Mikołaja Kopernika w Toruniu, in: Studia z dziejów miast i mieszczaństwa w średniowieczu, Bd. 2, red. J. Tandecki i R. Czaja,
Toruń 1996, S. 243-256
Krzysztof Mikulski: W kręgu toruńskich przodków Mikołaja Kopernika – Watzenrodowie i
ich koligacje rodzinne, in: Badania nad identyfikacją grobu Kopernika, red. Jerzy Gąssowski, Pułtusk 2008, S. 40-65
Stanisław Rospond: Polskość Mikołaja Kopernika z rodu Ślązaka, Opole 1972
Jeremi Wasiutyński: Kopernik twórca nowego nieba, Warszawa 1938
Dorothea Weichbrodt-Tiedemann: Patrizier, Bürger, Einwohner der Freien und Hansestadt
Danzig in Stamm- und Namentafeln vom 14.-18. Jahrhundert, Klingberg 1986
Krzysztof Mikulski ist Professor für Geschichte an der Nikolaus Kopernikus-Universität in
Toruń. Seine wissenschaftlichen Hauptinteressen gelten der Wirtschafts- und Sozialgeschichte in der Zeit des 13. – 18. Jhdt, Stadtgeschichte sowie Adelsgenealogien und Genealogien
von Bürgerfamilien. Seit 2003 ist er Vorsitzender der Polnischen Historischen Gesellschaft
Anna Ziemlewska
Das Nikolaus Kopernikus-Haus in Thorn
Das Nikolaus Kopernikus-Haus, eine Abteilung des Bezirksmuseums in Thorn, nahm
seine Tätigkeit am 5. Juni 1960 auf. Es stellt den Typ eines biographisch-historischen
Museums dar und ist das jüngste von drei Museen (in Rom seit 1879, in Frauenberg seit
1948), die dem Schöpfer der heliozentrischen Theorie gewidmet sind.
Es befindet sich in dem Bürgerhaus-Ensemble an der altstädtischen Kopernikusgasse
15 und 17, die früher St. Annengasse hieß und seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts den Namen des großen Astronomen trägt. Die beiden Gebäude repräsentieren den
Typ des Kaufmannshauses, des für die Hansestädte charakteristischen und in Thorn im
15. Jh ausgebildeten sog. Speicherhauses.
Zuerst wurde das Haus Nr. 17 1960 für Museumszwecke erworben (die erste Ausstellung bestand nur drei Monate). In den Jahren 1960-1963 wurden an ihm grundlegende
Konservierungsarbeiten durchgeführt, und die gotische Fassade mit dem Treppengiebel
rekonstruiert.
Das Haus war für die Abteilung für Geschichte und für die Dauerausstellung über Nikolaus Kopernikus zu klein, deswegen übernahm zehn Jahre später (1970) das Museum
das prächtige gotische Gebäude Nr. 15 mitsamt drei Nebengebäuden (16.-18. Jh.) – das
sog. Kopernikushaus. Auch an ihm wurden 1972-1973 Konservierungsarbeiten durchgeführt, um im Jahr 1973 (im Jahr des Jubiläums) den Besuchern das historische Ensemble
im Inneren zugänglich machen zu können.
Das historische Interieur umfasst:
• die Hohe Diele (oder das sog. Haus, etwa 5 m hoch) diente Wohn- und Handelszwecken; in der Ecke befindet sich das teilweise rekonstruierte Fragment einer Küche
mit Abzugkamin; es ist auch eine Balkendecke aus dem 15. Jh mit einerfarbigen Bemalung und einer „hängenden Kammer“ (Kaufmannskantor, Kaufmannsstube) erhalten.
• Die Kammer im hinteren Trakt
• „Der weiße Saal“ im 1. Stock
• Zwei kleine Zimmerchen
• Drei Dachgeschossebenen, die mit einem Dachstuhl aus dem 15. Jh abgeschlossen
werden.
In einem Nebengebäude befinden sich:
Die sog. Rapperswilausstellung - eine Rekonstruktion der ältesten Ausstellung über
Kopernikus, die 1870 im polnischen Museum in Rapperswil stattfand - und das Stadtmo-
24
ANNA ZIEMLEWSKA
dell des mittelalterlichen Thorn. Zu diesem Modell gibt es eine zwanzigminütige TonLicht-Schau, die die wichtigsten Ereignisse der Geschichte von Thorn bis zum Ende des
15. Jhs sowie das alltägliche Leben und die schönsten Gebäude der Stadt zeigt.
Im Haus an der Kopernikusgasse befindet sich die Dauerausstellung „Nikolaus Kopernikus – Leben und Werk“. Sie zeigt die Familie, die Lehrjahre des Astronomen, sein
größtes Werk „De Revolutionibus orbium coelestium“ und das Wirken von Kopernikus
als Kanoniker des ermländischen Domkapitels, als Arzt und als Rechtsanwalt.
Sie besteht aus fünf Teilen. Der erste Teil ist der Stadt Thorn im 15. Jhdt. und der
Familie des Astronomen gewidmet. Der zweite Teil ist der Studienzeit an der Krakauer
Akademie (1491-1495) und in den italienischen Städten Bologna (1496-1500), Padua
(1501-1503) und Ferrara, wo er die Doktorwürde erworben hat, gewidmet. Der dritte Teil
präsentiert die Entstehung und das weitere Schicksal der heliozentrischen Theorie und
des Werks „De revolutionibus“, der vierte präsentiert die Frauenburger Jahre des großen
Astronomen (1510-1543), als er die Funktionen eines Kapitelkanzlers und Kapitelarztes
wahrnahm. Als Verwalter der Kapitelgüter beschäftigte er sich mit der Münzreform im
Königlichen Preussen, 1520 verteidigte er die Burg des Kapitels in Allenstein (Olsztyn)
gegen den Deutschen Orden. Der fünfte Teil zeigt Modelle von astronomischen Instrumenten, derer sich Kopernikus bediente: Astrolabium, Triquetrum und Quadrant.
Bestände:
Schon in der Kunst- und Wunderkammer des Akademischen Gymnasiums (16.Jhdt.)
befanden sich die Porträts von Kopernikus. Später wurden Gegenstände, die mit dem
Astronomen verbunden sind, vom Städtischen Museum und der Wissenschaftlichen Gesellschaft in Thorn gesammelt. Die Bestände wurden bis heute durch Kauf und Spende
erworben. Sie sind in verschiedenen Sammlungen und Sachgruppen zusammengestellt:
• Inkunabeln und alte Drucke aus der Zeit des Nikolaus Kopernikus zu historischen
und astronomischen Themen.
• Verschiedene Ausgaben des Werkes „De revolutionibus“ und andere Arbeiten des
Schöpfers der heliozentrischen Theorie. [2. Ausgabe (Basel 1566) und 3. Ausgabe (Amsterdam 1617), 1. polnische Ausgabe (1854), Thorner Ausgabe (1873), gedruckt als
Ehrung zum 400-jährigen Geburtsjubiläum des Astronomen].
• Wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Publikationen über Nikolaus Kopernikus.
• Astronomische Geräte (Modelle). Im Jahr 1981 wurde die Sammlung der astronomischen Geräte um einige sehr wertvolle Cimelien des europäischen Kunsthandwerks
erweitert, die aus dem testamentarischen Nachlass von Prof. Jan Zabłocki stammen. Es
handelt sich um Uhren aus dem 16., 17., 18., Jh, die mit einem erweiterten astronomischen Programm ausgestattet sind. (Zirkel von Hevelius).
• Ikonographie: Annäherungen an Kopernikus in Malerei, Graphik, Bildhauerei
(Bronislaw Chromy, Zofia Wolska, Konstanty Laszczka), Medailleurs-Kunst, Philatelie
DAS NIKOLAUS KOPERNIKUS-HAUS IN THORN
25
sowie auf Telefonkarten. Besonders interessant ist ein Geschenk von Graf Emeryk Hutten Czapski in Gestalt von Graphiken mit dem Abbild des Astronomen aus dem 16. und
17. Jh.
• Dokumente des gesellschaftlichen Alltags mit Annäherungen an Kopernikus sowie
mit den Institutionen wie die Kopernikus-Universität oder die Kopernikus-LebkuchenFabrik (Plakate, Kalender, Marken, Postkarten, Werbegeschenke).
• Museumsstücke zum Leben und Wirken des Johannes Hevelius, Danziger Astronom des 17. Jhds (Zirkel) sowie Tycho Brahe, Galileo, Johann Kepler, Isaac Newton.
Hilfsbestände für museumspädagogische Zwecke:
Filme, Fotos, Negative, Diapositive, Videokasseten, CDs
Presseartikel aus der ganzen Welt.
Forschungen:
Eine der wichtigsten Aufgaben der Mitarbeiter des Museums (2-3 Personen) ist die
Aufarbeitung der Bestände. In den letzten 40 Jahren wurden über 70 Publikationen veröffentlicht, und zwar im Jahrbuch des Bezirksmuseum in Thorn, dem Thorner Jahrbuch,
den Studia Copernicana usw. Auf Initiative des Museums wurden wissenschaftliche
Konferenzen organisiert, die u.a. der Rolle und den Aufgaben biographischer Museen
gewidmet sind (1985). Das Museum arbeitet sehr oft mit der Universität zusammen, z.B.
bei der Vorbereitung von Ausstellungen (in diesem Jahr über optische Geräte) sowie der
Organisation des Thorner Festivals für Wissenschaft und Kunst.
Ausstellungen: ca. 150 (1960-2007) in Polen, Deutschland, in der Slowakei, Japan
usw.
Bibliographie:
Informator Muzeum Okręgowego w Toruniu, Toruń 1999, S. 47-52
J. Mazurkiewicz: Muzeum Mikołaja Kopernika. Oddział Muzeum Okręgowego w Toruniu
(1960-2000), Rocznik Muzeum w Toruniu, Bd. X, 2001, S. 31-148
J. Mazurkiewicz: Mikołaj Kopernik. L’uomo Universale, Toruń 2000
Muzea Pomorza Nadwiślańskiego. Tradycja i współczesność, red. M. Woźniak, Toruń 1996,
S. 145-169
Z. Nawrocki: Pięć kamienic przy ulicy Kopernika w Toruniu, Kwartalnik Architektury i
Urbanistyki, Bd. XXX, 1985, z. 2, S. 197-225
Anna Ziemlewska ist Historikerin. Ihre Dissertation verfasste sie zum Thema „Riga in
Polen-Litauen 1581-1621”.
POLNISCH-ÖSTERREICHISCHE
GESCHICHTE
Bogusław Dybaś
Die Schlacht bei Wien (1683) –
Überlegungen zur Natur der Erinnerung sowie des
kollektiven Gedächtnisses
Am 15. September 2008 jährt sich die Schlacht der verbündeten deutsch-österreichisch-polnischen Kräfte gegen die die Stadt Wien belagernden türkischen Truppen
zum 325. Mal. Äußerst ungenaue Berechnungen des vorstatistischen Zeitalters sprechen davon, dass die von Großwesir Kara Mustafa angeführten Truppen zu Beginn des
Feldzugs höchstens etwa 100.000 Soldaten ausmachten. Infolge der Verluste im Zuge
der vorangegangenen kriegerischen Auseinandersetzungen sowie auch der Belagerung
selbst konnte der Großwesir den alliierten Truppen zum Zeitpunkt der Schlacht jedoch
im besten Falle nur 60.000 bis 65.000 Soldaten entgegenstellen, in der Hauptsache Kavallerie. Die Armee der Alliierten, die sich am 8. September bei Tulln konzentrierte,
wurde – in Rücksicht auf dessen Rang und Erfahrung – vom polnischen König Jan
III. Sobieski angeführt. Diese Armee umfasste nach den Berechnungen des polnischen
Historikers Jan Wimmer etwas mehr als 65.000 Soldaten, davon gehörten ca. 30.000 der
Kavallerie an. Sie bestanden aus drei Kontingenten: dem polnischen Kontingent (21.000
Mann, davon gehörten 14.000 der Kavallerie an), dem kaiserlichen Kontingent (18.500
Mann) sowie dem Kontingent der deutschen Fürsten (über 28.000 Soldaten). Man kann
davon ausgehen, dass die alliierten Heere – insbesondere das polnische – nach dem anstrengenden Marsch nach Wien erschöpft waren, sie waren aber zweifelsohne in besserer
Form als die Truppen von Kara Mustafa und in ihrer Kampfkraft der Armee Kara Mustafas mit Sicherheit überlegen.
Die am 12. September 1683 geschlagene Schlacht bei Wien, die mitunter als großer
Sieg der christlichen Welt über die überlegenen islamischen Kräfte beschrieben wird,
gilt als eines der bedeutsamsten und größten Ereignisse in dieser Epoche und ist
zweifelsohne eines der herausragendsten Momente in der Geschichte Polens. Auch in
der Geschichte Österreichs ist sie äußerst wichtig, jedoch hier vor allem als eines der
Ereignisse des traumatischen Jahres 1683, als glückliches Ende der bereits zweiten
türkischen Belagerung der österreichischen Hauptstadt, die ja auch Hauptstadt des
Kaiserreiches war. Und zweifelsohne ist die Wiener Sc=hlacht eines jener Ereignisse, das
die polnische und österreichische Geschichte eng miteinander verbindet. Es ist – um einen
Begriff zu verwenden, der in den letzten Jahren in der Geschichtsforschung eine große
Karriere gemacht hat – ein gemeinsamer polnisch-österreichischer „Erinnerungsort”.
Das Gedächtnis der Menschen sowie jenes von Völkern in ihrer Gesamtheit sind in
der Regel äußerst unterschiedlich. Die bereits zu Beginn meines Vortrags angeführten
Informationen zeigen, dass wir es am 12. September 1683 nicht mit einem Ereignis zu
tun hatten, das man eindeutig lediglich in der Kategorie der Verteidigung antemura-
30
BOGUSŁAW DYBAŚ
le Christianitatis – Bollwerk der Christenheit vor der übermächtigen „Türkengefahr”
betrachten kann. Gleichzeitig ging es um das Kräfteverhältnis sowie vor allem um den
Mythos der Verteidigung „des christlichen Europas vor der Expansion des Islams”. Expansive Gelüste wurden in dieser Epoche jedoch keineswegs nur dem Reich der Sultane
zugeschrieben. Das von den Habsburgern regierte Heilige Römische Reich Deutscher
Nation wurde kaum ein halbes Jahrhundert zuvor von den Angriffen des christlichen,
wenn auch protestantischen „Löwen des Nordens” – des schwedischen Königs Gustav
Adolf – erschüttert. In der zweiten Hälfte des 17. Jhdt. war die Angst vor den Expansionsplänen des „erzchristlichen” Königs von Frankreich, Ludwig XIV., viel größer als
jene vor einer türkischen Expansion.
Die Schlacht bei Wien vernichtete mit Sicherheit die türkische Macht nicht, stellte
aber einen wichtigen Wendepunkt dar – von diesem Zeitpunkt an drehte sich die Expansionsrichtung um. Der siegreiche polnische König Jan III. Sobieski dachte an eine Fortsetzung des Kriegs gegen die Türken seitens der vereinten christlichen Welt. Er träumte
sogar von einem großen Kreuzzug, der unter dem Motto der Vertreibung der Türken
aus Europa stehen sollte. Am 5. März 1684 wurde in Linz ein Vertrag über die Bildung
der Heiligen Liga unterzeichnet, der zunächst Polen, Österreich, Venedig und der Papst
beitraten – zwei Jahre später, im Jahr 1686, trat auch Russland bei. Und wie es in der
Politik nun seit jeher zu sein pflegt – eine einheitliche und einträchtige Zusammenarbeit sowie die Koordinierung der einzelnen Bündnispartner gestaltete sich als ziemlich
schwierig. Jeder achtete vorwiegend auf seine eigenen Interessen - dem Kaiser war vor
allen Dingen an der Beherrschung Ungarns gelegen, Venedig ging es um die Adriaküste,
Russland wiederum strebte nach einem Zugang zum Schwarzen Meer. Der polnische
König indes wollte sich nicht auf die Wiedererlangung der an das Osmanische Reich
verlorenen Territorien der polnisch-litauischen Republik beschränken. Auf den Thron in
Moldawien wollte er seinen Sohn Jakub bringen, was diesem in Zukunft – nach dem Tod
des Vaters – die polnische Krone in freier Wahl sichern sollte. Die Versuche, Moldawien
zu erobern, scheiterten jedoch, und es gelang auch nicht, die in einem beschwerlichen
Krieg im Jahre 1672 verlorene Festung Kamieniec Podolski zurückzugewinnen. Der im
Jahr 1683 begonnene Krieg wurde erst nach dem Tod König Jan III. Sobieskis durch den
Frieden von Karlowitz (serbisch: Sremski Karlovci) (1699) beendet. Dieser besiegelte
den Sieg der Alliierten, am wenigsten profitierte davon aber zweifelsohne Polen.
Und aus diesem Grund gab einer der polnischen Historiker, Leszek Podhorodecki,
dem letzten Kapitel seiner Monographie über die Schlacht von Wien folgende Überschrift:
„Owoce zebrali inni” – was zu Deutsch so viel heißt wie: „Die Früchte ernteten andere.“
Mit Sicherheit ist es eine der gewichtigen Leitlinien in der polnischen Tradition sowie
auch im kollektiven polnischen Gedächtnis – nämlich jene des nicht genutzten Sieges.
Solch ungenutzte militärische Siege gibt es in der polnischen Geschichte einige, vielleicht
sogar mehr als tatsächliche Niederlagen. Das Bild des nicht genutzten Sieges war oft
Folge des Missverhältnisses zwischen der intensiven Propagierung des militärischen
Triumphes und den politischen und militärischen Umständen der Zeit. Die Schlacht
bei Wien ist eines der besten Beispiele für diese Situation, obwohl sie die traurigen Er-
DIE SCHLACHT BEI WIEN (1683)
31
fahrungen der polnischen Geschichte zur Zeit der Teilungen intensivierten, als Polen im
19. Jhdt. nicht als unabhängiger Staat existierte und die Polen sich oft die Frage stellten,
wie dies nur passieren konnte – angesichts einer Reihe so bedeutsamer Siege.
Ein weiteres dauerhaftes Bild des Sieges bei Wien im polnischen kollektiven Gedächtnis ist das Bild des letzten großen Erfolgs, der bereits am Vorabend jener Entwicklung
stand, die schlussendlich zum Untergang Polens führte – circa hundert Jahre vergingen
seit diesem Sieg und es begann die bereits angesprochene Epoche der Teilungen, an
deren Endpunkt Polen für über hundert Jahre von der Landkarte Europas verschwunden war. Obwohl zwischen der Schlacht bei Wien und den Teilungen Polens eine ganze
Epoche verstrichen war, ist es im Gedächtnis der Menschen sowie ganzer Gesellschaften verhältnismäßig leicht, Ereignisse miteinander zu verbinden, die einige Jahrzehnte
oder sogar ein Jahrhundert auseinander liegen. Das Wesen der Verbindung dieser beiden
Ereignisse beruht in diesem Fall darauf, dass der vor dem Untergang letzte Triumph,
dieser große Kraftakt, in gewisser Weise schlecht „angelegt“ wurde. Wir waren es doch,
die im Jahr 1683 den Österreichern halfen – eben diesem Österreich, das im Jahr 1772
eine jener drei Mächte war, die die erste polnische Teilung vollzogen. Dieser „schnöde
Undank” ruft unter den Polen bis heute starke Emotionen hervor – und dies insbesondere
vor dem Hintergrund der Tatsache, dass das bei Wien besiegte Osmanische Reich in der
Epoche des Zerfalls ein Fürsprecher der polnischen Unabhängigkeit war.
In diesem Zusammenhang verursacht daher bereits die geringste Infragestellung der
Rolle der Polen sowie deren König in der Schlacht Gereiztheit und Verbitterung. Im polnischen Bewusstsein ist die Schlacht bei Wien vor allem als polnischer Sieg verankert, als
eine Schlacht, in deren Verlauf „die im Laufe der Geschichte größte Kavallerieattacke”,
insbesondere die Attacke der von Jan Sobieski angeführten „Husaria” entscheidende Bedeutung hatte. Bereits die zu Beginn genannten Zahlen zeigen, dass die Situation doch
etwas komplizierter sein musste. Die entlang der Donau geführte Attacke der Infanterie
von Karl von Lothringen, die zu einer Unterbrechung des Belagerungsrings führte, spielte ebenfalls eine wichtige Rolle in der Schlacht, die besagte legendäre Kavallerieattacke
jedoch führte schlussendlich nicht zur entscheidenden Zerschlagung der türkischen Armee. Kaum ein Monat später erlitt Jan Sobieski in der ersten Schlacht bei Párkány eine
schwere Niederlage und er wäre in dieser Schlacht auch beinahe ums Leben gekommen.
Erst die zweite am 9. Oktober am selben Ort ausgetragene Schlacht fügte den Türken
eine vermutlich sogar größere Niederlage zu, als es jene in der Schlacht bei Wien war.
Diese Interpretationen konnten die Schlacht bei Wien in der Tradition der polnischen Historiographie natürlich nicht erschöpfend darlegen. Sie zeigen jedoch, dass
die Erinnerung an die Schlacht in großem Maße unter dem Einfluss späterer Ereignisse entstand. Und das ist selbstverständlich nicht polenspezifisch. Im Juni 2008 wurde
in der Wiener Zeitschrift „Die Maske” ein Artikel veröffentlicht, in dem die Erinnerungskultur an den Entsatz von Wien im österreichischen kollektiven Gedächtnis vor
dem Hintergrund der Gedenkfeiern anlässlich runder Jubiläen in den darauf folgenden
Jahrhunderten – und zwar anlässlich der Gedenkfeiern der Jahre 1783, 1883, 1933 und
1983 – analysiert wird. Ohne näher auf die Details einzugehen, geht schon aus der Zu-
32
BOGUSŁAW DYBAŚ
sammenstellung der Jahreszahlen hervor, wie unterschiedlich der jeweilige Zugang zu
den Gedächtnisfeiern in den einzelnen Epochen gewesen sein muss.
Die Schlacht bei Wien, deren Begleitumstände sowie die unmittelbaren militärischen
und politischen Folgen gehören der Geschichte an. Entsprechend der bestehenden Quellenlage wurden sämtliche damit verbundene Fragestellungen gründlich erforscht und
vom Standpunkt des Historikers wecken sie eher keine besonderen Emotionen. Anders
verhält es sich mit der kollektiven Erinnerung an die Schlacht, die unter den Völkern
noch lange lebendig blieb – jener Völker, deren Vorfahren vor über dreihundert Jahren
an dieser Schlacht teilnahmen. Sie ändert sich auf offensichtliche Weise und sie wird
sich weiter mit dem Voranschreiten der Zeit verändern. Nach Ansicht des Historikers
(und nicht nur des Historikers) stellt die aufmerksame Beobachtung dieser Erinnerung
einen Wert an sich dar, darüber hinaus aber ist auch bis zu einem gewissen Maße die
Einflussnahme auf die Entstehung der Erinnerung und deren Entwicklung von Interesse,
auch wenn dies vielleicht nur durch das Aufzeigen jener Aspekte vergangener Ereignisse
geschieht, die bis zu diesem Zeitpunkt in geringerem Maße berücksichtigt wurden.
Es ist an dieser Stelle schwierig, dies genauer auszuführen, mit Sicherheit aber wird
das Ausmaß der Konfrontation der Schlacht bei Wien weniger dramatisch gesehen werden. Zum Zeitpunkt der Schlacht (was natürlich für jede Schlacht in weit zurückliegender Vergangenheit gültig sein kann) nahmen daran Mächte teil, die einander zu dieser
Zeit feindlich gegenüber standen. Zum einen jedoch – betrachtet man die Natur dieser
Feindschaft etwas genauer – war diese Feindschaft selten von umfassendem Ausmaß,
zum anderen gibt es nur selten reale Umstände, um eine solche Feindschaft über
Jahrhunderte hinweg aufrecht zu erhalten, ja gewissermaßen zu pflegen. Wenn wir heute an die großen Schlachten des 18. Jhdt. oder an die Schlachten des Napoleonischen
Zeitalters denken, rufen sie im Allgemeinen nicht diese Art von Emotionen hervor.
Es scheint, als wäre es von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet bereits heute möglich,
das Bild der Schlacht von Wien, die als eine große Konfrontation zwischen der islamischen und der christlichen Welt interpretiert wurde, zu korrigieren, obwohl eine solche
Interpretation aus politischen und ideologischen Gründen manchen auch heute durchaus
gelegen kommt. Zweifelsohne bestanden damals, wie übrigens auch heute, unterschiedliche „Welten”, unterschiedliche Zivilisationen, unterschiedliche Wertsysteme. Deren
Berührung konnte zu dramatischen Zuspitzungen führen und führte auch dazu – wie
bei der Belagerung und dem Entsatz von Wien im Jahr 1683. Im täglichen Leben aber
hatte der gemeinsame Umgang oft auch friedlichen Charakter, etwa in Form eines dauerhaften wirtschaftlichen und kulturellen Austausches. Die Folgen von letzterem sind
übrigens in der polnischen Kultur deutlich sichtbar, was sich in einem Phänomen äußert,
das als deren Orientalisierung bezeichnet wird. Wenn wir beispielsweise das Gemälde
betrachten, das das berühmte Treffen von König Jan III. Sobieski mit Kaiser Leopold
I. bei Schwechat zeigt, kann man wohl behaupten, dass die Bekleidung des polnischen
Monarchen eher jener des bei Wien besiegten Wesirs Kara Mustafa ähnelt als jener von
dessen christlichem Verbündeten.
DIE SCHLACHT BEI WIEN (1683)
33
Jede Schlacht und jeder Krieg ist ein dramatisches Ereignis, das für viele Menschen
den Tod bedeutet. Diesen Aspekt der Geschichte dürfen wir nie vergessen. Der Jahrestag
der Schlacht, insbesondere einer so weit zurückliegenden, muss und soll jedoch nicht
eine Wiederbelebung vergangener Konflikte, Feindseligkeiten und Missverständnisse
sein, sie kann und soll vielmehr Gelegenheit bieten für Begegnungen vor einem mittlerweile gänzlich anderen Hintergrund sowie für distanziertere und sachlichere Bewertungen des Geschehenen. An der Schlacht nahmen Vertreter vieler Völker teil – Polen,
Österreicher, Deutsche, Türken, Tataren, Ungarn, Ukrainer, Rumänen, Südslawen sowie
eine Reihe weiterer Völker. In größerem oder kleinerem Maße hat die Schlacht in deren
jeweiligen kollektiven Gedächtnis ihren Platz gefunden. Und in Anknüpfung an den zu
Beginn meines Beitrags angeführten Begriffs des Erinnerungsortes kann man behaupten,
dass die Schlacht bei Wien nicht nur ein gemeinsamer polnisch-österreichischer Erinnerungsort ist. Er ist vielmehr – und zwar für alle angeführten Völker – ein vielschichtiger
„Ort der Erinnerung“.
Als Historiker und Wissenschaftler möchte ich meinen Text mit einem Statement beschließen, das im wissenschaftlichen „Slang“ als „Forschungspostulat” bezeichnet wird
– mit dem Postulat, das Bild der Schlacht bei Wien zu erforschen, das sich im kollektiven Gedächtnis aller Völker, für die sie von Bedeutung war, eingeschrieben hat, sowie
weiters die Motive all jener Menschen zu untersuchen, die an der Gestaltung dieses
Bildes beteiligt waren und seine Entwicklung mitbeeinflussten. Die Ergebnisse dieser
Forschungen werden mit Sicherheit äußerst faszinierend sein.
***
Der publizierte Text wurde am 15. September 2008 im Festsaal der Universität Wien
als Vortrag gehalten. Die Bibliographie umfasst Publikationen in verschiedenen Sprachen, diese behandeln das Jahr 1683, den Kampf gegen die Türken, die Schlacht bei
Wien sowie deren Folgen. Die Folgeentwicklungen dieser Ereignisse sind höchst vielfältig und entsprechend schwierig wäre es, sie in der nachfolgenden Zusammenstellung
auch nur teilweise erschöpfend wiederzugeben. Aus diesem Grund umfasst die folgende
Zusammenstellung nur die wichtigsten Arbeiten und vor allen Dingen solche, die für den
vorliegenden Beitrag herangezogen wurden.
Bibliographie:
Bibliographien:
Walter Sturminger: Bibliographie und Ikonographie der Türkenbelagerungen Wiens 1529
und 1683, Graz-Köln 1955
Die Türkenkriege in der historischen Forschung, Wien 1983
34
BOGUSŁAW DYBAŚ
Publikationen, die für den Vortrag herangezogen wurden:
Moritz Csáky: Geschichte und Gedächtnis. Erinnerung und Erinnerungsstrategien im narrativen historischen Verfahren. Das Beispiel Zentraleuropa, in: Alojz Ivanišević, Andreas
Kappeler, Walter Lukan, Arnold Suppan (Hgg.): Klio in Fesseln? Historiographie im östlichen Europa nach dem Zusammenbruch des Kommunismus (= Österreichische Osthefte
44/2002), Wien-Frankfurt a.M. 2002 (=2003) , S. 61-80
Silvia Dallinger, Johanna Witzeling: Die “Helden von 1683”. Türkengedenken im 19. & 20.
Jahrhundert, in: Die Maske. Zeitschrift für Kultur- und Sozialanthropologie, Nr. 3, Juni
2008, S. 15-17
Otto Forst de Battaglia: Jan Sobieski. Mit Habsburg gegen die Türken, Graz-Wien-Köln
19822
Otto Forst de Battaglia: Jan Sobieski król Polski, Warszawa 1983
Mirosław Nagielski, Konrad Bobiatyński: Johann III. Sobieski und Karl von Lothringen und
ihre Rolle beim Entsatz von Wien 1683, in: Polnisch-österreichische Kontakte sowie Militärbündnisse 1618-1918, Heeresgeschichtliches Museum, Acta, Wien 2009, S. 121-139
Leszek Podhorodecki: Wiedeń 1683, Warszawa 1980
Jerzy Śliziński: Jan III Sobieski w literaturze narodów Europy, Warszawa 1979
Jan Wimmer: Odsiecz wiedeńska 1683 roku, Warszawa 2008
Jan Wimmer: Wiedeń 1683. Dzieje kampanii i bitwy, Warszawa 1983
Zbigniew Wójcik: Jan Sobieski 1629-1696, Warszawa 1983
Bogusław Dybaś ist Historiker, Professor an der Nikolaus-Kopernikus-Universität in Thorn,
und auch mit dem Institut für Geschichte der Polnischen Akademie der Wissenschaften verbunden, seit dem Jahr 2007 Direktor des Wissenschaftlichen Zentrums der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Wien. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Geschichte der
polnisch-litauischen Republik in der frühen Neuzeit
Übersetzung: Mag. Irmgard Nöbauer
Adolf Juzwenko
Die Nationalstiftung von
Józef Maksymilian Graf Ossoliński
und Henryk Fürst Lubomirski
Nach den Teilungen Polens war das polnische Volk davon bedroht, seine nationale
Identität zu verlieren. Dem Schutz vor dem Verlust der nationalen Identität sollten zahlreiche politische und militärische Initiativen, die um die Wende des 18./19. Jahrhunderts
unternommen wurden, dienen. Wie sich allerdings später herausstellte, trugen Literatur,
Kunst und Wissenschaft zum Erhalt der polnischen Identität am besten bei. Sie waren
die Waffe in den Händen des Volkes im Kampf ums Überleben, sie erleichterten das
Aufrechterhalten der Beziehungen der Polen zu Europa und prägten das Leben und Bewusstsein des polnischen Volkes im 19. Jahrhundert wesentlich.
Ende des 18. Jahrhunderts bildete sich in der damaligen geistigen Elite eine Gruppe
von Menschen, die am Sammeln von Zeugnissen der materiellen Vergangenheit des Landes interessiert war. Zu diesem Kreis gehörten unter anderem Izabela Fürstin Czartoryska und Tadeusz Czacki. Ihre Leidenschaft für das Sammeln von Büchern, Illustrationen,
Bildern und Landkarten war mit ihrem Glauben, dass das Volk lebt, solange es Stolz für
seine eigene Geschichte empfindet, untrennbar verbunden.
Eine besondere Stellung unter dieser Gruppe Gleichgesinnter hatte der 1748 in Wola
Mielecka geborene Józef Maksymilian Graf Ossoliński. Er war Patriot, Förderer der
Wissenschaften, Schriftsteller und vor allem bibliophil. Nach dem Verschwinden Polens
von der Europakarte verfiel er nicht in lähmende und entmutigende Resignation, sondern
fasste sogleich den Entschluss, eine Institution aufzubauen, die die Identität der unterjochten Nation bewahren und den Willen, sich von ihren Fesseln zu befreien, stärken
sollte. Ossoliński war ein herausragender Intellektueller und verfügte außerdem über ein
großes Vermögen, das es ihm erleichterte, seiner Leidenschaft für das Sammeln von Büchern und Kunstwerken nachzugehen. Er selbst hielt sich nicht für den Eigentümer, sondern eher für den Organisator und Verwalter der gesammelten Bestände. Augrund dieser
Einstellung, die für die Eliten der damaligen Gesellschaft äußerst selten war, entstand
die Idee Ossolińskis, eine Institution ins Leben zu rufen, die Kulturdenkmäler sammelte,
damit sie künftig dem Allgemeinwohl dienen könnten.
Es war jedoch kein leichtes Unterfangen, ein bibliothekarisch – museales Nationalinstitut aus der Taufe zu heben, das die nachfolgenden Generationen der Polen stets daran
zu erinnern hätte, wer sie einst gewesen waren, welche Traditionen sie gepflegt und
welche Literatur sie geschaffen hatten, bevor sie ihrer staatlichen Souveränität beraubt
wurden. Eine solche Institution musste auf einem der Teilungsgebiete entstehen. Die
Landgüter der Familie Ossoliński befanden sich in einem Gebiet, das nach 1772 Österreich zufiel. Ossoliński selbst ließ sich in den Neunzigerjahren des 18. Jahrhunderts in
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ADOLF JUZWENKO
Wien nieder, wo es ihm gelang, gute Beziehungen zum kaiserlichen Hof aufzubauen.
Diese Kontakte halfen ihm später bei der Umsetzung seines Vorhabens. Er fürchtete
aber, dass sein Ziel durch die Unbeholfenheit oder sogar durch die Gier seiner eigenen
Erben in Gefahr geraten könnte. Bei der Erarbeitung des rechtlichen Status für seine
Institution wollte er diese sowohl vor den Erben als auch vor den schwer vorherzusehenden Maßnahmen der Teilungsmächte bewahren.
Die Verbindung der zu bildenden Bibliothek mit den auf dem österreichischen Gebiet bestehenden Majoratsgütern hielt Ossoliński schlussendlich für eine gute legislative
Lösung, die seine Initiative vor beiden Besatzern schützen würde. Mit den rechtlichen
Grundlagen eines Majoratsgutes waren das Eigentum am Vermögen und der Grundsatz,
dass dieses Vermögen im Ganzen durch die nachfolgenden Generationen der zu derselben Familie gehörenden Erben vererbt wird, garantiert. Das Zamoyski-Majoratsgut
schien Ossoliński für diesen Zweck am würdigsten zu sein.
Die Anstrengungen Ossolińskis gingen mit den Napoleonischen Kriegen einher, die
seine Pläne, die mit Stanisław Zamoyski abgeschlossene Vereinbarung in die Tat umzusetzen, durchkreuzten. 1809 wurde Zamość von den Truppen des Herzogtums Warschau,
das damals unter dem Protektorat Frankreichs stand, eingenommen. Nach dem Wiener
Kongress fiel es Russland zu. In dieser Situation musste sich Ossoliński nach einem
anderen Sitz für seine Bibliothek umsehen. Noch im Jahre 1809 dachte er an Tarnów,
später zog er sogar Kraków in Erwägung. Schließlich entschied er sich für Lemberg, die
Hauptstadt Galiziens.
Im historischen Kontext schien eine solche Wahl mehr als begründet zu sein. Der in
den Jahren 1814-1815 tagende Wiener Kongress versuchte die Wogen der Unruhen in
Europa zu glätten. Die Teilungsmächte bemühten sich jeweils auf ihre eigene Art und
Weise darum, die Polen mit der Einführung von kleinen Verfassungs- und Kulturreformen für sich zu gewinnen. So ließ Kaiser Franz I. im Jahre 1817 die Lemberger Universität neu eröffnen. Die Amtssprache war zwar Deutsch, aber er genehmigte die Einrichtung eines Lehrstuhls für polnische Sprache und Literatur und die in Wien einberufene
Kommission beauftragte Ossoliński, das Programm für diesen Lehrstuhl vorzubereiten.
Für den Grafen bot sich eine hervorragende Gelegenheit, dem Kaiser die Stiftungsurkunde vorzulegen. Am 18. Oktober 1816 ließ er der kaiserlichen Kanzlei in Wien den
„Familienbeschluss über die Errichtung der öffentlichen Bibliothek unter der Schirmherrschaft der Familie Ossoliński in Lemberg“ zukommen. Dieses Dokument bestand
aus sechzig Paragraphen, in denen die Grundsätze zur Organisation und zum Unterhalt der Bibliothek genau geregelt wurden. Paragraph 1 enthielt Informationen über die
Sammlung Ossolińskis und über die Lokalisierung der künftigen Bibliothek. Im Paragraph 3 wurden die Prinzipien für die Finanzierung der Bibliothek festgelegt. Die
folgenden Paragraphen der Stiftungsurkunde regelten das Verfahren zur Bestellung des
Stiftungskurators und den Umfang seiner Pflichten. Am 4. Juni 1817 übernahm Kaiser
Franz I. die Schirmherrschaft über die Stiftung, indem er deren Entstehung zustimmte.
Ossoliński bemühte sich auch darum, dass die von ihm geschaffene Institution trotz
ihres öffentlichen und nationalen Charakters den Status eines Privateigentums behält.
DIE NATIONALSTIFTUNG VON JÓZEF MAKSYMILIAN GRAF OSSOLIŃSKI
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Eine solche Lösung sollte die Stiftung vor Beschlagnahme durch die Besatzungsmächte,
was in anderen Fällen passierte, schützen. Dem Grafen war das durch den Wiener Kongress eingeführte Prinzip der Rückgabe der den Privatpersonen geraubten Kulturgüter
bekannt. 1823 argumentierte er überzeugend in einem seiner Briefe, dass „es darum
geht, dass die Nationalstiftung (...) in privaten Händen bleiben soll. Was auch immer als
öffentlich gelten mag, darauf gedenkt der Besatzer des Landes (...), Ansprüche zu erheben, aber ihm steht im Gegenteil, zumindest in diesen aufgeklärteren Jahren, kein Recht
auf den Privatbesitz zu“. Die Schirmherrschaft des Kaisers sollte die Stiftung vor den
dem polnischen Volk nicht zugeneigten österreichischen Behörden schützen.
Ossoliński unternahm eine Reihe von Anstrengungen, um das möglichst weit reichende Engagement der polnischen Eliten für seine Initiative zu gewinnen. Er war sich
dessen wohl bewusst, dass er nur dann eine große nationale bibliothekarisch – museale
Institution aufbauen könnte, wenn ihr aus möglichst vielen Quellen Fördergelder zufließen würden. Nachdem seine Vereinbarung mit Zamoyski gescheitert war, suchte er
nach einem anderen Majoratsgut, das Unterstützung für sein Projekt bieten würde. Die
Wahl Ossolińskis fiel auf Henryk Fürst Lubomirski (1777-1850) aus Przeworsk. Für
Lubomirski sprachen seine Leidenschaft und seine Liebe zu Literatur und Kunst. Das
Übereinkommen mit Lubomirski eröffnete neue Möglichkeiten: es konnte nun eine Institution mit einem stabilen finanziellen Fundament und wesentlich erweiterten Sammelgebieten geschaffen werden; die Sammlungen der Familie Ossoliński machten hauptsächlich Bücher sowie die im Besitz der Familie Lubomirski befindlichen Kunstgegenstände - Malereien, Miniaturen, Skulpturen, Waffen und Zeichnungen alter Meister
– aus, die von unschätzbarem Wert waren.
Das Übereinkommen zwischen Ossoliński und Lubomirski wurde am 25. Dezember
1823 geschlossen. Von den Parteien wurde vereinbart, dass der Fürst „seine Sammlungen, bestehend aus Büchern, Medaillen, Gemälden und Antiquitäten (...) der genannten
Ossoliński-Bibliothek übergibt und einverleibt (...). Die Gegenstände dagegen, die einmal in die Bibliothek aufgenommen werden, werden einen gemeinsamen Korpus bilden
und dürfen von niemanden von dort genommen, übertragen, von ihr getrennt und geteilt
werden und werden für ewige Zeiten unberührt bleiben“. Das Übereinkommen sah außerdem vor, dass ein Teil des künftigen Ossolineums für die Sammlungen der Lubomirskis eingerichtet würde. „Dieser Teil und die zu ihm gehörenden Gegenstände werden
für ewige Zeiten den Namen Musaei Lubomirsciani tragen“ – liest man im Inhalt des
Übereinkommens.
Außerdem einigte man sich darauf, dass die Lubomirskis der Stiftung vorstehen würden, indem sie das erbliche Amt des Literarischen Kurators übernähmen, unter der Bedingung freilich, dass sie das Majoratsgut Przeworsk gründen und zur Finanzierung des
im Entstehen begriffenen Museums verwenden würden.
In der Zusatzurkunde zum Stiftungsvertrag vom 15. Januar 1824 trennte Ossoliński
das literarische und wirtschaftliche Kuratorium voneinander und legte Pflichten fest,
die die einzelnen Einheiten erfüllen sollten: „Die Verwaltung des in seinem Wesen als
Einheit bestehenden Kuratoriums soll von zwei Beamten ausgeübt werden, d.h. vom
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ADOLF JUZWENKO
Kurator der Literarischen Abteilung und vom Kurator der Wirtschaftlichen Abteilung,
d.h. vom Verwalter der für den Literarischen Fonds bestimmten Güter“. Sehr präzise
wurde ebenfalls das Verfahren zur Berufung des Direktors, des Kustoden und anderer
Mitarbeiter, die je nach Bedarf der Bibliothek beschäftigt werden sollten, festgesetzt. Er
wandte sich ebenfalls an die Öffentlichkeit mit der Bitte, Schenkungen für die Bibliothek
zu tätigen und beschrieb die Umstände, unter denen das Vermögen des Majoratsguts
Przeworsk in den „Fonds der Ossoliński-Bibliothek eingeschlossen werden sollte“.
Obwohl dies in den offiziellen den österreichischen Behörden vorgelegten Dokumenten nicht festgestellt werden durfte, galt das Ossolineum im Allgemeinen als Nationalinstitut aller Polen, sowohl derjenigen die in preußischen und russischen Teilungsgebieten
lebten als auch jener, die in der ganzen Welt zerstreut waren. Neben den Mitteln des Stifters sollten die Gelder für den Unterhalt des Institutes von sämtlichen an der Entwicklung
dieser Einrichtung interessierten Personen stammen. Die Stiftung Ossolińskis war somit
keine Institution, die dem Haushalt der Stadt Lemberg unterstand oder durch ihn finanziert wurde - einer Stadt, die außer von Polen auch von Menschen anderer Nationalitäten
bewohnt wurde, insbesondere von Juden, die zahlenmäßig am zweiten Platz hinter den
Polen lagen, und von Ukrainern, die ihre eigenen staatspolitischen Ansprüche erhoben.
In den Zwanzigerjahren des 18. Jahrhunderts verschlechterte sich der gesundheitliche Zustand Ossolińskis. Im Jahre 1823 erblindete er. Die Eile, mit der er seine Arbeit an
zwei weiteren am 15. Januar 1824 von ihm unterzeichneten Dokumenten - dem Kodizil
und der Zusatzurkunde zum Stiftungsvertrag - fortsetzte, war daher verständlich.
J.M. Ossoliński war es nicht mehr vergönnt, die Eröffnung des Nationalinstituts zu
erleben. Er verstarb im Jahr 1826 in Wien. Den bestehenden Rechtsakten zufolge wurden
alle mit der Umsetzung der Stiftungsbestimmungen verbundenen Pflichten Henryk Lubomirski übertragen. Eine der ersten Aufgaben, die er realisieren konnte, war die Überführung der Bücherbestände des Ossolineums nach Lemberg. Mit diesem Unterfangen
wurde Jan Gwalbert Pawlikowski beauftragt, der die Sammlung des Stifters in fünfzig
riesigen Kästen nach Lemberg brachte und im ehemaligen Karmeliterinnenkloster, das
Ossoliński 1817 mit dem Gedanken an den Stiftungssitz erworben hatte, unterbrachte.
Die Jahre 1827-1828 waren für die Geschichte des Institutes von großer Bedeutung.
Diese Zeit wurde durch einige Ereignisse geprägt, die einen normalen Betrieb der Ossoliński-Stiftung ermöglichten. Das erste Ereignis war die Vereidigung Henryk Lubomirski zum literarischen Kurator, das zweite die Ernennung des 69jährigen Priesters Franciszek Siarczyński zum Direktor der Einrichtung und das dritte Ereignis war schließlich
die Einholung der Genehmigung für die Einrichtung der Druckerei, einer lithographischen Werkstatt und für die Herausgabe einer Zeitschrift. All diese Umstände bewirkten, dass das Jahr 1827 als das tatsächliche Eröffnungsjahr des Ossoliński-Nationalinstitutes betrachtet wird. Die einzige noch nicht erledigte Aufgabe war die Eröffnung
des Leseraums. Darauf musste man noch bis zum Jahre 1832 warten.
1850 verstarb Fürst Henryk Lubomirski. In seinem am 16. April angefertigten Testament steht: „Ich flehe meinen Sohn beim Heiligtum des väterlichen Segens an, dass
er immer eingedenk meines Willens sei, eingedenk seiner hervorragenden Vorfahren,
DIE NATIONALSTIFTUNG VON JÓZEF MAKSYMILIAN GRAF OSSOLIŃSKI
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die für das Wohl des Landes und seines Ruhmes ihr Leben und Vermögen opferten, und
sage, dass er das Ossoliński-Nationalinstitut (...) leiten und sein ganzes Leben lang aus
aller Kräften danach streben und Beispiel geben möge, damit es die herrlichsten Früchte
tragen könnte (...) Das ist mein letzter Wille.“
Schwierig war dieses Testament. Die Nachfahren des Fürsten haben sich davon überzeugen können. Sein Sohn konnte den Posten des Literarischen Kurators jahrelang nicht
übernehmen. Dies machte die österreichische Staatsgewalt unmöglich. Der Fürst zahlte
damit seinen Preis für die von Wien unabhängige politische Tätigkeit. Die Zustimmung
für den Beschluss über das Majoratsgut Przeworsk kam erst nach 18 Jahren – am 9. Mai
1868.
In den Dreißiger- und Vierzigerjahren des 19. Jahrhunderts wurde das Ossolineum auf
eine schwere Probe gestellt. Im November 1830 brach auf den russischen Teilungsgebieten ein Aufstand aus, der dem polnischen Volk erneut die Hoffnung auf Unabhängigkeit gab. Der Nachklang des Novemberaufstandes ging über die Grenzen des russischen
Teilungsgebietes hinaus und erreichte Lemberg. Die österreichische Regierung begann
das Leben der Polen und somit auch das Ossolineum in jeder Hinsicht zu kontrollieren.
Die Tätigkeit von Konstanty Słotwiński, dem damaligen Direktor des Institutes, wurde
aufgedeckt. Er gab nämlich Veröffentlichungen heraus, die die laufenden Diskussionen
über die Gründe der Niederlage des Novemberaufstandes, über den Sinn militärischer
Handlungen sowie über die Maßnahmen zur Erlangung der Souveränität erörterten.
Auf die Spur der konspirativen Drucke kam die österreichische Polizei im Jahr 1834.
Słotwiński wurde festgenommen und nach einem dreijährigen Prozess (1834-1837) zu
acht Jahren Gefängnis in der Festung Kufstein verurteilt. Die konspirative Tätigkeit des
Direktors zog ernste Konsequenzen nach sich: der Leseraum des Ossolineums wurde
geschlossen, die Druckerei versiegelt und die Genehmigung für die Herausgabe von
Zeitschriften entzogen. Das Ossolineum durfte seine volle Tätigkeit erst 1848, nach dem
Völkerfrühling, wieder aufnehmen.
Die Repressionen, von denen das Institut betroffen war, machten dem Kurator, der
Direktion und den Mitarbeitern klar, dass sie besonders vorsichtig sein müssten, wenn
sie sich für illegale Vorgehensweisen entscheiden würden, denn solche Maßnahmen
konnten zur Liquidation des Ossolineums führen. Allerdings überwogen positive Urteile
über das Engagement des Ossolineums in National- und Befreiungsangelegenheiten – in
der Gesellschaft stieg sein soziales Ansehen und der Ruf des Ossolineums als einer Institution, die sich für Polen einsetzte und im Kampf um die Unabhängigkeit engagiert wäre,
wurde immer stärker. Nach 1860 gewann Galizien seine Autonomie. Die Demokratisierung der Habsburgermonarchie trug zur dynamischen Entwicklung der polnischen und
ukrainischen Nationalbewegungen bei und erleichterte die Tätigkeit des Ossolineums.
1869 wurden die Bestände der Przeworsk-Kunstsammlungen nach Lemberg überführt, nach zwei weiteren Jahren wurde das Museum der Familie Lubomirski eröffnet.
Es wurden Ausstellungen veranstaltet und Führer herausgegeben. Die Bestände des
Museums vergrößerten sich hauptsächlich durch die Hinzufügung von weiteren Schenkungen. Die Exponate wurden in der Gemäldegalerie, in der Waffenkammer und im
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ADOLF JUZWENKO
Kabinett für polnische Münzen und Medaillen ausgestellt. Im Jahre 1921 übergab die
Familie Pawlikowski aus Medyka dem Nationalinstitut reiche Sammlungen von Büchern, Zeichnungen, Illustrationen und Landkarten und bereicherte somit die Bestände
des Ossolineums außerordentlich.
Andrzej Lubomirski (1862-1953), Sohn von Jerzy, übernahm 1881 das Kuratorium.
Seine Pflichten übte er bis 1944 aus. Das Ossolineum galt damals als die wichtigste
polnische wissenschaftlich-kulturelle Institution. Hierher pilgerten Polen aus allen Teilungsgebieten. Die Bibliotheks- und Kunstsammlungen des Ossolineums wurden immer
umfangreicher, die Druckerei gab monumentale historische, linguistische, literarische
Werke und vor allem Schulbücher heraus. Einen besonderen Platz in der Schatzkammer
des Ossolineums hatte die polnische Literatur des 19. Jahrhunderts. Die Handschriften
so herausragender Polen wie A. Mickiewicz, J. Słowacki, H. Sienkiewicz, S. Żeromski
und W. S. Reymont wurden hier aufbewahrt.
1918 gingen die Träume von sechs polnischen Generationen, die seit den Teilungen
ohne ihr souveränes Land lebten, in Erfüllung – unser Land hat seine Unabhängigkeit
wieder erlangt. Das Ossolineum als nationales Wissenschafts- und Kunstzentrum leistete einen wesentlichen Beitrag dafür, seine Bedeutung nahm auch nach dem Jahre 1918
nicht ab. Im unabhängigen Polen erweiterten sich seine Bestände und die Bücher mit
dem Ossolineum-Emblem wurden in jedem polnischen Haushalt gelesen.
Der Gründer des Ossoliński-Nationalinstitutes hatte seinen rechtlichen Status wohl
überlegt und vorsorglich erarbeitet. Was aber 1939 und in den Folgejahren passierte,
ließ sich jedoch nicht vorhersehen. Das im August 1939 zwischen Nazideutschland und
Sowjetrussland abgeschlossene Abkommen und deren gemeinsamer Überfall auf Polen
hatte nicht nur die Niederlage Polens zur Folge, sondern war der Beginn eines Krieges,
dessen Folgen die Welt immer noch zu spüren hat.
Zu Beginn des Krieges – insbesondere im September 1939 – wurde den Beständen
des Institutes und des Museums eine Reihe von Leihgaben von Institutionen und Personen übergeben, die Festnahmen, Deportationen oder die Beschlagnahme ihres Vermögens durch sowjetische Behörden befürchteten, da das Ossolineum großes soziales
Ansehen genoss. Mit der Übergabe an das Ossolineum wurde diesen Werken allerdings
keine Sicherheit gewährt.
Die sowjetischen Besatzer stellten auf den ostpolnischen Gebieten geltendes Recht,
Tradition und Eigentum in Frage, sie missbrauchten die menschliche Würde und stachelten den Klassen- und Völkerhass an. Die Nazis benahmen sich nach der Besetzung dieser Gebiete im Jahre 1941 noch schlimmer. Sowohl die Sowjets als auch die Deutschen
haben die Sammlungen des Ossolineums verstaatlicht.
Während des Zweiten Weltkrieges wurden die Buchbestände des Ossolineums in
die Staatsbibliothek Lemberg eingeschlossen. Die satzungsmäßigen Organe des Ossolineums waren allerdings konspirativ tätig. Andrzej Fürst Lubomirski leitete das Nationalinstitut als dessen literarischer Kurator. Es ist darauf hinzuweisen, dass Lubomirski im
Jahre 1942 achtzig Jahre alt wurde und seine Funktion seit über sechzig Jahren bekleidete. 1941 beauftragte er Prof. Mieczysław Gębarowicz (1893-1984) mit der Leitung
DIE NATIONALSTIFTUNG VON JÓZEF MAKSYMILIAN GRAF OSSOLIŃSKI
41
des Nationalinstitutes. Auf Befehl der Besatzungsmächte trat er die Stelle eines kommissarischen Verwalters der Bestände des Ossolineums an. Fürst Andrzej Lubomirski
ernannte ihn im April 1943 heimlich zum Direktor des Nationalinstitutes. Gębarowicz
äußerte sich dazu mit folgenden Worten: „Es war mir klar, dass ich eine Last auf meine
Schulter nehme, die keiner meiner Vorgänger tragen musste. Ich habe mich dazu nur deswegen entschlossen, weil ich einen unerschütterlichen Glauben daran habe, dass es mir
gelingt, einen Kreis von ideell handelnden Mitarbeiter um mich zu versammeln und dass
wir das Institut aus der bestehenden Schwäche gemeinsam emporheben und gestärkt an
den Nachfolger übergeben“.
Gębarowicz blieb dem Ossolineum bis zu seinem Tode treu. Er verließ Lemberg
nicht, als die polnische Bevölkerung infolge der Jalta-Verträge aus der Stadt vertrieben
wurde. Er war der Meinung, dass er diesem Teil der Sammlungen des Ossolineums, die
nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nach Breslau überführt wurde, beistehen müsste.
Anders verlief das Leben von Andrzej Fürst Lubomirski. Er war ein vermögender
Landherr und machte sich keine Illusionen darüber, was ihm und seinen Nächsten zustoßen könnte, wenn das polnische Gebiet unter sowjetische Besetzung fallen würde. Dies
brachte er in seinen Briefen an Gębarowicz zum Ausdruck. Seinen letzten Brief vom
27. Juli 1944 beschloss er mit folgenden Worten - ganz so, wie es sich für einen Kurator
gehört: „Ich freue mich, dass das Dach soweit repariert ist, dass die Bücher durch Überschwemmung nicht bedroht sind. Ich bitte um Nachrichten an folgende Adresse“. Fürst
Lubomirski erhielt aber weder vom Lemberger noch vom späteren Breslauer Sitz des
Ossolineums Nachrichten.
Nach dem Krieg lag unser Land in Schutt und Asche. Neues Leben begann in den
Trümmern. Polnische Museen und Bibliotheken wurden zerstört und die Bestände geplündert. Von heute auf morgen wurde dem polnischen Adel fast alles weggenommen:
Vermögen, Würde, das Recht auf die eigene Geschichte und ein Leben in Würde. Fürst
Lubomirski verließ das unter sowjetischer Besatzung stehende Land und entschied sich
für das Exil.
Das Ossolineum ließ ihn aber nicht los. Er dachte bis an das Ende seiner Tage daran.
Als er bereits im Exil war, wandte er sich in einem Appell an den Minister für Kultur und
Kunst der Republik Polen in Warschau und forderte, „unverzügliche Schritte zu unternehmen, damit die umfangreichen Sammlungen und polnisches Kunst- und Kulturgut,
das seit über einhundert Jahren im Ossolineum gesammelt wurde, zurückgegeben werde“ und bat darum, dass die Werke bis zu deren Überführung nach Polen entsprechend
gesichert würden.
Nach dem Zweiten Weltkrieg begann in Breslau ein neues Kapitel in der Geschichte
des Ossolineums. Die Verschiebung der Grenzen brachte eine umfangreiche Umsiedlung
von weiten Teilen der Bevölkerung in ganz Europa mit sich. Für die Polen in Lemberg,
die zum Verlassen ihrer Häuser gezwungen wurden, war es kaum vorstellbar, dass sie die
Stadt ohne das Ossolineum verlassen würden.
1946 entstand ein polnisch-sowjetischer Vertragsentwurf des Vertrages, der vorsah, dass die Kulturgüter von den durch Polen verlorenen östlichen Woiwodschaften
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ADOLF JUZWENKO
zurückgegeben werden. Die Evakuierung der Bestände des Ossolineums erstreckte sich
nur auf einen beschränkten Teil der Sammlungen. Nach Breslau wurden nur 35% der
Bibliotheksbestände und vierundsiebzig Gemälde, die rund 5% der gesamten MalereiSammlungen ausmachten, überführt. Sie wurden allerdings nicht ins Ossolineum gebracht, sondern dem Nationalmuseum in Warschau und dem Schlesischen Museum in
Breslau übergeben.
Dieser so verkleinerte Teil der Sammlungen des Ossolineums hatte jedoch eine überaus große Bedeutung für das polnische Geistesleben der Nachkriegszeit. Auf Basis dieser Bestände entwickelten sich in Breslau geisteswissenschaftliche Universitätsinstitute
– vor allem das Institut für Polnische Sprache und Literatur und das Historische Institut.
Das polnische Forschungszentrum in Breslau formten in erster Linie die aus Lemberg
stammenden Gelehrten. Ihre Bemühungen gingen auch dahingehend, die OssolińskiStiftung wieder ins Leben zu rufen. Am 10. November 1946 fand das erste organisatorische Treffen des Verbandes der Freunde des Ossolineums statt, dem die Betreuung und
Verwaltung des Ossoliński-Nationalinstitutes übertragen wurde.
Die Versuche, dem Breslauer Ossolineum den Status einer Stiftung zu verleihen,
waren damals undurchführbar. In dem von den Kommunisten aufgezwungenen System
gab es keinen Platz für Stiftungen. Die Kommunisten beseitigten alle Erscheinungen
sozialen Charakters, indem sämtliche Anzeichen der von ihnen nicht kontrollierbaren
Initiativen vernichtet wurden. 1952 wurden die Stiftungen aufgehoben und das Nationalinstitut, geteilt in Bibliothek und Verlag, der Polnischen Akademie der Wissenschaften
einverleibt.
Diese Periode in der Geschichte Ossolineums lässt sich ähnlich wie das Leben der
Polen in den Zeiten der Volksrepublik Polen nicht eindeutig beurteilen. Das Leben in den
Zeiten der Volksrepublik Polen verlief in einer Stimmung voller Lügen und Heuchelei,
und war auch nicht selten voller Gemeinheit. Andererseits war diese Zeit auch von Heroismus, Edelmut und dem Willen, die im Laufe der Geschichte geschaffenen Werte zu
verteidigen, geprägt. Den Kampf um diese Werte haben die Polen mit unterschiedlicher
Intensität und unterschiedlichen Folgen vierzig Jahre hindurch geführt. Diejenigen, die
sich dafür stark engagierten, schöpften ihre Kräfte aus der über ein Jahrhundert langen
Tradition der Kämpfe um die Souveränität und aus ihrem Wissen vom Reichtum der
Sammlungen in den großen nationalen Institutionen wie dem Ossolineum. Nach 1989
wurden die Bestände des Nationalinstitutes um die Archive der polnischen Helden im
Kampf gegen die Nationalsozialisten und Sowjets – Jan Nowak Jeziorański, Władysław
Bartoszewski, Tadeusz Żenczykowski - bereichert. Auch Andrzej Wajda übergab seine
Drehbücher dem Ossolineum.
Im Februar 1991 beschloss der Wissenschaftliche Rat der Bibliothek am OssolińskiNationalinstitut, dass das Institut wieder den Status einer Stiftung erhalten sollte und
beauftragte den Direktor der Bibliothek, entsprechende Maßnahmen bei den Staatsorganen zu ergreifen. Er wurde ebenfalls verpflichtet, Bemühungen um die Gewährung
einer festen jährlichen Zuwendung aus den Mitteln der Staatskasse für die künftige Stiftung sowie um die Übernahme der Schirmherrschaft des Präsidenten der Republik Polen
DIE NATIONALSTIFTUNG VON JÓZEF MAKSYMILIAN GRAF OSSOLIŃSKI
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anzustellen. Diese Anstrengungen waren von Erfolg gekrönt. Im Januar 1995 verabschiedete der Sejm das Gesetz über das Ossoliński-Nationalinstitut. Das Gesetz entstand
in enger Zusammenarbeit mit Mieczysław Ledóchowski, dem letzten wirtschaftlichen
Kurator des Ossoliński-Nationalinstitutes. Das Institut wurde mit den zu Beginn des 19.
Jahrhunderts durch die Stifter formulierten Aufgaben betraut. Das Ossolineum erhielt
den Status einer öffentlichen Stiftung und wurde zum Nachfolger der Ossoliński-Stiftung erklärt.
Das Gesetz hat jedoch die historische Gestalt des Nationalinstitutes nicht wiederhergestellt. In seinen Strukturen wurde das Lubomirski-Museum nicht erwähnt, der Verlag
verblieb weiterhin außerhalb der Strukturen des Verlags.
Am 17. September 2002 unterzeichnete der Direktor des Ossolineums gemeinsam
mit den Enkeln von Andrzej Fürst Lubomirski, dem letzten Kurator und Majoratsherrn
von Przeworsk, einen „Feierlichen Beschluss“. Die Unterzeichner (Elżbieta Sapieha-Rufener, Jadwiga Sierakowska-Rej, Eustachy Sapieha, Antoni Potulicki, Andrzej Potulicki,
Kazimierz Potulicki) verpflichteten sich, „ (...) das Lubomirski-Museum im Rahmen des
Ossolineums wiederherzustellen und ihm seinen alten Glanz zu verleihen“, - „ (...) alle
möglichen Maßnahmen zur Wiedererlangung sämtlicher Exponate, die dem Willen von
Henryk Lubomirski und seiner Nachfolger zufolge dem Lubomirski-Museum übergeben
wurden, zu ergreifen“, und haben weiters die Erben von Andrzej Lubomirski und ihre
rechtlichen Nachfolger dazu aufgefordert, „den Willen ihrer Vorfahren zu achten und
ihre ehrenvollen Vorhaben fortzusetzen“.
Nach jahrelangen Bemühungen des Kuratorenrates und des Institutsdirektors änderte
das Parlament im Jahr 2007 zweimal das Ossolineum-Gesetz: am 11. Mai wurde die
Aufsicht über das Institut „dem für Kultur und Nationales Erbe zuständigen Minister“
übertragen. Das Institut wurde ebenfalls verpflichtet, „das Lubomirski-Museum zu unterhalten und dessen Bestände zu erweitern“; Am 5. Juli wurde der Artikel 6 des Gesetzes vom Jahre 1995 um einen Punkt ergänzt, in dem der für die Staatskasse zuständige
Minister dazu verpflichtet wurde, den Ossolineum-Verlag als staatliches Unternehmen
zu privatisieren und „alle Aktien und Anteile, die der Staat an der infolge der Kommerzialisierung des staatlichen Unternehmens zu entstehenden Gesellschaft übernimmt“
unentgeltlich der Stiftung des Ossoliński-Nationalinstitutes zu übergeben. Im Jahre 2007
– fast 190 Jahre nach der Gründung des Ossoliński-Nationalinstitutes – wurde ihm auf
diesem Wege fast sein gesamtes Vermögen zurückgegeben.
Adolf Juzwenko ist seit dem Jahr 1990 Direktor des Nationalinstituts Ossolineums. In
den Siebzigerjahren war er in der demokratischen Opposition aktiv. Von April bis September 1989 war er Vorsitzender des Breslauer Bürgerkomitees „Solidarność“, das zur
Vorbereitung der Teilnahme der Opposition für die Wahlen am 4. VI. 1989 einberufen
wurde. Er ist Autor zahlreicher Publikationen, insbesondere zum Thema der polnischrussischen Beziehungen
Isabel Röskau-Rydel
Von einer staatstragenden Nation zur unbedeutenden
Minderheit – Deutsche in Galizien (1772-1918)
Wenn man von dem Kronland Galizien und Lodomerien spricht, meint man vornehmlich die Gebiete Südostpolens, die Österreich aufgrund der zwischen den drei
Teilungsmächten Preußen, Russland und Österreich vorgenommenen Ersten Teilung
Polens 1772 erhielt. Diejenigen Gebiete, die Österreich dann noch in der Dritten Teilung 1795 hinzugewinnen konnte, verblieben jedoch nur wenige Jahre bei Österreich.
Im Rahmen dieser Annektierung wurde eine deutschsprachige Verwaltung eingerichtet,
für die zahlreiche deutsche bzw. deutschösterreichische Beamte, sowohl aus dem österreichischen Kernland als auch aus Böhmen und Mähren versetzt wurden. Eine kleinere
Anzahl dieses Verwaltungspersonals stammte aus den deutschen Ländern, ebenso wie
Unternehmer, Handwerker, Kaufleute und Bauern, die die Möglichkeit erhielten, sich in
dem neuen Kronland niederzulassen.
Die österreichische Regierung versuchte die Annektierung mit einem mehrere Jahrhunderte zurückreichendem historischen Ereignis zu legitimieren. So hatte Ende des 12.
Jahrhunderts für wenige Jahre der ungarische König Andreas als „Rex Galiciae“ und
später als „Rex Galiciae et Lodomeriae“ in dem (nach dem Tode des Fürsten Jaroslav
Osmomysel) verwaisten Halyčer Fürstentum regiert. Darauf berief man sich nun am
Wiener Hof und nannte das neue österreichische Kronland „Königreich Galizien und
Lodomerien“. Mit einer Fläche von rund 82.000 bis 89.000 km2, war dies der größte
und mit rund 2,5 Millionen Einwohnern auch der volkreichste Anteil des Territoriums,
welches Österreich in der Ersten Teilung erhielt. Als 1786 die Bukowina in Galizien eingegliedert wurde, vergrößerte sich das Gebiet nochmals um über 10.000 km2 und etwa
125.000 Einwohnern.1
Den restlichen Teil Kleinpolens mit Krakau (poln. Kraków) sowie die Gebiete bis zur
Pilica und zum Bug – darunter die Gebiete um Kielce, Lublin und Radom bis in die Nähe
von Warschau (poln. Warszawa) – mit einer Fläche von rund 47.000 km˛ und etwa 1,5
Millionen Einwohnern erhielt Österreich bei der Dritten Teilung Polens am 24. Oktober
1795. Im Jahre 1803 wurden schließlich diese als Neu- oder Westgalizien bezeichneten
Gebiete, die zunächst eine gesonderte Verwaltung in Krakau hatten, dem Kronland administrativ eingegliedert und unterstanden seitdem dem Landesgouverneur in Lemberg.
Aufgrund der napoleonischen Kriege wurden diese Gebiete sowie das auf der anderen
Weichselseite von Krakau gelegene Podgórze von polnischen Truppen besetzt und im
1
Rudolf A. Mark: Galizien unter österreichischer Herrschaft. Verwaltung – Kirche – Bevölkerung (= Historische und Landeskundliche Ostmitteleuropa-Studien, Bd. 13), Marburg 1994, S. 2-3; Zbigniew Fras: Galicja, Wrocław 1999, S. 5-12. Das Buch des leider viel zu früh verstorbenen Breslauer Historikers Zbigniew Fras gibt einen
sehr guten Überblick über die Geschichte des Kronlandes Galizien und Lodomerien und ist mit zahlreichen farbigen
Illustrationen versehen.
46
ISABEL RÖSKAU-RYDEL
Friedensvertrag von Schönbrunn 1809 dem Herzogtum Warschau zugesprochen. Wieliczka, das aufgrund seines Salzbergwerkes eine besonders wichtige wirtschaftliche Bedeutung hatte, wurde gemeinsamer Besitz Österreichs und des Herzogtums Warschau.
Erst nach der Niederlage Napoleons und nach den auf dem Wiener Kongress im Jahre
1815 getroffenen Bestimmungen erhielt Österreich die zum Teil verloren gegangenen
Gebiete der Ersten Teilung – darunter das Tarnopoler Gebiet, Podgórze und Wieliczka
– wieder zurück. Krakau dagegen nahm nun eine Sonderstellung ein, da es den Status
einer Freien Stadt sowie eine polnische Verwaltung erhielt. Allerdings stand es unter der
ständigen Aufsicht der drei Residenten der Teilungsmächte.2
Weitere Gebietsveränderungen traten dann noch 1818 (die Herzogtümer Auschwitz
(poln. Oświęcim) und Zator wurden Österreich-Schlesien eingegliedert), 1846 (Krakau
gelangte wieder unter österreichische Herrschaft), 1849 (der Kreis Czernowitz wurde
als „Herzogtum Bukowina“ zu einem eigenen Kronland erhoben) und 1866 (die Herzogtümer Auschwitz und Zator wurden wieder staatsrechtlich Galizien eingegliedert)
ein. Die 1866 erlangte Fläche Galiziens von etwa 80.000 km² blieb dann bis 1918 konstant.3
Das 1795 etwa 3,6 Millionen Einwohner zählende Kronland unterschied sich ethnisch und konfessionell sehr stark. Die ethnische Grenze zwischen West- und Ostgalizien verlief entlang der Flüsse San und Wisłok. In Westgalizien bildeten die katholischen
Polen die Mehrheit der Bevölkerung. Die Ruthenen, wie damals die Ukrainer genannt
wurden, bildeten dagegen in Ostgalizien die Bevölkerungsmehrheit, die zu über 90% als
Bauern auf dem Lande lebten. Sie gehörten in überwiegender Mehrheit der griechischkatholischen Kirche an, nur ein ganz kleiner Teil war griechisch-orthodox. Im Gegensatz
zu den römisch-katholischen Pfarrern blieb den griechisch-katholischen Pfarrern allerdings gestattet, zu heiraten. Eine größere Anzahl der Ruthenen in Westgalizien lebte in
Przemyśl und Umgebung sowie entlang des Flusses San. Juden lebten in ganz Galizien
und wohnten vornehmlich in den Städten in abgesonderten Stadtteilen.
Im Jahre 1828 wurden in Galizien insgesamt 4.435.435 Einwohner gezählt, darunter 2.005.773 Katholiken, 1.967.265 Griechisch-Katholische, 193.575 Orthodoxe und
249.125 Juden.4
Fras: Galicja (wie Anm. 1), S. 13-16.
Mark, S. 3-4.Vgl. auch die Studien von Stanisław Grodziski, u.a.: Bemerkungen über die Verfassung und die rechtliche
Lage Galiziens im Rahmen der Habsburger Monarchie, in: Archiwum Juridicum Cracoviense, Vol. XVII (1984), S. 4152 (Sonderdruck); Die Beziehungen zwischen Österreich und Polen im Lichte der polnischen Historiographie des 19.
Jahrhundert, in: ÖOH, 32. Jg. (1990), H. 2, S. 240-252; Der Josephinismus und die polnische Gesellschaft am Ende des
18. Jahrhunderts. Absichten und Errungenschaften, in: Modernisierung und nationale Gesellschaft im ausgehenden 18.
und 19. Jh.: Referate einer deutsch-polnischen Historikerkonferenz, hrsg. v. Werner Conze, Gottfried Schramm und
Klaus Zernack, Berlin 1979. (= Osteuropastudien der Hochschulen des Landes Hessen. R. 1: Gießener Abhandlungen
zur Agrar- und Wirtschaftsforschung des europäischen Ostens, Bd. 99), S. 34-47; W Królestwie Galicji i Lodomerii,
Kraków 2005.
4
Isabel Röskau-Rydel (Hg.): Galizien, Bukowina, Moldau, Berlin 1999 (= Deutsche Geschichte im Osten Europas), S. 48f.
Zur demographischen Entwicklung Galiziens von 1772-1848 und den mit den bei der Berechnung der
Einwohnerzahl verbundenen Problemen vgl. Mark: Galizien (wie Anm. 1), S. 51-68.
2
3
DEUTSCHE IN GALIZIEN (1772-1918)
47
In Lemberg (poln. Lwów, ukr. L’viv), der Hauptstadt Galiziens, wurden 1773 lediglich 22.545 Einwohner gezählt. Bis 1795 wuchs die Zahl der Einwohner auf 38.749
an. In Lemberg lebten mehrheitlich Polen, darunter zahlreiche polnische Adelsfamilien,
die in Ostgalizien ihre großen Ländereien und in der Hauptstadt meist noch ein Stadtpalais besaßen. Daneben gab es eine große Anzahl polnischer katholischer Geistlicher,
die den hier zahlreich vertretenen Orden angehörten. Zur Besonderheit Lembergs zählte,
dass die Stadt seit 1808 Sitz dreier Erzbistümer war, nämlich des römisch-katholischen,
griechisch-katholischen und des armenisch-katholischen Ritus. Daneben gab es eine nur
wenige Mitglieder aufweisende evangelische Gemeinde. In Lemberg lebte lediglich eine
kleinere Zahl von Ruthenen, vornehmlich Vertreter der gebildeten Schicht, meist Familien der griechisch-katholischen Geistlichen. Einen zahlenmäßig bedeutenden Anteil an
der Stadtbevölkerung hatten die Juden. Die alteingesessene jüdische Gemeinde zählte
1797 12.730 Personen, die demzufolge rund 30% der Stadtbevölkerung repräsentierten
und hauptsächlich als Kleinhändler und Handwerker ihren Lebensunterhalt verdienten.
Ebenso wie die Deutschen, Polen und Juden hatten sich auch die Armenier im frühen
Mittelalter in Lemberg niedergelassen. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es
nur eine ganz kleine, 200-300 Personen zählende armenische Gemeinde in der Stadt.
Aufgrund ihrer Bildung, ihrer Sprachkenntnisse und ihrer weitreichenden Kontakte mit
dem Orient spielten die Armenier insbesondere in der Wirtschaft eine bedeutende Rolle
und genossen als wohlhabende Bürger großes Ansehen in der Stadt und in ganz Galizien.
Die Umgangssprache der Armenier war das Polnische, das Armenische wurde dagegen
meist nur noch im Gottesdienst verwendet.5
Die Errichtung der deutschsprachigen Verwaltungs- und
Bildungsinstitutionen
Mit der Einführung der österreichischen Verwaltung fand eine neue Verwaltungsgliederung in zuerst 59 (1773), dann in 19 (1777) Bezirke statt, die jeweils in sechs Kreisen
zusammengefasst waren. Diese administrative Umgestaltung wurde auch als Einrichtungswerk bezeichnet. Im Rahmen einer weiteren Verwaltungsreform im Jahre 1782
wurden die bestehenden Bezirke in 18 Kreise umgewandelt, wobei die zwei Bezirke Kolomea (poln. Kołomyja, ukr. Kolomyja) und Tyśmenica zu einem Kreis Stanislau (poln.
Stanisławów, ukr. Stanislaviv, heute: Ivano-Frankivsk) zusammengelegt wurden. Die
Bukowina, die bis 1786 unter militärischer Verwaltung stand, wurde nun als 19. Kreis
Czernowitz (poln. Czerniowce, ukr. Černivci) Galizien angeschlossen. Dieser Kreis unterschied sich aufgrund der andersartigen ethnischen und konfessionellen (hier lebten
mehrheitlich orthodoxe Christen, vornehmlich Rumänen) Zugehörigkeit der Bevölke5
Isabel Röskau-Rydel: Kultur an der Peripherie des Habsburger Reiches, Die Geschichte des Bildungswesens
und der kulturellen Einrichtungen in Lemberg von 1772 bis 1848, Wiesbaden 1993 (=Studien der Forschungsstelle
Ostmitteleuropa an der Universität Dortmund 15), S. 60-61, 352-355. Vgl. auch die Beiträge des Katalogs der Lemberg
gewidmeten Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien im Jahre 1993 unter dem Titel:
Lemberg/L’viv 1772-1918. Wiederbegegnung mit einer Landeshauptstadt der Donaumonarchie, Wien 1993.
48
ISABEL RÖSKAU-RYDEL
rung sehr stark von den anderen galizischen Kreisen. Erst 1849 wurde der Kreis Czernowitz, wie schon erwähnt, ein eigenständiges Kronland.
In den ersten Jahren war das Landesgubernium in Lemberg mit dem Landesgouverneur an der Spitze damit beschäftigt, geeignete Beamte, die nicht unbedingt über
polnische, dafür aber allgemein über „slawische Sprachkenntnisse“ verfügen mussten
bzw. sollten, für den Aufbau der staatlichen Behörden in ganz Galizien zu finden. Amtsund Unterrichtssprache war Deutsch und anfangs auch zum Teil Latein, so dass Polen,
Ruthenen, Armenier und Juden nun gezwungen waren, sich der deutschen Sprache in
den Ämtern und den Bildungseinrichtungen zu bedienen. Die katholischen Geistlichen
konnten sich mit Latein weiterhelfen, der polnische Adel und die gebildete Bürgerschicht
sprachen mit den höheren deutschösterreichischen Beamten und Offizieren vornehmlich
Französisch. Die ruthenischen und polnischen Bauern sowie die Handwerker waren dagegen auf Sprachmittler angewiesen, die sie bei ihren Behördengängen begleiteten.
Die österreichische Regierung versuchte diesem Umstand der Mehrsprachigkeit
Rechnung zu tragen und suchte insbesondere Beamte, die aus Böhmen und Mähren sowie Österreichisch-Schlesien stammten und neben Deutsch auch Tschechisch oder gegebenenfalls auch Polnisch sprachen. Bei der Errichtung eines allgemeinen Schulwesens
war man gleichermaßen auf zweisprachige Erzieher angewiesen, so dass man Lehrer,
die der deutschen und polnischen Sprache mächtig waren, aus Preußisch-Schlesien, dem
Ermland und allgemein aus den deutsch-polnischen Kontaktgebieten in Preußen zu gewinnen versuchte.
Ausschlaggebend für Kaiserin Maria Theresias Entscheidung, die deutsche Sprache
als Unterrichtssprache ohne Übergang einzuführen, war die Überzeugung ihrer Beamten
in Galizien, dass die polnische Sprache in keine „sicheren Regeln gebracht” werden
könne „und in verschiedenen Provinzen Polens anders gesprochen” würde und dass die
ruthenische Sprache „eine Art der russischen oder illyrischen (...) Sprache des gemeinen Mannes” sei und daher der Kaiserin als Unterrichtssprache ebenfalls nicht geeignet
schien.6
Zur Einrichtung eines deutschen Schulwesens in Galizien wurde 1778 eine eigene galizische Schulkommission mit Sitz in Lemberg gegründet. Die deutschsprachigen Schulen standen sowohl den Kindern der zugezogenen deutschösterreichischen Beamten als
auch den Kindern der einheimischen Bevölkerung offen. Auch wenn das Unterrichtsniveau anfangs in den Schulen noch relativ niedrig gewesen sein mag, so entstand doch
mit der Herausgabe der „Allgemeinen Schulordnung für die deutschen Normal-, Hauptund Trivialschulen in sämtlichen K.K. Erbländern“ im Jahre 1774 auch in Galizien die
Grundlage für ein einheitliches staatliches Schulwesen. Da das galizische Landesgubernium mit der Einrichtung von Schulen in ganz Galizien anfangs überfordert war, richtete
6
Joseph Alexander Freiherr von Helfert: Die österreichische Volksschule. Geschichte, System, Statistik. Bd. 1: Die
Gründung der österreichischen Volksschule durch Maria Theresia, Prag 1860, S. 461-462 ; vgl. auch Horst Glassl: Das
österreichische Einrichtungswerk in Galizien (1772-1790), Wiesbaden 1975 (= Veröffentlichungen des OsteuropaInstitutes München. Reihe: Geschichte, Bd. 41), S. 34-38, 54-57, 60-63, 73-75.
DEUTSCHE IN GALIZIEN (1772-1918)
49
es zunächst sein besonderes Augenmerk auf die Hauptstadt Lemberg, in der sich das
staatliche Schulwesen im Vergleich zu den Kreisstädten relativ zügig entwickelte.7
1784 wurde in Lemberg dann auch eine Universität gegründet, in der in den ersten
Jahren Vorlesungen in lateinischer und erst ab 1790 in deutscher Sprache gehalten wurden. Als auf kaiserlichem Befehl im August 1805 die Zusammenlegung der Universitäten Krakau und Lemberg durchgeführt wurde, wurde die Lemberger Universität zu
einem Lyzeum degradiert. 1815 besaß Galizien vorübergehend keine Universität mehr,
da die Krakauer Universität, nun mit polnischer Unterrichtssprache, nur noch der Freien
Stadt Krakau zur Verfügung stand. Erst 1817 wurde das Lyzeum in Lemberg wieder zu
einer Universität erhoben.
Die Gründung deutscher Kolonien in Galizien
Seit Beginn der Annektierung der südpolnischen Gebiete lebten neben den deutschösterreichischen Beamten in Galizien ebenso deutschösterreichische Offiziere in den
Garnisonsstädten Lemberg, Krakau und Przemyśl. Diese Personengruppen ließen bald
nach ihrer Ankunft ihre Familien nachkommen oder gründeten in Galizien Familien, so
dass neben den deutschösterreichischen Verwaltungsbeamten und dem österreichischen
Militärpersonal dann auch mit der Errichtung der Schulen deutsche Lehrer und deren
Familien einen Teil der deutschen Bevölkerung in Galizien bildeten.
Gesucht wurden aber nicht nur Beamte, sondern auch Handwerker und Kaufleute, wenig später dann auch Bauern. In dem am 1. Oktober 1774 von Maria Theresia ausgestellten Patent wurden katholische Kaufleute, Handwerker und Unternehmer im In- und Ausland zu einer Ansiedlung in Galizien eingeladen. Protestanten dagegen erhielten zunächst
nur eine eingeschränkte Niederlassungserlaubnis für vier galizische Städte, nämlich für
Lemberg, Jaroslau (poln. Jarosław), Zamość (das damals zu Galizien gehörte) und Zaleszczyki (ukr. Zališčyky), gemäß einem weiteren Patent vom 16. November 1774 durften
sie sich dann auch noch in Kazimierz bei Krakau und in Brody niederlassen. Außerdem
erhielten sie das Recht, Gottesdienste in privaten Gebetshäusern abzuhalten. Aber erst das
am 17. September 1781 von Joseph II. ausgestellte Ansiedlungspatent gewährte den evangelischen Ansiedlern sehr viel größere Begünstigungen sowie ein Niederlassungsrecht
nicht nur in den galizischen Städten, sondern auch auf dem Lande. Einen Monat später,
am 13. Oktober 1781, gewährte Kaiser Joseph II. den Protestanten Augsburgischer und
Helvetischer Konfession, wie auch den nichtunierten Griechen weitere religiöse Freiheiten, die im Toleranzpatent vom 10. November 1781 veröffentlicht wurden.8
Im Rahmen des von Kaiser Joseph II. ausgestellten Ansiedlungspatentes folgten seit
1782 diesem Ruf zahlreiche Bauern sowie auch Handwerker und Gewerbetreibende. Die
Mehrzahl der deutschen Kolonien entstanden in Ostgalizien in der Umgebung von Lemberg, Sambor, Drohobycz, Stryj, Dolina, Stanislau, Kolomea, zwischen Jaroslau und
Röskau-Rydel: Kultur an der Peripherie des Habsburger Reiches (wie Anm. 3), S. 63-68.
Quellenbuch zur deutschen Ansiedlung in Galizien unter Kaiser Joseph II., hrsg. in Zusammenarbeit mit Joseph Lanz von Fritz Seefeldt, Plauen i. V. 1935 (Reprint: Berlin 1990), S. 18-25.
7
8
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ISABEL RÖSKAU-RYDEL
Rawa Ruska sowie zwischen Rawa Ruska und Brody. In Westgalizien entstanden insbesondere in der Umgebung von Neu Sandez (poln. Nowy Sącz) deutsche Kolonien sowie
zwischen Krakau und Tarnów, an der Mündung der Wisłoka in die Weichsel sowie am
San an der Grenze zum Kreis Zamość, in dem es auch Pfälzer Kolonien gab; allerdings
gehörte der Kreis Zamość seit 1809 nicht mehr zu Galizien.
Zwischen 1782 und 1803 gelangten vornehmlich aus der Pfalz sowie aus Baden, also
aus dem Südwesten Deutschlands, 3.332 Familien nach Galizien, insgesamt etwa 15.000
Einwanderer. Von diesen Familien waren etwa 40% katholisch und 60% evangelisch
(lutherisch und reformiert/helvetisch). Bis zur Einstellung des so genannten josephinischen Kolonisationswerkes wurden insgesamt 130 Kolonien in Galizien gegründet.
Bei der Gründung der Kolonien wurde darauf geachtet, die konfessionelle Einheit
zu bewahren. Daher entstanden in der Mehrheit reine katholische oder evangelische
Kolonien, nur selten gemischte Kolonien.9 Daneben wurde auch noch ein Unterschied
zwischen reformierten und nicht reformierten Protestanten gemacht, die ebenfalls in eigenen Kolonien angesiedelt wurden. Der erste Superintendent Galiziens war Samuel
Bredetzky, der die evangelischen Kolonien seelsorgerisch betreute, Listen der Familien
erstellte und nebenbei auch Reisebeschreibungen verfasste. Eine auf den von Bredetzky
1814 und 1815 gesammelten Zahlen basierende Schätzung der evangelischen Deutschen
nimmt eine Zahl von 13.500 Evangelischen in diesem Zeitraum an. Die Zahl der katholischen Deutschen wird auf 12.500 Personen geschätzt.10
Neben den evangelischen Ansiedlern gab es noch 28 mennonitische Familien, die sich
in zwei eigenen Kolonien in Ostgalizien (Einsiedel und Falkenstein) niederließen. In einem sog. Schutzprivileg vom 30. Juni 1789 befreite Kaiser Joseph II. die galizischen Mennoniten von der Militärpflicht und der Eidesleistung, die diese aus religiösen Gründen ablehnten. Eine Ansiedlung weiterer mennonitischer Familien schloss er gleichzeitig aus.11
Die deutschen Kolonisten, denen 1781 zahlreiche Privilegien für ihre Ansiedlung
versprochen worden waren, waren nicht immer zufrieden mit der Lage der ihnen zugewiesenen Ansiedlungsorte. Die Ansiedlungsbehörden eröffneten häufig in weit entlegenen Gegenden Kolonien, zum Teil sogar Zwergkolonien, die häufig nicht überlebensfähig waren. Im Laufe der Ansiedlung wurden auch Veränderungen am Patent von 1781
vorgenommen, die 1787 in dem „Hauptnormale über das Ansiedlungswesen“ ihren Ausdruck fanden. So wurde nicht mehr allgemein eine zehnjährige Grundsteuerbefreiung
zugesichert, sondern nur noch für Ödland, das erst kultivierbar gemacht werden musste.
Für kultivierte Grundstücke wurde nur noch für ein Jahr die Grundsteuerbefreiung gewährt.
9
Wilhelm Metzler: Aus der Geschichte der Galiziendeutschen, in: Vor 200 Jahren aus der Pfalz nach Galizien
und in die Bukowina, redigiert von Ernst Hobler und Rudolf Mohr, Stuttgart-Bad Cannstatt 1982, S. 1-16, hier S.
2-4; vgl. auch die Arbeit von Walter Kuhn: Die jungen deutschen Sprachinseln in Galizien. Ein Beitrag zur Methode
der Sprachinselforschung, mit einem Vorworte von Univ.-Prof. Dr. Eduard Winter in Prag (= Deutschtum und Ausland. Studien zum Auslanddeutschtum und zur Auslandkultur, H. 26/27), Münster 1930.
10
Walter Kuhn: Bevölkerungsstatistik des Deutschtums in Galizien, Wien 1930. (= Schriften des Institutes für
Statistik der Minderheitsvölker an der Universität Wien, Bd. 7), S. 16.
11
Metzler (wie Anm. 9), S. 4-5. Vgl. auch Arnold Bachmann: Galiziens Mennoniten im Wandel der Zeiten. Ihre
Geschichten und ihre Familien, Backnang 1984.
DEUTSCHE IN GALIZIEN (1772-1918)
51
Aufgrund der Schwierigkeiten der ersten Ansiedlungsjahre gab es eine verhältnismäßig große Fluktuation bei den Ansiedlern. Manchen Ansiedlern wurden sogar die ihnen zugeteilten Höfe von den Behörden wieder weggenommen, wenn sie sich nicht als
Bauern eigneten, zum anderen Teil zogen die Einwanderer bei Unzufriedenheit mit ihrer
Lage weiter in die Bukowina oder nach Russland, wo sie sich bessere Ansiedlungsbedingungen erhofften. An dieser Stelle ist noch anzumerken, dass zur selben Zeit auch
eine polnische Kolonisation von den österreichischen Behörden unterstützt wurde. Die
vorhandenen Meierhöfe wurden nämlich gleichfalls an polnische Bauern, die als Nationaluntertanen bezeichnet wurden, verteilt. In der Kameralherrschaft Sandomir (poln.
Sandomierz) wurden so in zwanzig Dörfern 865 polnische Neusiedlerfamilien angesiedelt.12
Das kulturelle und gesellschaftliche Leben der Deutschen in der
Hauptstadt Lemberg
Zahlreiche adelige und bürgerliche Familien veranstalteten in ihren Häusern regelmäßig Kammerkonzerte, zu denen vorwiegend Deutsche und Polen, aber auch Ruthenen
eingeladen wurden. Auch die deutschen und polnischen Theater- und Opernaufführungen in Lemberg waren für viele Einwohner eine willkommene Abwechslung, egal welcher Konfession und welchen Standes. Die ersten deutschsprachigen Theateraufführungen fanden in Lemberg 1776 statt, als eine Theatertruppe sich dort für einige Monate
aufhielt. Erst 1790 wurde ein ständiges Theater in der Hl. Kreuz-Kirche errichtet, in
dem deutsche und polnische Aufführungen gegeben wurden. Der erste Theaterdirektor
war Franz Heinrich Bulla, 1795 übernahm dann der berühmte Schauspieler Wojciech
Bogusławski diese Stelle, allerdings nur für vier Jahre, da er 1799 Direktor des Nationaltheaters in Warschau wurde. Erst mit der Eröffnung des Skarbekschen Theaters im Jahre
1842 verfügte Lemberg über ein eigenes Theatergebäude, in dem dann hauptsächlich
polnische Theaterstücke aufgeführt wurden.13
Dass das Anfang des 19. Jahrhunderts eher als exotischer Landstrich angesehene Galizien durchaus auch eine gewisse Anziehungskraft besaß, kann man daran erkennen,
dass selbst Musiker aus Wien nach Galizien kamen, wie beispielsweise Franz Xaver
Mozart, der jüngste Sohn Wolfgang Amadeus’, um dort als gut bezahlte Hauslehrer
in einer polnischen Adelsfamilie Klavierunterricht zu erteilen. Mozart verbrachte hier
zunächst als Hauslehrer auf den Gütern des polnischen Grafen Baworowski, dann als
selbständiger Musiklehrer und Komponist in Lemberg seit 1813 fast drei Jahrzehnte (bis
1838) seines Lebens. Dank seiner Initiative entstand im Jahre 1826 der Cäcilien-Chor,
dem hauptsächlich deutschösterreichische Beamte und Offiziere sowie deren Ehefrauen
Ebd., S. 5f.
Eingehende Studien über die Theateraufführungen in Lemberg und in Krakau stammen von Jerzy Got: Das
österreichische Theater in Lemberg im 18. und 19. Jahrhundert. Aus dem Theaterleben der Vielvölkermonarchie. Bd. 1
und 2, Wien 1997 (= Theatergeschichte Österreichs. Bd. X: Donaumonarchie, H. 4) sowie ders.: Das österreichische
Theater in Krakau im 18. Und 19. Jahrhundert, Wien 1984 (= Theatergeschichte Österreichs. Bd. X: Donaumonarchie,
H. 3).
12
13
52
ISABEL RÖSKAU-RYDEL
angehörten. Aufgrund der häufigen Versetzung der Beamten und der Offiziere in andere
Städte Galiziens oder in andere Kronländer, infolgedessen die Mitgliederzahl stagnierte,
wurde der Chor 1829 wieder aufgelöst. Das rege private Musikleben erhielt dann durch
den Musikverein, der 1838 in Lemberg gegründet wurde, eine ständige Institution, die
sich der musikalischen Bildung der Kinder widmete und Konzerte veranstaltete. Die
Mitglieder des Musikvereins stammten aus den gebildeten Schichten der verschiedenen
nationalen und konfessionellen Bevölkerungsgruppen Galiziens.14
In den Städten, insbesondere in Lemberg, gab es im Allgemeinen mehr Gelegenheiten, mit Personen unterschiedlicher Konfession gesellschaftlich zu verkehren. So
konnten bei gemeinsam besuchten kulturellen Veranstaltungen auch Geschäftsbeziehungen gepflegt oder über kulturelle und politische Ereignisse diskutiert werden. Auch eine
Buchhandlung konnte den Rang eines kulturellen Zentrums einnehmen, wie beispielsweise die Buchhandlung des evangelischen Buchhändlers Carl Gottlob Pfaff in Lemberg, oder wie die seit 1782 bestehende Buchhandlung der katholischen Buchhändler
Thomas und Johann Joseph Piller und deren Familien. Auch der aufgeklärte jüdische
Buchhändler David Igel sowie später auch seine Söhne, die die Familientradition des
Buchhandels ausbauten, waren bei den gebildeten Kreisen sehr geschätzt.
Die Beziehungen zwischen den deutschösterreichischen Beamten und den höheren
polnischen Schichten gestalteten sich recht unterschiedlich. Auf der einen Seite zeigten
sich die zugereisten Verwaltungsbeamten gegenüber den Vertretern der polnischen Intelligenz ganz besonders misstrauisch, da diese über ein ausgeprägtes Nationalbewusstsein
verfügten und sich nicht mit den Einschränkungen durch die österreichische Regierung
abfinden wollten. Aber trotz dieses Misstrauens wurden die gesellschaftlichen Kontakte zwischen dem polnischen und deutschösterreichischen Adel sehr gepflegt. So war
es für die meisten Landesgouverneure selbstverständlich, neben den höheren Verwaltungsbeamten, die meist auch adeliger Herkunft waren, gleichfalls polnische Adelige
und Würdenträger der verschiedenen Konfessionen regelmäßig zu feierlichen Anlässen
einzuladen.
So pflegte der von 1826 bis 1832 in Lemberg residierende Landesgouverneur August
Longin Fürst von Lobkowitz, der aufgrund seiner Herkunft aus Böhmen der deutschen
und tschechischen Sprache mächtig war, enge Kontakte mit den polnischen Adeligen,
die er ebenso wie die in Lemberg stationierten höheren Offiziere, zu verschiedenen Anlässen einlud. Er war sehr an den polnischen Sitten und Bräuchen interessiert und richtete zum Beispiel Empfänge anlässlich der Osterfeiertage im Gouverneurspalast aus.15
Röskau-Rydel: Kultur an der Peripherie des Habsburger Reiches (wie Anm. 3), S. 262-278.
Hierüber berichtet die Gattin des damals in Galizien stationierten Offiziers Anton Graf von Revertera in ihren
Briefen an ihre Familie und Freunde. Sie fand schnell im Kreise der Beamtengattinnen gesellschaftlichen Anschluss
und gehörte als begabte Sängerin auch dem von Franz Xaver Mozart in Lemberg gegründeten Cäcilien-Chor an.
Eng befreundet war sie mit der Gattin des Lemberger Gubernialrates Ludwig Kajetan von Baroni, Josephine von
Baroni-Cavalcabo, die regelmäßig zu musikalischen Gesellschaften einlud, die von Mozart geleitet wurden. Vgl.
hierzu die entsprechenden Briefe in: Neue Dokumente zum Schubert-Kreis. Aus Briefen und Tagebüchern seiner
Freunde. Hrsg. und kommentiert von Walburga Litschauer, Bd. 2: Dokumente zum Leben der Anna von Revertera,
Wien 1993, S. 61-105.
14
15
DEUTSCHE IN GALIZIEN (1772-1918)
53
Bei der Eröffnung des galizischen Landtages trat er sogar in polnischer Adelstracht auf
und hielt seine Ansprache auf Polnisch. Lobkowitz genoss bei dem polnischen Adel ein
besonders hohes Ansehen, da er sich nach der Niederschlagung des Novemberaufstandes
1830/31 für die in Galizien Zuflucht suchenden Aufständischen einsetzte. Schon im Jahre 1830 hatte er sich bei der Bevölkerung großes Ansehen erworben, als er während
der im Frühjahr ausgebrochenen Choleraepidemie umsichtige Maßnahmen zur Eindämmung der Epidemie getroffen und sich auch stets persönlich vor Ort ein Bild von den
Ausmaßen der Epidemie gemacht hatte. Wegen seiner allzu liberalen Haltung gegenüber den Polen wurde er allerdings 1832 nach Wien versetzt und Erzherzog Ferdinand
von Österreich-Este zum neuen Landesgouverneur ernannt.
Einen bedeutenden Anteil an der Förderung der deutschen Kultur in Galizien hatten
die Herausgeber der deutschsprachigen Presse. Die erste deutschsprachige Zeitung in
Galizien wurde von der Witwe des Lemberger Buchdruckers Anton Piller, Josepha Piller,
am 1. Januar 1786 unter dem Titel „Lemberger wöchentliche Anzeigen” herausgegeben,
die zehn Jahre lang bestanden. An ihre Stelle trat dann das von ihrem Sohn Thomas Piller
gegründete „Lemberger k.k. Privilegirte Intelligenz-Blatt”, das zweimal wöchentlich bis
zum 1. April 1811 erschien. Der Wirkungskreis dieser nicht sehr anspruchsvollen Zeitungen ging aber kaum über die Grenzen Lembergs hinaus.
Erst als sich der Gubernialbeamte Franz Kratter für die Gründung einer anspruchsvolleren Zeitung in Lemberg einsetzte, die nach seinen Plänen in deutscher und polnischer Sprache erscheinen sollte, erhielt er schließlich am 2. Februar 1811 per Dekret die
Genehmigung zur Gründung einer neuen politischen Zeitung in Lemberg. Allerdings
sollte nur eine polnische Ausgabe unter dem Titel „Gazeta Lwowska” erscheinen und
keine deutsche, wie Kratter es sich gewünscht hatte. Trotz mehrmaliger Bitten und trotz
der Unterstützung des damaligen Landesgouverneurs Peter Graf von Goeß erhielt Kratter seitens der Regierung keine größere Unterstützung bei der Herausgabe der „Gazeta
Lwowska”, da man der Meinung war, dass eine polnische Zeitung genügend Abnehmer
unter den polnischen Lesern in Galizien finden würde. Es wurde ihm daher überlassen, die polnische Zeitung weiterzuführen oder nicht. Erst Anfang Januar 1812 erschien
schließlich die erste deutsche Nummer der „Lemberger Zeitung”, die allerdings nicht
von Piller, sondern von dem Lemberger Buchdrucker Joseph Schnayder drei Mal wöchentlich herausgegeben wurde. Die „Lemberger Zeitung” war im Übrigen keine Übersetzung der „Gazeta Lwowska”, sondern eine deutsche Zeitung, die von einer eigenen
Redaktion redigiert wurde. Erst Anfang 1848 wurden beide Zeitungen unter ein und dieselbe Redaktion gestellt. Der bekannte polnische Literaturwissenschaftler Karol Estreicher betonte, dass es in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts schwierig gewesen sei, in
Galizien polnische Literaten zu finden, die fehlerfrei Polnisch schrieben. Außerdem habe
man in Lemberg mehr deutsche als polnische Bücher gelesen.16
16
Röskau-Rydel: Kultur an der Peripherie des Habsburger Reiches (wie Anm. 3), S. 308-315. Vgl. auch die
ausführliche Studie von Marian Tyrowicz: Prasa Galicji i Rzeczypospolitej Krakowskiej 1772-1850. Studia porównawcze, Kraków 1979.
54
ISABEL RÖSKAU-RYDEL
Neben der „Lemberger Zeitung” bestand außerdem noch der von den Lemberger
Professoren Karl Joseph von Hüttner und Joseph Mauss 1822 und 1823 herausgegebene
Kalender „Lemberger Pilger” in einer deutschen und polnischen Ausgabe (Pielgrzym
Lwowski), der u.a. das Interesse an der Geschichte und den Liedern der verschiedenen
Nationalitäten Galiziens wecken sollte und literarische Beiträge enthielt.
1824 wurde dann von Alexander Zawadzki eine deutsche literarische Zeitung unter dem Titel „Mnemosyne. Galizisches Abendblatt für gebildete Leser” gegründet, die
bis 1840 bestand. Die von dem Lemberger Gubernialbeamten Josef von Mehoffer 1840
herausgegebene Zeitschrift „Galicia. Zeitschrift zur Unterhaltung, zur Kunde des Vaterlandes, der Kunst, der Industrie und des Lebens” musste wegen der geringen Abonnentenzahl schon wieder 1841 eingestellt werden. Eines der größten Probleme in jener Zeit
war es, wie eine Anzeige der Redaktion der „Mnemosyne” am 26. Mai 1840 deutlich
machte, „die Hauptschwierigkeit” zu überwinden, nämlich „inländische Mitarbeiter für
Aufsätze von lokalem Interesse zu gewinnen”. Nach der Einstellung der „Mnemosyne“ folgte 1841 die Gründung der „Leseblätter für Stadt und Land zur Beförderung der
Kultur in Kunst, Wissenschaft und Leben”, die bis 1847 bestand. In dieser drei Mal wöchentlich erscheinenden Zeitung veröffentlichte übrigens auch der spätere Herausgeber
des berühmten „Biographischen Lexikons des Kaiserthums Österreich” Constant von
Wurzbach Gedichte, der mit Galizien sehr vertraut war, da er in den 1840er Jahren in
Lemberg als Leutnant im 30. Infanterieregiment Graf Nugent Dienst leistete.17
Neben den oben erwähnten Zeitungen gab es in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nur noch in Krakau eine deutsche Zeitung, die „Krakauer Zeitung”, die von 17991808 erschien, also in jener Zeit, als Krakau zu Österreich gehörte (1796-1809). Wie
man an diesem kurzen Überblick sieht, konnte sich die deutsche Presse praktisch nur in
der Hauptstadt Lemberg entwickeln, was natürlich auch damit zusammenhing, dass hier
die meisten deutschsprachigen Literaten oder Intellektuellen wirkten und hier auch eine
größere Zahl von Deutschen lebte.
Die aus den deutschen oder deutschösterreichischen Ländern stammenden Verwaltungsbeamten fanden nicht nur in den Kreisen der zugereisten Beamtenfamilien ihre
Ehepartner, sondern auch in polnischen Familien sowie in Familien unterschiedlicher
nationaler Herkunft, die häufig schon seit mehreren Generationen in Polen lebten. Wie
unterschiedlich sich die in zweisprachigen Familien aufwachsenden Kinder entwickeln
konnten, zeigt das Beispiel der Beamtenfamilie Poll von Pollenburg. Der Vater von Vinzenz (Wincenty) und Franz Poll von Pollenburg war der aus dem Ermland stammende
Franz Xaver Poll, der aufgrund seiner Verdienste als Beamter in österreichischen Staatsdiensten 1815 mit dem Prädikat „von Pollenburg“ von Kaiser Franz I. in den Adelsstand
erhoben wurde. Verheiratet war er mit Eleonora Longchamps de Bérier, die aus einer
Lemberger Familie französischer Herkunft stammte. Der älteste Sohn des Ehepaars Poll,
der 1801 geborene Franz Anton, übersetzte einige Werke polnischer Schriftsteller ins
Deutsche, die zum Teil in den Lemberger deutschen Zeitungen veröffentlicht wurden.
17
Röskau-Rydel: Kultur an der Peripherie des Habsburger Reiches (wie Anm. 3), S. 316-318.
DEUTSCHE IN GALIZIEN (1772-1918)
55
Häufig übersetzte er auch polnische Theaterstücke für die Aufführungen des Lemberger deutschen Theaters. Überhaupt war er selbst schriftstellerisch begabt und verfasste
auch Gedichte in deutscher Sprache, die beispielsweise in der „Mnemosyne“ erschienen.
Sein Wirken fand jedoch durch seinen frühen Tod im Sommer 1826 ein jähes Ende.18
Beide Söhne wuchsen zweisprachig auf und besuchten deutsche Schulen, später dann die
deutschsprachige Lemberger Universität. Für die verwitwete Mutter und die minderjährigen Geschwister bedeutete der frühe Tod von Franz Anton einen unermesslichen Verlust,
da er als einziges Kind zum Unterhalt der Familie, die von einer bescheidenen Rente
leben musste, beigetragen hatte. Der 1808 geborene Bruder Vinzenz widmete sich seinerseits besonders intensiv der polnischen Sprache, Literatur und Geschichte und wurde als
Wincenty Pol einer der bekanntesten polnischen Schriftsteller seiner Zeit. Für ihn war es
als polnischer Patriot selbstverständlich, nach Ausbruch des Novemberaufstandes 1830
am Kampf der polnischen Aufständischen gegen die russischen Truppen teilzunehmen.
Politische Verfolgungen nach dem Novemberaufstand von 1830/31
Zum Kummer mehrerer regierungstreuer deutschösterreichischer Beamter nahmen
an den Kämpfen der Polen gegen die russischen Truppen auch ihre Söhne teil, die auf
diese Weise ihre enge Verbundenheit mit der polnischen Gesellschaft, insbesondere aber
auch mit ihren polnischen Freunden, demonstrierten. Dieser Prozess der allmählichen
Assimilierung einiger Beamtensöhne an die polnische Mehrheitsgesellschaft in den
1830er Jahren war häufig von den Vätern nicht bemerkt worden war, obwohl sie vor
ihren Augen stattfand. Als Beispiel kann hier der Beamtensohn Joseph von Reitzenheim
dienen, der sich den polnischen Truppen anschloss und nach der Niederschlagung des
Novemberaufstandes im September 1831 vorübergehend in Galizien Zuflucht fand, um
noch im selben Jahr ins Exil nach Frankreich zu gehen.19
Die Wiener Regierung versprach sich wohl ein härteres Durchgreifen gegen die aufständischen Polen, als im Jahre 1832 der vormalige 1. Kreiskommissär des Bochniaer
Kreises Leopold Ritter von Sacher zum neuen Polizeidirektor in Lemberg ernannt wurde. Es ist nicht schwer, hierin den Vater des späteren Schriftstellers Leopold von SacherMasoch zu erkennen, der auf Wunsch seines Schwiegervaters, des Lemberger Arztes und
Universitätsprofessors Franz Masoch einige Jahre nach seiner Heirat den Namen Masoch
seinem Namen hinzufügte. Der Sohn des Polizeidirektors wurde 1836 in Lemberg geboren und verbrachte dort bis zur Abberufung seines Vaters im Jahre 1848 seine ersten
zwölf Lebensjahre. Die in Lemberg verbrachte Kindheit muss ihn sehr fasziniert und
Karol Estreicher: Wincenty Pol, jego młodość i otoczenie. 1807-1832, Lwów 1882, S. 33-35.
Robert Bielecki: Słownik biograficzny oficerów powstania listopadowego, Bd. III: L – R, Warszawa 1998, S. 380.
Über drei Jahrzehnte wirkte Joseph von Reitzenheim als Józef Reitzenheim in Paris in den polnischen Emigrantenkreisen und wurde zu einem engen Vertrauten des ebenfalls im Exil lebenden polnischen Dichters Juliusz Słowacki.
Nach dem Ausbruch des Januaraufstandes 1863 kehrte Józef Reitzenheim vorübergehend nach Lemberg zurück,
um dort Regimenter zusammenzustellen, die von Wolhynien aus gegen die russischen Truppen kämpften. Nach der
Niederschlagung des Januaraufstandes kehrte er wieder nach Paris zurück. Seine letzten Lebensjahre verbrachte er
jedoch seit 1880 vornehmlich in Lemberg, wo er am 25. Dezember 1883 starb.
18
19
56
ISABEL RÖSKAU-RYDEL
geprägt haben, denn schon in seinen ersten schriftstellerischen Versuchen widmete er
sich dem Thema Galizien. Als 22-Jähriger gab er seinen ersten Roman unter dem Titel
„Eine galizische Geschichte. 1846“ heraus, in der er den im Februar 1846 von Krakau
ausgehenden Aufstand der Polen gegen die österreichischen Truppen beschreibt, diesen
jedoch nach Ostgalizien verlegt.
Dieser politische Aufstand, über den es relativ viele Publikationen gibt, löste gleichzeitig einen von den Aufständischen unerwarteten Widerstand der regierungstreuen Bauern gegen den Adel aus, von denen sich die polnischen Aufständischen eigentlich Unterstützung erhofft hatten. Die Überfälle der Bauern auf die Herrenhöfe in Westgalizien in
der Umgebung von Bochnia und Tarnów endeten in einem schrecklichen Blutbad, das in
der polnischen Literatur als „rabacja“ (Rabatz) bezeichnet wird, und bei dem auch Frauen und Kinder nicht verschont wurden. Opfer dieser Überfälle wurden übrigens auch der
oben erwähnte Wincenty Pol und seine Familie, die selbst bei Freunden in der Nähe von
Tarnów Schutz gesucht hatte, als die Gerüchte eines bevorstehenden Aufstandes immer
mehr Gestalt annahmen. Erst herbeigerufene österreichische Truppen beendeten dieses
grausame Schauspiel, das in manchen Kreisen West- und Ostgaliziens zunächst mehr
oder weniger von den Behörden geduldet worden war.
Offensichtlich bezieht sich Leopold von Sacher-Masoch in seinem Roman auf die
Erzählungen seines Vaters, der übrigens in dieser Zeit als Polizeidirektor eine unrühmliche Rolle spielte und dementsprechend in den polnischen intellektuellen Kreisen und
beim Adel verhasst war, weil er den blutigen Ausschreitungen der Bauern erst nach einigen Tagen Einhalt geboten hatte. 1863 erschien dann noch die Erzählung „Der Emissär.
Eine galizische Geschichte“, die sich ebenfalls mit diesem Thema beschäftigt. In seiner
Novelle „Don Juan von Kolomea“, die 1864 erschien, widmet er sich den Ruthenen, für
die er eine besondere Sympathie hegte, da er von einer ruthenischen Amme aufgezogen
worden war. In weiteren Romanen und Erzählungen befasste er sich mit der jüdischen
Bevölkerung in Galizien, der er ebenfalls große Sympathie entgegenbringt. Immer wieder thematisierte er die gespannten Verhältnisse zwischen den polnischen adeligen Gutsbesitzern und den ruthenischen Bauern. Für die Polen hegte er keine besondere Sympathie, wie man seinen verschiedenen Erzählungen über Galizien entnehmen kann.20 Man
kann davon ausgehen, dass er von den wohl recht einseitigen späteren Berichten seines
Vaters über die politischen Ereignisse in Galizien in jener Zeit beeinflusst worden war
und sich diese Einschätzungen auch in seinen Erzählungen widerspiegeln.
Politische und gesellschaftliche Veränderungen nach dem Jahre 1848
Bis zum Jahre 1848 hatten die deutschösterreichischen Beamten – trotz ihrer kleinen
Zahl – eine staatstragende Funktion inne und gaben zumindest im administrativen Leben
Galiziens den Ton an. Dies änderte sich nun mit dem Ausbruch der Revolution im März
1848. Das Jahr 1848 bedeutete nicht nur für die Deutschen eine Zäsur in ihrem Leben,
20
Ein umfassender Überblick über „Die deutschsprachige Literatur Galiziens und der Bukowina von 1772 bis 1945“
stammt von Maria Kłańska, in: Isabel Röskau-Rydel (Hg.): Galizien (wie Anm. 4), S. 380-482.
DEUTSCHE IN GALIZIEN (1772-1918)
57
sondern ebenfalls für die Polen, Ruthenen und Juden, die nun alle im Rahmen des Völkerfrühlings, öffentlich mit politischen Forderungen in den Vordergrund traten.
Für alle wurden die politischen Veränderungen sichtbar, als nach der Revolution von
1848 ein Pole zum Landesgouverneur (seit 1851 Statthalter) ernannt wurde. Seit dieser
Zeit hatten, mit wenigen Ausnahmen, dieses Amt nur noch Polen inne. Das war jedoch
eines der wenigen Zugeständnisse der Regierung, die von den zahlreichen Forderungen
der polnischen Politiker und Intellektuellen übrigblieb, denn die politische Freizügigkeit hielt nur wenige Monate an. Mit der beginnenden Reaktion der Wiener Regierung
verschlechterten sich die politischen Verhältnisse allgemein in den Ländern der Habsburgermonarchie und auch in Lemberg brachen am 1. November 1848 blutige Gefechte
zwischen der Nationalgarde und dem österreichischen Militär aus. Kanonen wurden eingesetzt und bei der Bombardierung Teile der Stadt zerstört, wie beispielsweise das Rathaus und die Universitätsbibliothek. Die Aufständischen mussten sich angesichts dieser
Übermacht ergeben.
Nachdem seit Anfang Januar 1849 auf dem Reichstag in Kremsier die unterschiedlichen Auffassungen zwischen Reichstag und Regierung über die zukünftige Regierungsform immer deutlicher wurden, legte die Regierung Schwarzenberg schließlich
am 4. März eine Verfassung vor, die dann am 7. März als oktroyierte Verfassung in
Kraft trat. Gleichzeitig wurde der Reichstag mit Hilfe des Militärs aufgelöst und mehrere
Reichstagsabgeordnete verhaftet.
Für Galizien bedeuteten diese verschiedenen Maßnahmen zunächst eine Rückkehr zu
den politischen Verhältnissen von vor 1848. Die Mehrheit der zuvor gemachten Zugeständnisse und Versprechungen wurden nun wieder zurückgenommen. Allerdings blieb
die Aufhebung der Robotleistungen (Frondienste) in Galizien vom 15. Mai 1848 sowie
das den Bauern gewährte Recht auf Erwerb von Grundeigentum gültig. Die den Nationalitäten zuvor zugesicherte Gleichberechtigung fand dagegen schon bald keine Berücksichtigung mehr. Nach wie vor wurde an der deutschsprachigen Verwaltung und dem
deutschsprachigen Schulwesen festgehalten und der deutschen Sprache damit deutlich
der Vorzug gegeben. 1849 kamen im Rahmen einer Verwaltungsreform sogar wieder
vermehrt deutschösterreichische Beamte nach Galizien.
Im Rahmen dieser Verwaltungsreform entstanden nun zwei Statthaltereien in Lemberg und Krakau, später noch – bis zur endgültigen Unterteilung in neunzehn Bezirkshauptmannschaften – eine dritte in Stanislau. Die Kreisämter mit dem Kreishauptmann
an der Spitze gewannen nun an Bedeutung, da sie direkt den Wiener Ministerien unterstanden. Darüber hinaus wurde der Polizeiapparat ausgebaut und 1849 die Gendamerie
als militärische Hilfstruppe eingerichtet, die große Vollmachten besaß. Diese als Neoabsolutismus bezeichnete Übergangszeit zwischen den Jahren 1849 und 1860 führte auch
erneut zahlreiche Beschränkungen für Juden und Protestanten mit sich. Der katholischen
Kirche wurden dagegen mehr Rechte als davor eingeräumt.
Erst nach der Niederlage Österreichs in der Schlacht von Solferino im Jahre 1859
gegen die französischen Truppen Napoleons III. konnte Kaiser Franz Joseph I. einen
Richtungswechsel in der Innenpolitik durchsetzen. Innenminister Alexander Bach wurde
entlassen und der galizische Statthalter Agenor Graf Gołuchowski im August 1859 zum
58
ISABEL RÖSKAU-RYDEL
neuen Innenminister ernannt, womit zum ersten Mal ein polnischer Verwaltungsbeamter
eines der höchsten österreichischen Ämter bekleidete. Ein Jahr später folgte dann seine
Ernennung zum Staatsminister und Regierungschef, allerdings versah er dieses Amt bis
zu seinem Rücktritt nur bis Dezember 1860. Nachdem er sich nach dieser Episode auf
seine Güter in Galizien zurückgezogen hatte, war er erneut Statthalter Galiziens von
1866-1868 sowie von 1871-1875.
Aufgrund ihrer recht großen Abgeordnetenzahl gelang es den Polen im Wiener
Reichsrat, der am 14. April 1851 neu eingesetzt worden war, eine recht einflussreiche
Gruppe zu bilden, die als „Polenklub” (Koło Polskie) bekannt wurde. Für die Wiener
Regierung war dieser „Polenklub” von großer Bedeutung, da es häufig auf dessen Unterstützung ankam, um Gesetze gegen den Widerstand anderer im Reichsrat vertretenen
Nationalitäten durchzubringen. Um sich der polnischen Unterstützung sicher zu sein,
mussten natürlich auch Zugeständnisse gemacht werden. Ein erstes Zugeständnis war
die Eröffnung des galizischen Landtages in Lemberg im Jahre 1861, der nun größere
Kompetenzen im Gesetzgebungsbereich erhielt.
Nach dem Ausbruch des Januaraufstandes 1863 stagnierte zunächst das politische
Interesse an Galizien und erst nach dem 1867 vollzogenen österreichisch-ungarischen
Ausgleich befasste sich die Wiener Regierung erneut mit der Frage einer Autonomie
für Galizien. Gerade durch die Einführung autonomer Strukturen in Galizien trat in den
60er Jahren des 19. Jahrhunderts nun eine weitere einschneidende Zäsur nicht nur für die
deutsche Bevölkerung Galiziens, sondern ebenfalls für die Ruthenen und die Juden, ein.
Eine wichtige Rolle bei der Durchsetzung der polnischen Forderungen spielte der schon
erwähnte galizische Statthalter Agenor Graf Gołuchowski, der Vertreter der austropolnischen Orientierung.21
Autonome Strukturen für Galizien
Das erste Zugeständnis für eine Autonomie im Sinne einer Selbstverwaltung Galiziens war die Verabschiedung des Gesetzes vom 22. Juni 1867 betreffend die Unterrichtssprache an den Volks- und Mittelschulen, demzufolge jeweils der Träger der Schule über die Unterrichtssprache zu bestimmen hatte. Die darin enthaltenen Bestimmungen
führten schließlich dazu, dass öffentliche Schulen praktisch nur mit polnischer und ruthenischer Unterrichtssprache eingerichtet wurden. Dies stand im Widerspruch zum Artikel 19 des österreichischen Staatsgrundgesetzes, dass am 21. Dezember 1867 in Kraft
trat, und in dem festgelegt wurde, dass jeder Volksstamm das „Recht auf Wahrung seiner
Nationalität und Sprache” habe und dass alle „landesüblichen Sprachen in Schule, Ämtern und öffentlichem Leben” vom Staat anerkannt würden. Am 25. Juni 1867 erfolgte
dann die Gründung des galizischen Landesschulrates, der nun für die Organisation des
öffentlichen Schulwesens zuständig war und gleichzeitig die Aufsicht über das private
Schulwesen führte. Von dem galizischen Landesschulrat, dem mehrheitlich Polen ange21
Fras (wie Anm. 1), S. 243-255.
DEUTSCHE IN GALIZIEN (1772-1918)
59
hörten, hing es nun ab, ob eine private Schule das Öffentlichkeitsrecht erhielt, welches
zur Ausstellung staatlich anerkannter Zeugnisse berechtigte, oder nicht.22
Da im Landesschulgesetz die Ortsschulorgane den Bezirksschulräten unterstellt wurden, oblag nun dem galizischen Landesschulrat auch die alleinige Aufsicht über das
deutsche evangelische Volksschulwesen und die Bestätigung der Lehrer. Um den polnischen Einfluss auf die evangelischen Schulen möglichst gering zu halten, waren daher
die galizischen Superintendenten bemüht, die deutschen evangelischen Volksschulen als
Privatschulen zu führen. Ähnlich verfuhren auch die Ruthenen, die in der zweiten Hälfte
des 19. Jahrhunderts ein privates Schulwesen aufbauten, um sich dem zunehmenden Polonisierungsdruck entgegenzustellen. Nur noch in Lemberg (II. Staatsobergymnasium)
und in Brody (bis 1913) bestand weiterhin jeweils ein deutschsprachiges staatliches
Gymnasium, so dass die Kinder der deutschösterreichischen Beamten oder Offiziere sowie der deutschen Kolonisten bis zum Ende des Ersten Weltkrieges nur noch in Lemberg
ihre Matura in deutscher Sprache ablegen konnten.
1867 wurde an den galizischen Schulen die deutsche Unterrichtssprache durch das
Polnische bzw. Ruthenische ersetzt, 1869 schließlich das Polnische zur Amtssprache in
Galizien erklärt. Allerdings wurde das Deutsche als Amtssprache beim Verkehr mit den
Zentralstellen und den Militärbehörden beibehalten.23
Die Lage der Deutschen in Galizien seit den 1860er Jahren
Die den Polen von der Wiener Regierung gemachten Zugeständnisse im Bereich der
autonomen Institutionen in Galizien hatten zur Folge, dass die deutschösterreichischen
Beamten und Professoren in Galizien ihre zuvor für den Staat so bedeutende Rolle als
staatstragende und loyale Bürger verloren. Wie schon im Jahre 1848 machte sich dieser Personenkreis nun seit den 1860er Jahren erneut Gedanken über die weitere Zukunft. Diejenigen Professoren, die nicht fließend Polnisch sprachen, mussten um ihre
Versetzung in den Ruhestand bitten oder sich in deutschsprachige Provinzen versetzen
lassen, was nicht leicht war, da nicht immer eine freie Stelle zur Verfügung stand. Ein
großer Teil der zweiten und dritten Generation der zugereisten Beamtenfamilien hatte
sich aber im Laufe der Zeit an die polnische Mehrheitsgesellschaft in einem solchen
Maße akkulturiert und zum Teil auch assimiliert, dass die Integration in der polnischen
Gesellschaft insbesondere bei jenen Personen erfolgreich verlaufen war, die schon in einem deutsch-polnischen Elternhaus aufgewachsen und mit beiden Kulturen und beiden
22
Christoph Frhr Marschall von Bieberstein: Freiheit in der Unfreiheit. Die nationale Autonomie der Polen in
Galizien nach dem österreichisch-ungarischen Ausgleich von 1867. Ein konservativer Aufbruch im mitteleuropäischen Vergleich, Wiesbaden 1993. (= Studien der Forschungsstelle Ostmitteleuropa an der Universität Dortmund,
Bd. 11), S. 179-194. Vgl. hierzu auch Peter Urbanitsch, Die Deutschen in Österreich. Statistisch-deskriptiver Überblick, in: Die Habsburgermonarchie 1848-1918, Bd. III: Die Völker des Reiches, 1. Teilband, hg. V. Adam Wandruszka und Peter Urbanitsch, Wien 1980, S. 33-153 sowie Berthold Sutter: Die politische und rechtliche Stellung
der Deutschen in Österreich 1848 bis 1918, in: Ebenda, S. 154-339.
23
Alexander von Guttry: Galizien. Land und Leute, München, Leipzig 1916, S. 36-37.
60
ISABEL RÖSKAU-RYDEL
Sprachen vertraut waren. Aber auch Kinder aus Beamtenfamilien, in denen besonders
die deutsche Kultur gepflegt wurde, weil beide Elternteile aus deutschsprachigen Gebieten stammten, integrierten sich dennoch in der polnischen Gesellschaft aufgrund ihrer
engen Verbundenheit mit ihren polnischen Mitschülern und Kommilitonen, mit denen
sie schließlich viele Jahre gemeinsam das Gymnasium oder die Universität besuchten.
Gerade die vielfältigen Prozesse der Sozialisation in der Schul- und Studienzeit waren
für viele Kinder, insbesondere für die Söhne, der Beamtenfamilien prägend und wirkten
nachhaltig auf ihre Identitätsfindung und auf die Übernahme von soziokulturellen Werten der polnischen Mehrheitsgesellschaft.
Angesichts der veränderten politischen Verhältnisse in der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts in der gesamten Habsburger Monarchie und angesichts der im Vergleich zu
den Polen, Ruthenen und Juden verschwindend kleinen Zahl der Deutschen in Galizien,
war das abnehmende Interesse der Wiener Regierung an der deutschen Bevölkerung in
Galizien aus staatlicher Sicht wohl durchaus verständlich. Mit diesem politischen Pragmatismus der österreichischen Regierung musste sich die deutsche Bevölkerung seit der
Einführung der autonomen Strukturen in Galizien abfinden, da sie nunmehr über keinerlei
politischen Einflussmöglichkeiten mehr verfügten.
Die durchschnittliche Zahl der Deutschen betrug zwischen 1772 und 1918 zwischen
einem und zwei Prozent der Gesamteinwohnerzahl. Für die ansässige deutsche Bevölkerung, insbesondere für die katholischen und evangelischen Kolonisten, die ihre deutsche
Kultur und Sprache noch am besten bewahren konnten, bedeutete dies jedoch, dass sie
nun auf staatliche Unterstützung in der Bildung, der Kultur und der Wirtschaft verzichten
mussten. Zugleich konnten sie nun auch nicht bei den Verwaltungsbehörden, deren Beamten seit Einführung der autonomen Institutionen in Galizien nun mehrheitlich Polen
waren, eine Wahrung ihrer Interessen erwarten. Schnell zeigte sich, dass es von großem
Nachteil für die Deutschen in Galizien war, über keinen Interessensverband zu verfügen,
der die Anliegen der Deutschen in Galizien hätte vertreten können.
Aufgrund der ungelösten sozialen und wirtschaftlichen Probleme in Galizien, die sich
u.a. in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Zusammenhang mit wiederkehrenden
Missernten und in den daran anschließenden Cholera- oder Typhusepidemien, wie beispielsweise in Ostgalizien in den Jahren 1866 und in Westgalizien 1868, 1869 und 1873
verstärkten, setzte seit den 1880er Jahren eine starke Wanderungs- und Migrationsbewegung auch unter den Deutschen in Galizien ein, die seit den 1890er Jahren vornehmlich nach Nordamerika und Kanada auswanderten.24 Bis zur Jahrhundertwende hatten
zahlreiche deutsche evangelische Kolonien in Galizien schon rund die Hälfte ihrer Einwohner verloren, die insbesondere aufgrund der massiven Anwerbung der preußischen
Regierung nach Preußen auswanderten, wodurch die evangelische Kirche Galiziens in
ihrer Existenz bedroht schien.
Die Überbevölkerung und das damit verbundene Überangebot an Arbeitskräften
sowie fehlende Beschäftigungsmöglichkeiten in dem vorwiegend landwirtschaftlich
geprägten Galizien zwangen nicht nur Deutsche, sondern auch Polen, Ruthenen und
24
Mark (wie Anm. 1), S. 73-78.
DEUTSCHE IN GALIZIEN (1772-1918)
61
Juden zur Auswanderung. Gerade in dieser Zeit der Auswanderungsbewegung traf im
Jahre 1891 der aus Greifswald stammende evangelische Theologe und Pfarrer Theodor Zöckler (1867–1949) in Stanislau ein, der zu einer der bedeutendsten deutschen
Persönlichkeiten in Galizien werden sollte. Die kleine deutsche evangelische Gemeinde in Stanislau zählte in jener Zeit etwa 300 Personen25. Eigentlich war Galizien nur
als Zwischenaufenthalt geplant, da sich Pfarrer Zöckler als sog. Judenmissionar auf der
Durchreise nach Russland befand. Als er jedoch bei seinem Aufenthalt in Stanislau sah,
dass es den evangelischen Gemeinden in Galizien an Seelsorgern fehlte, beschloss er,
in Galizien zu bleiben und sich dem Ausbau der Gemeinden zu widmen. Nach dem
Vorbild sozialer Einrichtungen in Deutschland (wie der seit 1867 in Bethel bei Bielefeld
bestehenden Bodelschwinghschen Anstalten) gründete Zöckler die dann als „Stanislauer
Anstalten” oder „Zöcklersche Anstalten“ bekannt gewordenen sozialen und seelsorgerischen Einrichtungen in Stanislau, die dank des Vermögens seiner Frau seit 1896 errichtet
werden konnten. Zu diesen Anstalten gehörten ein Säuglings- und Kinderheim, ein Alten- und Siechenheim, je ein Schüler- und Schülerinnenheim, ein Diakonissenhaus, ein
landwirtschaftlicher Betrieb und eine landwirtschaftliche Maschinenfabrik. Außerdem
errichtete Pfarrer Zöckler in Stanislau eine Volksschule und ein Gymnasium (gegr. 1919)
und ließ die evangelische Kirche zu Ende bauen.26
Als sich 1903 die Vertreter der deutschen evangelischen Gemeinden Galiziens in
Lemberg zu einem Treffen versammelten, um über „eine geschlossene Auswanderung
oder ein Verbleiben im Lande” zu entscheiden, plädierte Pfarrer Zöckler für ein Verbleiben im Lande und konnte nach einer stürmischen Debatte auch die anderen Glaubensbrüder davon überzeugen. Noch im selben Jahr wurde auf Initiative Zöcklers das
„Evangelische Gemeindeblatt für Galizien und Bukowina” gegründet, das sich „zum
geistlichen Band der evangelischen Gemeinden” entwickeln sollte. Der Auswanderung
der deutschen Kolonisten in Galizien nach Posen, Westpreußen sowie nach Amerika
und Kanada, versuchte man nun mit Maßnahmen im wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bereich entgegenzutreten. Es wurden Raiffeisenkassen, Warenhäuser und ein
Verband der Landwirtschaftlichen Genossenschaften gegründet.27
Nach über hundertjähriger konfessioneller Trennung zwischen evangelischen und
katholischen Deutschen, wobei letztere sich im Laufe des 19. Jahrhunderts mehr und
mehr an die polnische Gesellschaft assimiliert hatten, kam es zu einer Initiative einiger deutscher Katholiken in Galizien, die nun eine Zusammenarbeit mit Vertretern der
deutschen evangelischen Kirche in Galizien suchten. Ergebnisse der Vereinbarungen
zwischen Vertretern der katholischen und evangelischen Deutschen war schließlich
25
Oskar Wagner: Zwischen Völkern und Zeiten – Theodor Zöckler 1867-1967, in:Galizien erzählt. Heimatbuch
der Galiziendeutschen. Teil. IV, red. v. Rudolf Mohr, Stuttgart-Bad Cannstatt 1990, S. 715-716.
26
Vgl. auch die von Prof. Dr. Erasmus Zöckler herausgegebene Korrespondenz seines Großvaters. C. Erasmus
Zöckler: Ein Leben für die Kinder. Theodor Zöckler und Lilie Zöckler. Das Bethel des Ostens, Sonderdruck, Hilfskomitee der Galiziendeutschen e.V., Stuttgart 2005; Erasmus Zöckler: Die Geschichte der evangelischen Diaspora
und der deutschen Minderheit in Galizien aus der Sicht von D. Theodor Zöckler, Bde 1-4, Stuttgart 2009.
27
Ebd., S. 723-724.
62
ISABEL RÖSKAU-RYDEL
1907 die Gründung des „Deutschen Volksrates für Galizien” als zentrale politische
Vertretung der Deutschen in Galizien sowie des „Bundes der christlichen Deutschen in
Galizien” als zentrale kulturelle Organisation. Sprachrohr dieser Organisationen wurde
das „Deutsche Volksblatt für Galizien”. Zwischen 1907 und 1914 entstanden in Galizien
108 Ortsgruppen des Bundes der christlichen Deutschen sowie 25 neue private Schulen
in katholischen und evangelischen Gemeinden. Diese Zusammenarbeit führte dazu, dass
die Auswanderung der Deutschen aus Galizien abnahm und die katholischen Deutschen,
die sich aufgrund ihres Glaubens häufig an die polnische Gesellschaft akkulturiert und
zum Teil assimiliert hatten, sich nunmehr vermehrt für die Interessen der Deutschen in
Galizien einsetzten.28
Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges, bei dem Galizien Teil des Kriegsschauplatzes
wurde und erhebliche Menschenverluste und Zerstörungen zu beklagen hatte, befanden
sich die deutschen Kolonien wiederholt zwischen den Fronten oder wurden von den Fronten überrollt. Zwischen 1914 und 1918 packten die Angehörigen der deutschen Kolonien
sowie Pfarrer Zöckler mit seinen Mitarbeitern der „Zöcklerschen Anstalten“ in Stanislau
ihre Habseligkeiten zusammen, um mit den Kindern und Kranken in Gallneukirchen in
Oberösterreich Zuflucht vor den russischen Truppen und den Kämpfen zu finden. Nach
der Rückeroberung Galiziens durch die deutschen und österreichischen Truppen Mitte
Juli 1917 kehrten auch wieder die Kolonisten zurück, um ihre teils zerstörten Dörfer
wieder aufzubauen. Zwar hofften die Deutschen in Galizien zunächst noch, dass ihre
Forderungen im Bereich der Bildung und Wirtschaft berücksichtigt würden, angesichts
des weiteren Kriegsverlaufes, der Proklamation einer neuen österreichischen Regierung
unter Karl Renner im Oktober 1918 und schließlich der Abdankung Kaiser Karls I. nach
der Unterzeichnung des Waffenstillstandsvertrages zwischen dem Deutschen Reich und
den Alliierten am 11. November 1918, wurde den Vertretern des „Deutschen Volksrats“
in Galizien jedoch schnell klar, dass sie nun anderen politischen Realitäten gegenübertreten würden. Mit der Wiedergewinnung der Unabhängigkeit Polens mussten sich die
Deutschen Galiziens, wenn sie nicht eine Auswanderung vorzogen, nun umorientieren
und die neu entstandene Republik Polen anerkennen.29 Ein großer Teil der Deutschen in
Galizien entschloss sich, in ihrer galizischen Heimat – nun nicht mehr als österreichische, sondern als polnische Staatsbürger – zu bleiben. Die noch verbliebenen deutschösterreichischen Beamtenfamilien, die sich nicht an die polnische, oder im geringeren
Maße an die ukrainische Bevölkerungsgruppe akkulturiert hatten, zogen es dagegen vor,
sich ein neues Leben in der neu entstandenen Republik Österreich aufzubauen.
Isabel Röskau-Rydel studierte Geschichte Ost- und Südosteuropas und Slawische Philologie und promovierte über die „Kultur an der Peripherie des Habsburger28
Oskar Wagner: Zwischen Völkern, Staaten, Kirchen und Kulturen. Schicksal und Wege der evangelischen
Kirche in Galizien und der Bukowina 1772/82-1939, in: Vor 200 Jahren aus der Pfalz nach Galizien (wie Anm. 9),
S. 38-39.
29
Röskau-Rydel (Hg.): Galizien (wie Anm. 4), S. 153-168. Zur Geschichte der Deutschen in Galizien zwischen
1918 und 1939, seit 1918 meist Galiziendeutsche genannt, siehe S. 169-195.
DEUTSCHE IN GALIZIEN (1772-1918)
63
reiches“. Seit 1993 ist sie Vorstandsmitglied des Polnisch-Deutschen Zentrums in
Krakau. Sie ist am Institut für Deutsche Philologie an der Pädagogischen Akademie
Krakau beschäftigt. Ihre Forschungsschwerpunkte gelten den deutsch-polnischen Beziehungen, der Geschichte Deutschlands, Österreich, Polens, der Ukraine und Litauens im XIX. und XX. Jahrhundert, der Geschichte der Deutschen in Galizien
(1772-1918) sowie der Akkulturation und Assimilation unterschiedlicher ethnischer
Gruppen in Galizien
Barbara Vecer
Das erfüllte Leben des Geologen
Gejza Bukowski von Stolzenburg
(1858 – 1937) Forschungsreisender auf zwei Kontinenten
Einleitung
Der vorliegende Beitrag beruht auf einem Vortrag, den die Verfasserin auf Einladung
von Herrn Direktor Prof. Bogusław Dybaś am 23. Oktober 2007 am Wissenschaftlichen Zentrum der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Wien im Rahmen der
XVI. Polnischen Kulturtage in Österreich 2007 gehalten hat, und ist dem Leben und
wissenschaftlichen Werk des polnisch-österreichischen Geologen von Gejza Bukowski
von Stolzenburg gewidmet. Dieser arbeitete viele Jahre hindurch, in der Zeit von 1889
– 1918, als Geologe im Österreichischen Geologischen Dienst, der damaligen k. u. k. Geologischen Reichsanstalt, die sich im ehemaligen
Palais des Fürsten Rasumofsky im dritten Wiener Gemeindebezirk in der Rasumofskygasse
23 befand. Ebendort arbeitete die Verfasserin
in der Zeit von 1975 bis 1998 als Geologin.
Um die Hintergründe über die bislang wenig bekannten polnischen Wurzeln des Geologen Gejza Bukowski zu erforschen, war es
notwendig, in Bochnia, seinem Geburtsort,
sowie in Kraków zu recherchieren. Dank des
Entgegenkommens des Museumsdirektors
von Bochnia, Herrn Mag. Jan Flasza, konnten
die Archivmaterialien von Gejza Bukowski in
Form von Kopien in die Bibliothek der Geologischen Bundesanstalt nach Wien gebracht
werden. Der persönliche Kontakt zu Herrn Dr.
Stanislaw Czarniecki vom Geologischen Institut der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Kraków legte den Grundstein für eine
österreichisch-polnische Zusammenarbeit zur
Abb. 1: Foto von Gejza Bukowski aus
weiteren Erforschung des Lebensweges dieses dem Universitätsarchiv in Wien. Aufnahaltösterreichischen Geologen.
medatum unbekannt.
66
BARBARA VECER
Lebenslauf von Gejza Bukowski
Gejza Bukowski wurde am 28. November 1858 als einziger Sohn ungarisch – polnischer Eltern in Bochnia1 im damaligen Galizien geboren. Sein Vater, Josef Bukowski, stammte aus Spisz, damals oberungarisches Gebiet (östlich des Flusses Poprad),
er diente über 30 Jahre in der österreichischen Armee. Als Offizier und Oberstleutnant
benutzte er den Adelstitel von Stolzenburg. Die Mutter Rozalia, geb. Müllbauer, war die
Tochter eines Forstbeamten in Bochnia. Gejza Bukowski erhielt anlässlich seiner Taufe
in der St. Nikolaus Pfarre in Bochnia drei Vornamen - Gejza, Ferdinand und Ladislaus.
Er besuchte die Realschule sowie das Staats-Untergymnasium in Bochnia, anschließend
das Staats-Obergymnasium in Teschen im damaligen Ostschlesien, heute Cieszyn, und
maturierte im Jahre 1877. Bereits als 11-jähriger verlor er im Jahre 1869 seinen Vater.
Mit seiner Mutter verband ihn bis zu deren Lebensende ein herzliches Verhältnis. Sie
starb im Alter von 89 Jahren am 17. Dezember 1914 in Bochnia. Bukowskis weiterer
Lebensweg wurde naturgemäß ganz entscheidend durch das politische Geschehen in Europa sowie insbesondere durch den Ersten Weltkrieg geprägt. Sein Interesse an den Naturwissenschaften veranlasste ihn - sowie auch einige andere polnische Studenten (z.B.
Wladyslaw Szajnocha oder Rudolf Zuber) nach Abschluss der mittleren Schulbildung
- dazu, bei den berühmten Geologen Prof. Eduard Sueß und beim Paläontologen Prof.
Melchior Neumayr an der k.k. Universität in Wien von 1877 – 1885 zu studieren. In einem undatierten Curriculum vitae, den er einem Ansuchen an das Dekanat der Universität Wien beilegte und in dem er um die Zulassung zu den Doktoratsprüfungen bat (der
Rigorosenakt liegt im Original im Archiv der Universität Wien auf ), lesen wir weiter:
„Im Oktober des Jahres 1877 bezog er die k. k. Universität zu Wien, wo er sich an
der philosophischen Facultät inscribirte. Während des Trienniums beschäftigte
er sich mit Geographie und Naturwissenschaften, vorwiegend mit Geologie und
Palaeontologie und verwendete das folgende (vierte) Jahr zu eingehenden palaeontologischen Studien. Er arbeitete durch zwei Jahre im palaeontologischen
Universitätsmuseum, wo auch die vorliegende Arbeit ausgeführt wurde.“
Gejza Bukowsky
Den an der Universität in Wien aufliegenden Unterlagen über den Studenten G. Bukowski kann entnommen werden, dass Bukowski nach dem am 24. Nov. 1881 erhaltenen
Absolutorium im 10. Dezember 1881 zum Rigorosum zugelassen wurde. Sein Referent
sollte Prof. E. Sueß sein, Koreferent war demnach der Paläontologe Prof. Melchior Neu1
Bochnia ist die älteste bergmännische Stadt Polens (Salzabbau seit dem Jahr 1248) und zugleich die älteste
Salzgrube in ganz Europa. Der Salzabbau wurde aus wirtschaftlichen Gründen im Jahre 1990 eingestellt. Heute
wurden einige zur alten Anlage des Schacht Sutoris gehörende alte Gebäude modernisiert und als Schaubergwerk für
Touristen adaptiert.In einer Tiefe von 230 m wurde unterirdisch eine Heilstätte zur Behandlung von Asthmaerkrankungen eingerichtet. Die alten Schächte und Stollen des ehemaligen Bergwerkes dienen touristischen Zwecken.
DAS ERFÜLLTE LEBEN DES GEOLOGEN GEJZA BUKOWSKI
67
mayr. Dem Rigorosenakt legten die Professoren die von ihnen handschriftlich verfasste
Beurteilung der Dissertation bei.
„Die von G. Bukowsky vorgelegte Dissertation ist eine wesentlich paläontologische Arbeit, durch welche ein bisher noch wenig erforschtes Juragebiet und dessen
Fauna näher bekannt wird; das ganze ist mit streng wissenschaftlicher Methode
und unter Benützung der einschlägigen Literatur abgefasst, so das kein Grund
zur Zurückweisung vorliegt; ebenso sind die übrigen Beilagen den Vorschriften
entsprechend und der Unterzeichnete beantragt daher die Zulassung des Petenten
zum Rigorosum.
Wien 10.12.81
MNeumayer
Einverstanden
ESuess
Wien, 10. Dez.1881“
Über die Ablegung der Rigorosumprüfungen fehlen schriftliche Informationen.
Demnach wurde Gejza Bukowski nie promoviert, sondern schloss sein Studium mit dem
Absolutorium ab. Dieses genügte damals, um eine Anstellung bei der Geologischen Reichsanstalt in Wien zu erhalten. In seiner Dissertationsarbeit „Beitrag zur Kenntnis des Jura in
Polen” befasste er sich mit den Jurabildungen von Tschenstochau / Czestochowa in Polen. Die umfangreichen paläontologischen und stratigraphischen Monographien dieses
Gebietes wurden von ihm im Jahre 1887 in der Zeitschrift „Beiträge zur Paläontologie
Österreich–Ungarns und des Orients“ publiziert. Er widmete sich der Ausbildung der
Juraablagerungen von Krakau über Tschenstochau bis zum Wielun-Rücken und zog Vergleiche bis nach Deutschland hin. Vor dieser Arbeit legte Bukowski im Jahre 1886 eine
Publikation über eine neue Jodquelle in der miozänen karpathischen Randzone im Wola
Debinska bei Bochnia vor.
Die wissenschaftliche Tätigkeiten von G.Bukowski könnte man in 3 Abschnitte teilen:
1. 1885 bis 1888, Universität Wien
2. 1889 bis 1918, k. k .Geologische Reichsanstalt in Wien
3. nach 1918, also nach dem Ersten Weltkrieg, Polnischer Geologischer Dienst in
Warszawa bzw. Bochnia im neu entstandenen polnischen Staat.
Im Jahre 1885 trat Bukowski bei Prof. Melchior Neumayer eine Assistentenstelle an
der Paläontologischen Lehrkanzel der Wiener Universität an und war dort bis zu seinem
Eintritt 1889 in die k. k. Geologische Reichsanstalt tätig. Unter dem Einfluss seiner
beiden Professoren wurde im jungen Bukowski nicht nur das Interesse, sondern auch
die Begeisterung für Gebiete im mediterranen Raum sowie in Kleinasien geweckt. Mit
Hilfe von Reisestipendien des Geologischen Institutes der Universität Wien forschte er
im Jahre 1887 zunächst auf der Insel Rhodos. Die auf Grund einer Erkrankung unterbrochenen Untersuchungen setzte er im nächsten Jahr im Auftrag der Österreichischen
Akademie der Wissenschaften fort und erweiterte sie auf die bislang geologisch wenig
erforschten Nachbarinseln Kasos und Armanthia. Die bedeutendsten Ergebnisse seiner
68
BARBARA VECER
Forschungsreisen sind die Untersuchungen auf der Insel Rhodos. Mehrere Arbeiten wurden erst im Jahre 1898 in einer Monographie der Insel zu einer Geologischen Karte im
Maßstab 1:120.000 zusammengefasst. Es ist dies die erste geologische Karte dieser Insel
(Dodekanes).
Abb. 2: Geologische Übersichtskarte der Insel Rhodos im Maßstab 1:120.000
Während der Ausarbeitung der Ergebnisse seiner Forschungsreisen fällt sein Eintritt
in die Geologische Reichsanstalt, wo er zunächst als Praktikant tätig war. Am 1. Jänner
1889, nach vier Dienstjahren, wurde er zum Assistenten der 9. Rangklasse ernannt. Nun
wurde dem jungen Paläontologen ein ganz anderes Gebiet im Kristallin und Paläozoikum der Sudeten, auf dem Blatt Mährisch Neustadt (heute Uničov) und Schönberg (heute Šumperk) nordwestlich von Olmütz, heute Tschechische Republik, zur Kartierung
zugewiesen. Mit ebenso großer Begeisterung für seine Arbeit wie Fleiß erstellte er eine
geologische Aufnahme dieses Gebietes in den Jahren von 1889 bis 1892. Diese erschien
im Jahre 1905 als Spezialkarte im Maßstab 1:75.000 in Druck.
DAS ERFÜLLTE LEBEN DES GEOLOGEN GEJZA BUKOWSKI
69
Abb. 3: Gedruckte Spezialkarte, Blatt Mährisch Neustadt und Schönberg, 1:75.000,
1905
Bukowskis Bemühungen um weitere Arbeiten als Forschungsreisender und kartierender Geologe im Mittelmeergebiet und Kleinasien blieben nicht ohne Erfolg. Obwohl
er die Kartierung auf dem Blatt Mährisch Neustadt und Schönberg fortführte, gelang es
ihm, in den Jahren 1890 und 1891 auch seine Forschungsreisen in Kleinasien fortzusetzen. Der Direktor der Geologische Reichsanstalt, Dr. Dionys Stur, ermöglichte ihm für
diesen Zweck einen längeren Urlaub, die kaiserliche Akademie der Wissenschaften in
Wien stellte ihm Mittel aus der Ami Boué-Stiftung zur Verfügung. Während dieser Reisen stützte er sich vor allem auf die topographische Spezialkarte des westlichen Kleinasiens im Maßstab 1:250.000 von Heinrich Kiepert.2 Betrachtet man diese Reisegebiete
von Gejza Bukowski auf der heute im Handel zur Verfügung stehenden topographischen
Übersichtskarte Karte 1:2.000.000, ist man von der Größe und des Schwierigkeitsgrades des Geländes beeindruckt. Die erste Reise führte Bukowski in das Südwestliche
2
Gejza Bukowski: Kurzer Vorbericht über die Ergebnisse der in den Jahren 1890 und 1891 im südwestlichen
Kleinasien durchgeführten geologischen Untersuchungen, Sitzungsber. Akad.Wiss., 100, S. 378-399, Wien 1891.
70
BARBARA VECER
Kleinasien in das Buldur-See-Gebiet, die zweite in das Seengebiet von Ejerdir, Beisheher
und Aksheher. Der untersuchte Landesstreifen reichte in seiner west-östlichen Längsausdehnung vom Babadag (Baba Dagh) im Westen bis Konya im Osten (ca. 400 km
Luftlinie).
Bukowskis geologische Forschungsreisen haben viele neue stratigraphische und tektonische Ergebnisse erbracht, etwa über die Kreide- und Eruptivgebiete, über Kristallin
und Paläozoikum am Babadag, aber auch über neogene Süßwasserschichten. Die heutigen großen Süßwasserseen Inneranatoliens werden als Überreste der neogenen Süßwasserseen aufgefasst. Auch in Mysien3 konnte er die geologischen Verhältnisse beim alten
Bergbauort Balia Maaden klären. Er konnte, was ganz neu war, marine Karbonsschichten mit Fossilien nachweisen.4
In dieser Zeit wurde er auch auf Vorschlag der Physiographischen Kommission der
Akademie der Wissenschaften in Krakau im April 1891 zunächst als Kandidat vorgeschlagen und wenig später zum Akademiemitglied ernannt.
Von den nicht in Druck erschienenen geologischen Karten als Ergebnis seiner Forschungsreisen Gejza Bukowskis im südwestlichen Teil Kleinasiens sind leider weder in
Österreich noch in Polen Manuskripte erhalten.
Von welch großer geologischen Bedeutung die Untersuchungen in Balia Maaden
damals waren, zeigt die Tatsache, dass auf einer geologischen Übersichtskarte “Carte
Geologique International de l’Europe“, Blatt 47, Maßstab 1: 1,5 Millionen, erschienen
im D.Reimer Verlag in Berlin (1881-1913), die winzige Ortschaft eingetragen wurde.
Ab dem Jahr 1891 konnten jedoch die Reisen in das östliche Mittelmeergebiet nicht
mehr fortgesetzt werden, da der neue Direktor der Geologischen Reichanstalt, Dr. Guido
Stache, gegen einen längeren Auslandsurlaub der Anstaltsangehörigen eingestellt war.
Er setzte ab dem Jahr 1893 G. Bukowski als Aufnahmsgeologen in Süddalmatien, heute Montenegro, dem südlichsten Punkt der alten Monarchie, auf dem Blatt Spizza und
Budua, heute Budva ein. Dort arbeitete Bukowski bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Während dieser Zeit erreichte er die achte und die siebente Dienstrangsklasse
und brachte es bis zum Chefgeologen. Der Höhepunkt seiner Tätigkeit in Dalmatien war
die Leitung von Exkursionen für den IX. Internationalen Geologen-Kongress im Jahre
1903 und die Herausgabe der geologischen Detailkarte Süddalmatien, Blatt Budua im
Maßstab 1:25.000 im selbem Jahr.
Die Auswertung der Untersuchungen im Kleinasien beschäftigten Bukowski weiter,
so präsentierte er auch im Jahr 1903 anlässlich des Internationalen Geologen-Kongress
neue Erkenntnisse zur Stratigraphie von Kleinasien unter Berücksichtigung der Literatur, die in den 35 Jahren zuvor erschienen ist.5
3
Mysien ist eine Gebirgslandschaft im Nordwestlichen Kleinasien zwischen dem Ägäischen Meer und dem
Marmarameer. In Mysien lag die Stadt Pergamon, heute türkisch Bergama.
4
Gejza Bukowski: Die geologischen Verhältnisse der Umgebung von Balia Maaden im nordwestlichen Kleinasien (Mysien) (mit Karte), SB.Akad.Wiss., 101, S.214 -235.
5
Gejza Bukowski: Neue Fortschritte in der Kenntnis der Stratigraphie von Kleinasien.- Compte-Rendus de lŕ
IX. Session du Congrčs geol. International. I.Fasc., S. 393-426. Wien 1903
DAS ERFÜLLTE LEBEN DES GEOLOGEN GEJZA BUKOWSKI
71
Als weitere geologische Karten von Süddalmatien wurden das Blatt Spizza Nordhälfte und Südhälfte im Maßstab 1 : 25 000 auf Grund der Gelände - Aufnahmen aus den
Jahren 1895-1897 und 1904-1908 im Jahre 1909 gedruckt.
Bei seiner Forschungstätigkeit kamen ihm auch seine umfangreichen Sprachkenntnisse stets zugute - wie man seinen Personalunterlagen entnehmen kann, sprach er Polnisch,
Deutsch, Französisch und Türkisch.
Am 12. September 1904, im Alter von 46 Jahren, heiratete Bukowski die um acht
Jahre jüngere Wienerin Katharina Wehrmann, die ihn 4 Jahre hindurch bei seiner Arbeit
in Dalmatien begleitete.
Abb.4: Katja Bukowski
Ihre handschriftlichen, schwer lesbaren, da auf Deutsch in Kurrentschrift geschriebenen Reiseberichte sind erhalten geblieben und geben uns einen Einblick in die Arbeit
eines kartierenden Geologen vor 100 Jahren.
Wohnsitz des Ehepaars Bukowski war der dritte Wiener Gemeindebezirk, Hansalgasse 3, unweit der Geologischen Reichanstalt. Lt. Meldezettel des Wr. Stadt- und Landesarchivs meldete er sich sowie seine Gattin am 7. Juli 1919 von diesem Wohnsitz ab, als
neuer Wohnsitz wird Bochnia angegeben.
Aus Anlass der 150. Wiederkehr des Geburtstags von Gejza Bukowski von Stolzenburg wurde am 14. April 2008 in einem Festakt eine Gedenktafel am Wohnhaus Bukowski in der Hansalgasse enthüllt.
72
BARBARA VECER
Abb. 5: Gedenktafel am ehemaligen Wohnhaus Bukowskis
Nach dem Ausbruch des I. Weltkrieges konnte Bukowski seine Tätigkeiten in Dalmatien nicht mehr fortsetzen. Er beschäftigte sich mit der paläontologischen Ausarbeitung
seiner zahlreichen Aufsammlungen aus Kleinasien wie etwa den marinen Aquitan – Ablagerungen von Davas. 6
Für den Militärdienst wurde er als nicht tauglich befunden.
Die Ergebnisse seiner früheren Aufnahmen in Dalmatien auf Blatt Ragusa (heute Dubrovnik) veröffentlichte Bukowski 1917 als Detailkarte 1:25.000 von der Insel Mezzo
(Lopud), Calamotta (Koloc`ep) und von Scoglio S.Andrea.
Im Jahre 1916 erhielt Gejza Bukowski den Titel eines Oberbergrates als Anerkennung für seine Verdienste. Aus den Mitteilungen der Geologischen Gesellschaft in Wien
erfahren wir, dass Bukowski zu den Mitgliedern dieses Vereins zählte.
Mit Kriegsende beendete G. Bukowski auf Grund eines Erlasses des Kabinettsrates
mit dem 30.12.1918 seinen Dienst an der Geologischen Reichsanstalt:
„Die Chefgeologen der Geologischen Reichsanstalt Oberbergrat Geyza [s i c] von
Bukowski und Bergrat Dr. Karl Hinterlechner wurden laut Erlaß des deutschösterreichischen Staatsamtes für Unterricht vom 30. Dezember 1918 Z 3699 /
Abt. 9, im Sinne des Erlasses des Kabinettsrates vom 23. November 1918 ihrer
Dienstleistung an der Anstalt mit Ende des Monates Dezember enthoben.“7
6
Gejza Bukowski: Beitrag zur Kenntnis der Conchylienfauna des marinen Aquitanien von Davas in Karien
(Kleinasien). I Teil. – Sitzungsbericht Akad. Wiss., Abt. I, 53, S. 159, Wien 1916
7
Emil Tietze: Jahresbericht der Geologischen Reichsanstalt für 1918. – Verhandlungen der Geologischen
Reichsanstalt, 1919, S.2-44, Wien 1919.
DAS ERFÜLLTE LEBEN DES GEOLOGEN GEJZA BUKOWSKI
73
Er wurde als Chefgeologe vom neu gegründeten Polnischen Geologischen Dienst
in Warszawa übernommen. Nach einer Probezeit wurde er der Abteilung Erdöl- und
Salzlagerstätte mit dem Arbeitsbereich in der karpathischen Randzone in der Region
von Bochnia zugeteilt. Das Ergebnis dieser letzten Periode seiner Gelände - Aufnahmetätigkeit ist die „Geologische Detailkarte der subkarpathischen Zone von Bochnia“ im
Maßstab 1:25.000 mit Erläuterungen, herausgegeben im Jahre 1932.
Abb. 6: Karte v. Bochnia 1:25.000, herausgegeben im Jahre 1932
Bukowski war Mitglied der Polnischen Geologischen Gesellschaft seit deren Gründung am 24.04.1921 in Kraków und war dies lt. deren Aufzeichnungen bis zu seinem
Tod.
Er ging im Jahre 1926 im Alter von 68 Jahren in Pension. Auch nach seinem Pensionsantritt war er weiterhin wissenschaftlich tätig und publizierte einige Zusammenfassungen über seine früheren Einsatzgebiete in Süddalmatien um Budva sowie in Kleinasien,
in der Umgebung des Seengebietes Buldur Giöl.8 Ungeachtet der Tatsache, dass die
Untersuchungen bereits einige Jahre zurücklagen und das Gebiet Budva außerhalb des
damaligen österreichischen Staatgebietes lag, beschloss die Geologische Bundesanstalt
seine Ergebnisse zu publizieren. Seine Geländeaufnahmen aus den Jahren 1911, 1912
und 1914 wurden als geologische Karte im Maßstab 1:25.000 im Jahrbuch der Geologischen Bundesanstalt, Bd.77, 1927 gedruckt. Er unterhielt auch weiterhin gute wissenschaftliche Kontakte und war an der Entwicklung der Geologischen Bundesanstalt
in Wien interessiert, im Jahre 1925 wurde er zum Korrespondenten der Geologischen
Bundesanstalt in Wien ernannt.
Während seiner weiteren wissenschaftlichen Tätigkeit im Ruhestand traf ihn im Jahre 1936 der Schicksalsschlag des Todes seiner Gattin Katharina, ein Jahr später verstarb
Gejza Bukowski am 1. Februar 1937 kinderlos in Alter von 79 Jahren. Er wurde in der
imposanten Gruft seines Vaters auf dem Friedhof von Bochnia begraben. Das gemein-
8
Gejza Bukowski: Bemerkungen über die Binnenablagerungen in der Umgebung des Buldur Giöl in Kleinasien.- Annales Soc. Geol. Poloniae, 6. Jg., S.1-18, Warszawa 1929.
74
BARBARA VECER
same Grab von Mutter Rosalia und der Gattin von Gejza Bukowski befindet sich in der
Nähe und zeigt leider Schäden durch den alten Bergbau.
Als Anerkennung für seine wissenschaftlichen Verdienste und seiner menschlichen
Größe hat die Stadt Bochnia eine Straße nach Gejza Bukowski benannt.
In einem Nachruf für Gejza Bukowski aus dem Jahr 1937 wurden von österreichischer und polnischer Seite nicht nur seine großen wissenschaftlichen Errungenschaften, sondern auch die edlen Charakterzüge und seine Hilfsbereitschaft betont. Über seine
Anpassungsfähigkeit schrieb sein jüngere Kollege der Geologischen Bundesanstalt, Dr.
Gustav Götzinger:
„Denn er fühlte sich in Wien als echter Österreicher, er betrachtete sich als Angehörigen
des deutschen Kulturkreises, als dessen Repräsentant er auch im Orient reiste.“9
Bukowski war ein Geologe, der noch universal in allen geologischen Formationen
arbeiten konnte und auch arbeitete.
In der „Neuen Deutschen Biographie der Bayrischen Akademie der Wissenschaften“
schrieb Werner Quenstadt:
„Bukowskis Ergebnisse erhielten besonderen Wert dadurch , dass manche bis dahin geologisch völlig unbekannte Gebiete bis zur modernsten tektonischen und
überhaupt geologischen Erkenntnis mit Hilfe genauester geologischen Kartierung im Sprung die Arbeit mehrerer Forschergenerationen nachholten.“10
Als Ausdruck der Wertschätzung seiner wissenschaftlichen Verdienste in der Paläontologie wurden einige Fossilien nach ihm benannt, z.B. in Jurassischen - Sedimenten in
Polen:
Taramelliceras bukowskii Siemiradzki,
Cardioceras bukowskii Maire ,
Hecticoceras bukowskii Bonarelli.
Anlässlich des 150. Geburtstags von Gejza Bukowski im Jahre 2008 sollen seitens
österreichischer Wissenschaftler der Geologischen Bundesanstalt sowie polnischer Wissenschaftler der Polnischen Akademie der Wissenschaften die neuen Erkenntnisse in
Form einer Publikation zu veröffentlichen. Auch eine Aufnahme in das Österreichische
Biographische Lexikon ist vorgesehen.
9
Gustav Götzinger: Zur Erinnerung an Gejza von Bukowski. – In: Jahrbuch der Geologischen Bundesanstalt
87. S.1-10, Wien 1937. S. 8.
10
Quenstedt W.: Gejza von Bukowski. - In: Neue Deutsche Biographie. Bayrische Akademie der Wissenschaften,
3, S.11-12, Berlin 1971.
DAS ERFÜLLTE LEBEN DES GEOLOGEN GEJZA BUKOWSKI
75
Abb.7: Cardioceras Bukowski Maire,
Photo Nr. 87a-c, 88 a-c, 89 und 90 - Obere Reihe der Ammoniten. Aus der Publikation von Lydia Malinowska: „Stratygrafia oxfordu jury częstochowskiej na podstawie
amonitów“ (Stratigraphie des Oxfords in der Tschenstochauer Jura auf Grundlage der
Ammoniten), P.I.G., T.36, Warszawa 1963
Dank
Die Autorin dankt folgenden Personen:
Dir. Prof. Bogusław Dybaś, Mag. Ewa Wasiak sowie Mag. Irmgard Nöbauer (Polnische
Akademie der Wissenschaften in Wien), Univ. Prof. Dr. Franz Pertlik (Institut für Mineralogie u. Kristallographie in Wien), Dir. Mag. Jan Flasza und Mag. Janina Kęsek (Museum
in Bochnia), Dr. Stanisław Czarniecki (Geol. Institut der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Kraków), Dr. Tillfried Cernajsek (Geologische Bundesanstalt in Wien).
Bibliographie:
Katharina Bukowska: Meine Reisen. Heft 1. ab 09.10.1904 u. Heft 2. ab 24.05.1906. KurrentHandschrift. Tagebuch. - Archiv d. Museum in Bochnia. Kopie im Archiv der Bibliothek
der Geol. Bundesanstalt in Wien 2007
Czesław Z. Bukowski, M. Wanda Bukowska: Bibliografia geologiczna Polski 1958, S. 68
poz. (Kettner Radim), Warszawa 1962
Gejza Bukowski - In: Deutsche Biographische Enzyklopädie (DBE)., 2, S.220, München
1995
Tillfried Cernajsek: Dipl.-Ing. Barbara Vecer und ihr Kollege Gejza Bukowski von Stolzenburg (1858-1937). Beilage zum Abstraktband der 7. Arbeitstagung „Geschichte der Erd-
76
BARBARA VECER
wissenschaften in Österreich“, Salzburg, 22. - 25 Mai 2008. Berichte der Geologischen
Bundesanstalt, 72, Wien 2008
Stanisław Czarniecki: Z Bochni na wybrzeże Dalmatyńskie. Gejza Bukowski (1858 -1937). Rocznik Bocheński. T.I. , S.149-162, Nakład Urzędu Miejskiego Bochni, Bochnia 1993
Stanisław Czarniecki: Bochnia i Bochnianie w dziejach Polskiej Geologii. – Rocznik Bocheński, T.V., S.87-101, Muzeum St.Fiszera, Bochnia 2001
Stanisław Czarniecki, Zofia Martini: Retrospektywna bibliografia geologiczna Polski oraz
Polaków z zakresu nauk o Ziemi 1750-1950. Uzupełnienia. S. 43, poz.158-162, S. 222
poz. 1846, Warszawa 1972
Stjepan Ćorić: Die geologische Erforschung von Bosnien und der Herzegowina und der
grundlegende Beitrag der österreichischen Geologen. – Abh. Geol. B.-A., 56/1, 117-152,
Wien, 1999
Regina Danysz Fleszarowa: Bibliografia geologiczna Polski 1921-1923., S.4 poz.12, S.9
poz.9, S.17, poz.9, Warszawa 1923
Regina Danysz Fleszarowa: Bibliografia geologiczna Polski 1924., S.2 poz.10, Warszawa
1924
Regina Danysz Fleszarowa: Bibliografia geologiczna Polski 1926., S.2 poz.16, Warszawa
1926
Regina Danysz Fleszarowa: Bibliografia geologiczna Polski 1932., S.3 poz.15, Warszawa
1932
Regina Danysz Fleszarowa: Bibliografia geologiczna Polski 1937., S.4 poz.9, S.50
poz.182,183, Warszawa 1938
Regina Danysz Fleszarowa: Retrospektywna bibliografia geologiczna Polski oraz prac Polaków z zakresu nauk o Ziemi. Cz.I. 1900-1950., t.1, s.86-89 poz. 810-837, Warszawa
1957
Regina Danysz Fleszarowa: Retrospektywna bibliografia geologiczna Polski oraz prac Polaków z zakresu nauk o Ziemi. Cz.2 1750 – 1900, z.1, S. 91- 94 poz. 369-393, Warszawa
1966
Ludwig Eisenberg: Geistiges Wien. Künstler- und Schriftsteller. - Lexikon., 2. Med.-nat.
Teil., S.67-68, Wien 1893
Jan Flasza, Janina Kęsek: Cmentarze Bochenskie. Przewodnik historyczny. Muzeum im. St.
Fischera, Bochnia 1992
Gustav Götzinger: Zur Erinnerung an Gejza von Bukowski. – Jahrbuch der Geologischen
Bundesanstalt, 87, 1 Bild, S.1-10, Wien 1937
Radim Kettner: Gejza sl. Bukowski (1858 - 1937). - Časopis pro Mineralogii a Geologii, 3 ,
S.121 -122, Praha 1958
Stanisław Krajewski: Gejza Bukowski (1858-1937). Wspomnienie pośmiertne = Gejza Bukowski (1858-1937). Souvenirs posthumes. - Bulletin Service Géologique Pologne, 9.1,
7 S., 1 Bild, Warszawa 1937
Lydia Malinowska: Stratygrafia oksfordu jury czestochowskiej na podstawie amonitów. Panstw.Inst.Geol., 36, Warszawa 1963
Notiz über Mitgliedschaft G. Bukowski: Mitteilungen der Geologischen Gesellschaft in
Wien, 10, 1917, H.3 u. 4, Wien 1918
DAS ERFÜLLTE LEBEN DES GEOLOGEN GEJZA BUKOWSKI
77
Werner Quenstedt: Gejza Bukowski. - In: Neue Deutsche Biographie. Bayrische Akademie
der Wissenschaften, 3, S.11-12, Berlin 1971
Rocznik Polskiego Towarzystwa Geologicznego w Krakowie: Powstanie i dwa pierwsze lata
Polskiego Towarzystwa Geologicznego (1921 – 1922), 1, 100-104, 109-110, Kraków
1923
Rocznik Polskiego Towarzystwa Geologicznego w Krakowie: Zjazd Polskiego Towarzystwa
Geologicznego w Krakowie, 8, (1), 346 - 347. Kraków 1932
Emil Tietze: Jahresbericht der Geologischen Reichsanstalt für 1918. - Verhandlungen der
Geologischen Reichsanstalt, 1919, S. 2 - 44, Wien 1919
Helmuth Zapfe: Bukowski von Stolzenburg Gejza. - In: Index Palaeontologicorum Austria / v.
Helmuth Zapfe. - Catalogus fossilium Austriae, 15, S.22, Wien 1971
Quellenverzeichnis:
Archiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften: Boué-Erbschaft und Stiftung
Archiv der Universität Wien: Rigorosenakt Gejza Bukowski von Stolzenburg
Geologische Bundesanstalt in Wien / Wissenschaftliches Archiv: Personalakt
Wiener Stadt- und Landesarchiv: Meldedokumente
Pfarramt Mariabrunn in Wien 14: Taufschein der Katharina Bukowska
Archiv des Museums in Bochnia: Kopie der Sterbedokumente von Josef und Rosalia Bukowski, sowie Geburt- u. Sterbeschein von Gejza Bukowski
Staatsarchiv in Kraków, Zweigstelle Bochnia : Dokumente der Stadt Bochnia der Jahre
1486 - 1945 (1950): Bukowski Gejza und Ehefrau. Katarzyna (geb.Wehrmann) Zugehörigkeit zur Stadt Bochnia. Einwohnerzählung., Bochnia 1922, ZMB 499, S. 57
Archiv der Polnischen Akademie der Wissenschaften und Polnische Akademie der Schönen Künste in Kraków: Gejza Bukowski. Sitzungsprotokolle der Mathematisch- Naturwissenschaftliche Klasse der Akademie der Wissenschaft in Krakau (1887-1895), von
20.04.1891 und 20.05.1891., S. 46–47: Ernennung zur Mitglied der Physiographischen
Kommission der Akademie der Wissenschaften in Krakau
Werkverzeichnis
der Schriften von Gejza Bukowski auf Grund der Werkverzeichnisse aus den Nachrufen auf
Bukowski von Gustav Götzinger <1937> und Stanislaw Krajewski <1937>, ergänzt auf
Grund der Bestände der Bibliothek der Geologischen Bundesanstalt.
Mittheilung über eine neue Jodquelle in der miocänen Randzone der Karpathen und über
Algenfunde in den wasserführenden Schichten. - Verhandlungen der Geologischen Reichsanstalt, 1886, S.391-395, Wien 1886.
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BARBARA VECER
Ueber das Bathonien, Callovien und Oxfordien in dem Jurarücken zwischen Krakau und
Wielun. - Verhandlungen der Geologischen Reichsanstalt, 1887, S. 343-350, Wien 1887.
Vorläufiger Bericht über die geologischen Aufnahmen der Insel Rhodus. – Sitzungsberichte
der Akademie der Wissenschaften, Abteilung I, 96, S.167-173, Wien 1887.
Über die Jurabildungen von Czenstochau in Polen. - Beiträge zur Palaeontologie und Geologie Österreich-Ungarns und des Orients, 5, S.75-171, 6 Taf., Wien 1887.
Grundzüge des geologischen Baues der Insel Rhodos <Mit Karte> . - Sitzungsberichte der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Abteilung 1, 98, S.208-272, 1 Kt., Wien 1889.
Reisebericht aus der Gegend von Römerstadt in Mähren . – Verhandlungen der Geologischen
Reichsanstalt, 1889, S.261-265, Wien 1889.
Geologische Aufnahmen in dem krystallinischen Gebiete von Mährisch-Schönberg. Verhandlungen der Geologischen Reichsanstalt, 1890, S.322-334, Wien 1890.
Der geologische Bau der Insel Kasos (vorgelegt in der Sitzung am 21.Juni 1889). Sitzungsberichte der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Abteilung 1, 98, S.653-668,
1 Kt., Wien 1890.
Kurzer Vorbericht über die Ergebnisse der in den Jahren 1890 und 1891 im südwestlichen
Kleinasien durchgeführten geologischen Untersuchungen. - Sitzungsberichte der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Abteilung 1, 100, S.378-399, Wien 1891.
Reisebericht aus dem Seengebiete des südwestlichen Kleinasien. – Anzeiger der kaiserlichen
Akademie der Wissenschaften, mathematisch-naturwissenschaftliche Klasse, 28, S. 151154, Wien 1891.
Reisebericht aus Kleinasien. – Anzeiger der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, mathematisch-naturwissenschaftliche Klasse, 27, S. 124-126, Wien 1891.
Zweiter Reisebericht aus Kleinasien. – Anzeiger der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, mathematisch-naturwissenschaftliche Klasse, 27, S. 138-141, Wien 1891.
Dritter Reisebericht aus Kleinasien. – Anzeiger der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, mathematisch-naturwissenschaftliche Klasse, 27, S. 161-164, Wien 1891.
Vorläufiger Schlußbericht aus Kleinasien. – Anzeiger der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, mathematisch-naturwissenschaftliche Klasse, 27, S. 192-195, Wien 1891.
DAS ERFÜLLTE LEBEN DES GEOLOGEN GEJZA BUKOWSKI
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Die geologischen Verhältnisse der Umgebung von Balia Maaden im nordwestlichen Kleinasien (Mysien). - Sitzungsberichte der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften mathematisch-naturwissenschaftliche Klasse, Abteilung 1, 101, S.214-234, 1 Taf., 1 Kt., Wien
1892.
Einige Bemerkungen über die pliocänen Ablagerungen der Insel Rhodus. - Verhandlungen
der Geologischen Reichsanstalt, 1892, S.196-200, Wien 1892.
Reisebericht aus Nordmähren: die Umgebung von Müglitz und Hohenstadt und das Gebiet
von Schönberg. - Verhandlungen der Geologischen Reichsanstalt, 1892, S.327-331, Wien
1892.
Geologische Forschungen im westlichen Kleinasien. - Verhandlungen der Geologischen
Reichsanstalt, 1892, S.134-141, Wien 1892.
Vorläufige Notiz über die Molluskenfauna der levantinischen Bildungen der Insel Rhodus.
– Anzeiger der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, mathematisch- naturwissenschaftliche Klasse, 25, S.247-250. Wien 1892.
Die levantinische Molluskenfauna der Insel Rhodos: Teil 1. - Denkschriften der kaiserlichen
Akademie der Wissenschaften mathematisch-naturwissenschaftliche Klasse, 60, 42 S., 6
Taf., Wien 1893.
Reisebericht aus dem südlichen Dalmatien. - Verhandlungen der Geologischen Reichsanstalt,
1893, S.247-250, Wien 1893.
Ueber den Bau der südlichen Sudetenausläufer östlich von der March. - Verhandlungen der
Geologischen Reichsanstalt, 1893, S.132-140, Wien 1893.
Vorläufige Notiz über den 2. abschließenden Teil der Arbeit: Die levantinische Molluskenfauna der Insel Rhodus. – Anzeiger der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften,
mathematisch-naturwissenschaftliche Klasse, 31, S.243-247, Wien 1893 (1894).
Geologische Mittheilungen aus den Gebieten Pastrovicchio und Spizza in Süddalmatien. Verhandlungen der Geologischen Reichsanstalt, 1894, S.120-129, Wien 1894.
Die Levantinische Molluskenfauna der Insel Rhodos: Teil 2. - Denkschriften der kaiserlichen
Akademie der Wissenschaften mathematisch-naturwissenschaftliche Klasse, 63, 70 S., 5
Taf., Wien 1895.
Einige Beobachtungen in dem Triasgebiete von Süddalmatien. - Verhandlungen der Geologischen Reichsanstalt, 1895, S.133-138, Wien 1895.
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BARBARA VECER
Cephalopodenfunde in dem Muschelkalk von Brac in Süddalmatien. - Verhandlungen der
Geologischen Reichsanstalt, 1895, S.319-324, Wien 1895.
Werfener Schichten und Muschelkalk in Süddalmatien. - Verhandlungen der Geologischen
Reichsanstalt, 1896, S.325-331, Wien 1896.
Zur Stratigraphie der süddalmatinischen Trias. -Verhandlungen der Geologischen Reichsanstalt, 1896, S.379-385, Wien 1896.
Ueber den geologischen Bau des nördlichen Theiles von Spizza in Süddalmatien. - Verhandlungen der Geologischen Reichsanstalt, 1896, S.95-119, 2 Abb., Wien 1896.
Neue Ergebnisse der geologischen Durchforschung von Süddalmatien.- Verhandlungen der
Geologischen Reichsanstalt, 1899, S.68-77, Wien 1899.
Geologische Uebersichtskarte der Insel Rhodos.- Jahrbuch der Geologischen Reichsanstalt,
48, S.517-688, 1 Taf., Wien 1899. [Enth.: Geologische Übersichtskarte der Insel Rhodus
1:120.000.]
Vorlage des Kartenblattes Mährisch Neustadt - Schönberg. - Verhandlungen der Geologischen Reichsanstalt, 1900, S.191-198, Wien 1900.
Geologische Manuskriptkarte von Dalmatien [fing. Titel] [mit Legende].- Wien. 1900 (um).2 Bl.: handkol. - Bibl.Geol.Bundesanst./Wiss.Archiv Nr. A 12308-km
Ueber das Vorkommen carbonischer Ablagerungen im süddalmatinischen Küstengebiete. Verhandlungen der Geologischen Reichsanstalt, 1901, S.176-177, Wien 1901.
Zur Kenntnis der Quecksilbererz - Lagerstätten in Spizza (Süddalmatien).- Verhandlungen
der Geologischen Reichsanstalt, 1902, S.302-309, Wien 1902.
Beitrag zur Geologie der Landschaften Korjenici und Klobuk in der Hercegovina. - Jahrbuch
der Geologischen Reichsanstalt, 51, S.159-168, 1 Taf., Wien 1902.
Exkursionen in Süddalmatien. – In: Exkursionsführer des IX. Internationalen Geologenkongresses in Wien, Nr. XIII, 24 S., 3 Taf., Wien 1903.
Geologische Detailkarte von Süd-Dalmatien: Blatt Budua 1:25.000.- Wien: Geol. Reichsanst.,
1903.- 1 Bl.: Farbendruck; 47 x 44,5 cm.- Geologische Specialkarte der ... Österreichischen - ungarischen Monarchie 1:75.000 SW-Gruppe; 7062.- Topographie: Topographische Spezialkarte Zone 36 Col.XX [mit Legende]
DAS ERFÜLLTE LEBEN DES GEOLOGEN GEJZA BUKOWSKI
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Geologische Detailkarte von Süddalmatien 1:25.000.- Wien: Geol. Reichsanst., 1903-1909;
Druck: k.u.k Militärgeograph. Inst..- 3 Bl.: Farbendruck; 46,4 x 44,5 cm.- Geologische
Specialkarte der ... Österreichischen ungarischen Monarchie 1:75.000 SW-Gruppe; 7162.Topographie: Topographische Spezialkarte Zone 36,Col.XX.SW, Zone 37 Col. XX. Beilage zur „Geologischen Specialkarte ... der Österreichisch-Ungarischen Monarchie“.
Neue Fortschritte in der Kenntnis der Stratigraphie von Kleinasien. – Compte-Rendus de IX.
Session du Congrčs geol. International, I. fasc., S.393-426, Wien 1904.
Erläuterungen zur Geologischen Karte...der Österr.-Ungar. Monarchie: NW - Gruppe Nr.40;
Mähr.-Neustadt und Schönberg : 75000.- Wien: Geol. Reichsanst., 1905.- 50 S.: 20 cm.Geologische Specialkarte der ... Österreichischen - ungarischen Monarchie 1:75.000:
NW - Gruppe; 4058.
Mähr. [Mährisch] Neustadt und Schönberg 1:75.000.- Wien:Geol. Reichsanst., 1905.- 1 Bl.:
Farbendruck; 48,2 x 36,9 cm.- Geologische Specialkarte ... der Österreichisch-ungarischen Monarchie 1:75.000; 4058.- Topographie: Topographische Specialkarte Zone 6 Col.
XVII, evident bis 1902:[Ursprüngliche Zählung: NW-Gruppe Nr. 40.]
Vorläufige Mitteilung über die Tertiärablagerungen von Davas in Kleinasien. – Anzeiger der
kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, mathematisch-naturwissenschaftliche Klasse, 42, S.52-55, Wien 1905.
Nachträge zu den Erläuterungen des Blattes Mährisch-Neustadt und Schönberg der geologischen Spezialkarte. - Jahrbuch der Geologischen Reichsanstalt, 55, S.639-666, Wien
1905.
Bemerkungen über den eocänen Flysch in dem südlichsten Teile Dalmatiens. - Verhandlungen der Geologischen Reichsanstalt, 1906, S.369-377, Wien 1906.
Notiz über die eruptiven Bildungen der Triasperiode in Süddalmatien. - Verhandlungen der
Geologischen Reichsanstalt, 1906, S.397-399, Wien 1906.
Das Oberkarbon in der Gegend von Castellastua in Süddalmatien und dessen triadische Hülle. - Verhandlungen der Geologischen Reichsanstalt, 1906, S.337-342, Wien 1906.
Über die jurassischen und cretacischen Ablagerungen von Spizza in Süddalmatien. - Verhandlungen der Geologischen Reichsanstalt, 1908, S.48-59, Wien 1908.
Geologische Detailkarte von Süd-Dalmatien 1:25.000: Blatt Spizza, Nordhälfte / aufgenommen in den Jahren 1895-1897 und 1904-1908. – Wien: Geol. Reichsanst., 1909.- 1 Bl.:
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BARBARA VECER
Farbdruck; 50,8 x 37 cm.- Geologische Spezialkarte ... der Österreichisch-ungarischen
Monarchie 1:75.000; 7162.- Topographie: Topographische Spezialkarte Zone 37 Kol.XX
NW, NO, SW, SO.
Tithon in dem Gebiete des Blattes Budua und in den angrenzenden Teilen des Blattes Cattaro.
- Verhandlungen der Geologischen Reichsanstalt, 1911, S.311-322, 5 Abb., Wien 1911.
Erläuterungen zur geologischen Detailkarte von Süddalmatien, 1:25.000. Blatt Spizza
( Z.37, Kol.XX ), N- und S- Hälfte.
Zur Geologie der Umgebung der Bocche di Cattaro. - Verhandlungen der Geologischen
Reichsanstalt, 1913, S.317-142, Wien 1913.
Beitrag zur Kenntnis der Conchylienfauna des marinen Aquitanien von Davas in Karien .
–Sitzungsberichte der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Abteilung I, 53, S.159,
Wien 1916.
Der Bau der Inseln Mezzo (Lopud) und Calamotta (Kolocep) sowie des Scoglio S. Andrea bei
Ragusa. - Jahrbuch der Geologischen Reichsanstalt, 67, S.229-238, 1 Kt., Wien 1918.
Bericht über die Feier des siebzigsten Geburtstages des Vizedirektors der geol. Reichsanstalt
Hofrat Michael Vacek. - Verhandlungen der Geologischen Reichsanstalt, 1918, S.219222, Wien 1918.
Beitrag zur Kenntnis der Conchylienfauna des marinen Aquitanien von Devas in Karien
<Kleinasien>. – Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften, Abteilung I., 96,
S.91, Wien 1919.
Kilka uwag o tektonice pasa miocenskiego w okolicy Bochni = Quelques remarques sur la
tectonique du terreain miocene aux environs de Bochnia. - Bulletin du Service Geologique de Pologne, 1.2/3 = Sprawozdania Polskiego Instytutu Geologicznego; 1.2/3, S.191208, 3 Abb., Warszawa 1921.
Kilka spostrzeżeń geologicznych, poczynionych w r.1921 w okolicach Bochni = Quelques
observations géologiques effectuées en 1921 dans les environs de Bochnia. – Séance
Service Geologique de Pologne, 3.= Posiedzenia Naukowe Polskiego Instytutu Geologicznego, 3. Warszawa 1922.
Spostrzeżenia geologiczne w podkarpackiej strefie okolic Bochni = Observations geologiques dans la zone subcarpathique des environs de Bochnia. - Bulletin du Service Geo-
DAS ERFÜLLTE LEBEN DES GEOLOGEN GEJZA BUKOWSKI
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logique de Poloque, 2 = Sprawozdania Polskiego Instytutu Geologicznego, 2, S.97-101,
Warszawa 1923.
Badania na terenie mioceńskim na wschód od Bochni i na wschód od Wieliczki = Recherches
dans le terrain miocēne à l‘Est de Bochnia et à l‘Est de Wieliczka. - Bulletin du Service
Geologique de Pologne, 2 = Sprawozdania Polskiego Instytutu Geologicznego, 2, S.375385, Warszawa 1924.
O budowie rąbka fliszu w okolicy Bochni = Über den Bau des Flyschsaumes in der Gegend von Bochnia. - Bulletin Service Geologie Pologne, 3, S.640-653, 1 Taf., Warszawa
1926.
Geologisches aus der näheren Umgebung von Ercegnovi (Castelnuovo) in Süddalmatien. Verhandlungen der Geologischen Bundesanstalt, 1925, S.162-164, Wien 1926.
Geologische Detailkarte des Gebirges um Budva in Süddalmatien. - Jahrbuch der Geologischen Bundesanstalt, 77, S.195-204, 1 Taf., Wien 1927. [Enth.: Geologische Detailkarte
des Gebirge um Budva in Süddalmatien 1:25.000.]
Uwagi dotyczace utworów lądowych w okolicy jeziora Buldur w Azij Mniejszej = Bemerkungen über die Binnenablagerungen in der Umgebung des Buldur Giöl in Kleinasien.
- Annales de la Societatis Geologorum Poloniae, 6 = Rocznik Polskiego Towarzystwa
Geologicznego; 6, S.73-90, Krakow 1930.
Objaśnienia szczegółowej mapy geologicznej strefy podkarpackiej w okolicach Bochni,
Mapa 1:25.000 = Erläuterung zur geologischen Detailkarte der subkarpathischen Zone
von Bochnia. - Bulletin Service Geologie Pologne, 7, = Sprawozdania Polskiego Instytutu Geologicznego, S.257-291, 1 Kt., Warszawa 1932. . [Enth: Geologische Detailkarte
der subkarpathischen Zone von Bochnia 1:25.000.]
Konsultation: HR Dr. Tillfried Cernajsek
Barbara Vecer studierte angewandte Geologie an der Montanuniversität in Krakau und
schloss ihr Studium mit einer Diplomarbeit über die Anhydrit- und Gipslagerstätte in
Niederschlesien ab. Nach ihrer Übersiedlung nach Wien war sie bis zu ihrer Pensionierung an der Geologischen Bundesanstalt in Wien beschäftigt. Ihre Tätigkeitsschwerpunkte waren u.a. den Untersuchungen und Aufnahmen für die Österreichische Hydrogeologische Karte und für mehrere Karten über geologisch-geotechnische Risikofaktoren
gewidmet, weiters Berichten für Internationale Projekte unter anderem über „Geogenes
Naturraumpotential und integrative Erfassung von Georisken in alpinen Gebieten“. Sie
ist Autorin und Mitautorin zahlreicher facheinschlägiger Publikationen.
II. WELTKRIEG –
GEMEINSAME ODER GETRENNTE
ERINNERUNG
Adam Zieliński
Über Henryk Sławik, den beinahe vergessenen Helden
des polnischen Volkes
Mit Literatur über den Holocaust könnte man jede größere Bibliothek füllen. Es gibt
dabei unzählige Publikationen über jene, die zur Zeit des Zweiten Weltkrieges in Polen
Juden gerettet haben und ebenso viele Publikationen, die über die von den Polen unterlassene Hilfeleistung für die jüdische Bevölkerung berichten. Dort ist auch zu erfahren,
dass es während des 2. Weltkrieges keine einzige Aktion an der Weichsel, an San, Prut
und am Bug gegeben habe, um wenigstens aus einem einzigen Ghetto Juden in die Freiheit zu führen, sie den Nationalsozialisten „zu entreißen“ und sie damit vor dem Massenmord zu retten. Es gibt hier allerdings drei ruhmreiche Ausnahmen, gewissermaßen
drei „Ikonen“, die in dieser Hinsicht die Ehre des polnischen Volkes retteten. Es sind
dies Irena Sendler de domo Krzyżanowska, die eine unglaubliche Leistung vollbrachte,
indem sie 2500 jüdischen Kindern das Leben rettete. Selbst der amerikanische Kongress sah sich gezwungen, solch großes Heldentum besonders zu ehren und wusste diese
Heldentat entsprechend zu würdigen. Der zweite in dieser ruhmreichen Reihe ist Jan
Karski, der legendäre Kurier der Heimatarmee (Armia Krajowa), der die Verpflichtung
auf sich nahm, die freie Welt mit den Gräueltaten des Naziregimes bekannt zu machen
– mit Hitlers Verbrechen an den Juden – und damit das Gewissen der freien Völker mit
der Schuld zu beladen, dass sie sich angesichts dieser ungeheuren Verbrechen passiv
verhielten. Und schließlich der dritte dieser drei „Ikonen“: Henryk Sławik, polnischer
Konsul in Ungarn, der zur Zeit des Naziregimes etwa 5000 Juden auf unglaublich mutige
Weise dem Tod entriss.
Unterzieht man diese drei Persönlichkeiten einer Analyse, muss man zumindest zwei
Schlüsse ziehen. Zum einen: über deren Aktivitäten während des Krieges, die alle unternommen worden, um den Juden zu helfen, erfuhr man durch den Druck des westlichen
Auslands und nicht aus eigener innerer Kraft des polnischen Volkes. Zum zweiten: sowohl Henryk Sławik als auch Irena Sendler stammen ideologisch der PPS (Sozialistische
Partei Polens) und zwar aus jenem Flügel, den man als entscheidend linksprogressiv
bezeichnen muss. Während des II. Weltkrieges teilte sich diese Partei aufgrund dieser
tiefen ideologischen Differenzen in zwei Gruppen: die so genannten „Wrony“ und „Bawoly“ (dieser Titel geht auf die Publikation „Barykada wolności“ zurück). Während es
die „Wrony“ vermieden, den Begriff „Sozialismus“ in allen Veröffentlichungen zu erwähnen, nannten sich die „Bawoly“ nach wie vor „Polnische Sozialisten“. Es waren jene
Persönlichkeiten, die die sozialistische Ideologie ernst nahmen und gegebenenfalls auch
dazu bereit waren, für sie zu sterben.
Warum aber hat das offizielle Polen, dass die drei genannten Helden auf das Höchste
hätte loben und ehren müssen, diese hartnäckig verschwiegen oder verschweigen wollen?
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ADAM ZIELIŃSKI
Es wäre müßig, an dieser Stelle anzuführen, was bereits unzählige Male gesagt wurde
- nämlich, dass der polnische Antisemitismus seit jeher zu einem wichtigen politischen
Faktor, zu einem Instrument, mit dessen Hilfe man Massen steuert, instrumentalisiert
wurde. Über dieses Phänomen gibt es etwa so viel Literatur wie über den Holocaust.
Die Politologen sind sich an sich darüber einig, dass das Regieren des polnischen Volkes
ohne diesen Antisemitismus nicht möglich wäre.
Wie ausschlaggebend die antijüdische Propaganda für die Steuerung der Volksmassen auch während des Zweiten Weltkrieges war, beweist die Dokumentation des Büros
für Information und Propaganda der Kommandantur der Polnischen Heimatarmee (Armia Krajowa), derzufolge sämtliche Mitglieder dieses Büros auf den Umstand hin zu
untersuchen seien, ob sie nicht Juden wären und sie gegebenenfalls zu beseitigen. Das
ging so weit, dass man selbst den Kommandanten der polnischen Untergrundabwehr der
Heimatarmee, Oberst Jan Rzepecki, verdächtigte, Jude zu sein, obwohl allgemein bekannt war, dass seine Mutter Wanda Moszczyńska auf achthundert Jahre Katholizismus
in ihrer Familie verweisen konnte und aktives Mitglied der rechtsradikalen polnischen
Nationalpartei (Stronnictwo Narodowe) war.
Agnieszka Graboń, Autorin des Buches „Problematyka żydowska na łamach prasy
akademickiej w okresie międzywojennym“ (Verlag MCDN – Kraków 2008) beweist,
dass die gesamte akademische Presse in der Zeit von 1918 bis 1939 ausnahmslos in eine
Richtung zielte: die Juden zu bekämpfen und ihre Aussiedlung aus Polen vorzubereiten.
Auch im Buch des Führers der Polnischen Unterirdischen Abwehr, Juliusz Wilczuk
– Garztecki: „Armia Krajowa i nie tylko“, herausgegeben im Verlag XXL - Wrocław,
ist davon die Rede, dass die Bekämpfung der Juden eines der wichtigsten Ziele der
Heimatarmee (Armia Krajowa) gewesen wäre und keineswegs deren Unterstützung.
Erst unlängst, im Juni 2008, machte sich die polnische politische Opposition daran, den
Präsidenten der Stadt Gdańsk politisch „kalt zu stellen“, man stieß Beleidigungen wie
„Dieb”, „Bandit”, „Mafioso“, vor allem aber „Jud“ gegen ihn aus.
Es wäre an dieser Stelle nicht zielführend, neuerlich über Kielce, Kraków, Wilno und
andere Pogrome in Polen nach dem 2. Weltkrieg, über Moczar des Jahres 1968 usw. zu
sprechen, um auf den fortdauernden polnischen Antisemitismus - auch nach dem 9. Mai
1945, zu sprechen. Ist es aber unter diesen Umständen verwunderlich, dass angesichts
dieses Phänomens an der Weichsel über die oben genannten drei „Ikonen“ nicht oder nur
„flüsternd“ gesprochen wurde?
Henryk Sławik hat allen diesen Tendenzen zum Trotz mit übermenschlichem Mut
und gegen den Willen seiner Vorgesetzten aus dem polnischen Außenamt den nach Ungarn geflüchteten polnischen Juden wesentliche Hilfe geleistet. Er stellte ihnen - was für
eine mutige Leistung! - Pässe aus, die fälschlicherweise bestätigten, dass ihre Besitzer
römisch- katholischen Bekenntnisses wären.
Feliks Tych aus Warschau und Szita Szabolcs aus Budapest schreiben im Folgenden
erschöpfend über diesen unglaublich mutigen und von demokratischem Geist erfüllten
Helden. Sie führen dabei in ihren äußerst wertvollen Ausführungen Fakten an, die stau-
ÜBER HENRYK SŁAWIK, DEN BEINAHE VERGESSENEN HELDEN
89
nen lassen. Was man in diesen Texten liest, lässt erschauern: Henryk Sławik widerfuhr
jenes Schicksal, das von seiner antisemitischen Umgebung zu erwarten war - nämlich,
dass man ihn bei der Gestapo anzeigte - und dies tat ausgerechnet ein Pole, was für eine
Schande. Man könnte sagen - einem Antisemiten ist alles Recht. Selbst Jahre später wird
im „Sląski Słownik Biograficzny“ (Schlesisches Biographisches Wörterbuch), herausgegeben in Polen im Jahre 1977, Sławik wohl berücksichtigt, jedoch wird seine Hilfeleistung für die Juden mit keinem einzigen Wort erwähnt. An der Weichsel ist es politisch
eben nicht vertretbar, jemanden - auch nicht nach den Ereignissen von 1968 - dafür zu
loben, dass er unter dem Einsatz des eigenen Lebens Juden rettete. Wäre dagegen deren
Bekämpfung erwähnungswert? Erst Marek Maldis, ein Journalist des Polnischen Fernsehens, zuvor Publizist des Polnischen Rundfunks, Autor der viel beachteten Sendereihen „Im Schatten der Geschichte“, „Vorgestern“ und „Ereignisse der Woche“, zeigte, zu
welchen Höhen sich ein wahrer polnischer Intellektueller mit sozialistischen Wurzeln
erheben kann, wenn man es ihm nur gestattet. Er hatte aufgrund des Buchs von Grzegorz
Łubczyk, ehemals Botschafter Polens in Budapest, eine Fernsehsendung unter dem Titel „Henryk Sławik, ein polnischer Wallenberg“ realisiert, die diese einmalige Leistung
eines polnischen Patrioten, Retter der Juden, meisterhaft zeigte. Marek Maldis hat damit nicht nur dem Helden der Untergrundbewegung, Henryk Sławik, Ruhm gebracht,
vor allem hat er in entscheidendem Maß dem polnischen Antisemitismus einen Schlag
versetzt, indem er zeigte, dass es auch unter den Polen genügend Menschen gab, die
sich gegen die Ausrottung der Juden, und zwar selbst unter der Bedrohung des eigenen
Lebens, zu widersetzen wagten. Er erntete dafür allgemeine Anerkennung, es wurde ihm
der Preis von TV-Polonia „Kryształ”, die „Dawidkamera“ vom Zweiten Internationalen
Festival in Warschau 2004 sowie der erste Preis des Festivals „Polnische Heimat Gegenden“ im Jahr 2006 zuerkannt.
Henryk Slawik wurde in Israel zum Gerechten unter der Völker der Erde ernannt und
unter dem Druck des Auslands, aber auch unter dem Druck der fortschrittlichen Intellektuellen Polens, im Jahre 2004 mit dem Kommandeurskreuz ausgezeichnet.
Danach aber ist es um Henryk Slawik wieder still geworden. Es ist daher das große
Verdienst von Professor Bogusław Dybaś, Direktor des Wissenschaftlichen Zentrums
der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Wien, dass er am 18. Oktober 2007 ein
Symposium über den Helden Henryk Slawik veranstaltete und dass er, eingedenk der
bedeutenden Pflichten, die auf jedem fortschrittlichen, polnischen, Staatsbürger lasten,
im Sinne der besten Traditionen des polnischen Volkes diese Publikation initiierte.
Adam Zieliński ist Schriftsteller in Wien und erhielt für sein literarisches Schaffen zahlreiche Auszeichnungen und Preise
Feliks Tych
Die wechselhafte Rezeptionsgeschichte von Henryk
Sławik, dem polnischen Wallenberg
Ziel dieses Textes ist es nicht, die Verdienste von Henryk Sławik bei der Rettung der
polnischen Juden vor dem Holocaust vorzustellen. Diese sind nämlich schon seit einigen
Jahren bekannt: es erschienen Bücher1 darüber sowie auch ein Dokumentarfilm2. Sławik
tritt in den Medien und sogar in einigen Schulbüchern in Erscheinung. Man nennt ihn
zu Recht gemeinsam in einem Atemzug mit Irena Sendlerowa. Der Problematik, der wir
uns hier widmen möchten, ist die Beantwortung der folgenden Frage: „Warum geschieht
es so spät?”
Vereinzelt trat Henryk Sławik in den polnischen Medien schon früher in Erscheinung,
u.a. im Rahmen der offiziellen und umfangreich angelegten antisemitischen Märzkampagne im Jahre 1968, hier audrücklich ad usum delphini, um die jüdischen Mitbürger zu
demütigen und ihnen zu zeigen, wie undankbar sie sich verhielten: Die Polen retteten
unter Lebensgefahr ihre jüdischen Mitbürger und diese hielten den Polen nun Antisemitismus vor. Um das Jahr 2000, ungefähr 60 Jahre nach dem Tod Sławiks, tritt dieser im
öffentlichen Diskurs nun ernsthaft und mit edlen Absicht als Held des Kriegs in Erscheinung, als ein Mensch, der etwa 5000 polnische Juden vor dem Holocaust rettete.
Henryk Sławik, ein Schlesier aus der Umgebung von Pszczyna, schloss sich der Arbeiterbewegung an und war in der PPS aktiv. Er kämpfte in drei schlesischen Aufständen
und nahm an der Volksbefragung teil. Zur Zeit der II. Polnischen Republik stieg er in
die Führungsriege der PPS in Oberschlesien auf. Er, selbst ausdauernder Autodidakt,
bemühte sich um die Wissensverbreitung unter seinen Mitmenschen: er organisierte
in Oberschlesien ein Netz von Gesellschaften der Arbeiteruniversitäten und anderen
Bildungs- und Kulturorganisationen, er gründete Sportvereine für die Arbeiter, er war
Führungsmitglied der schlesischen PPS und Chefredakteur der „Gazeta Robotnicza”
[„Arbeiter-Zeitung“], der Parteizeitung in Katowice, für die er häufig schrieb. Im Jahre
1934 wurde er Mitglied des gesamtpolnischen Vorstandes der PPS. Im Vorfeld des Zweiten Weltkriegs beteiligte er sich an den Vorbereitungen zur Verteidigung Oberschlesiens
vor dem deutschen Angriff auf Polen. Im letzten Augenblick entkam er den Besatzern
und schlug sich nach Ungarn durch. Im Auftrag der polnischen Exilregierung in London wurde er zum Vertreter der polnischen Flüchtlingsangelegenheiten in Ungarn und
Vorsitzender des dort angesiedelten polnischen Bürgerkomitees. Seit langem von der
Gestapo beobachtet, musste er sich nach dem Einmarsch der Deutschen in Ungarn im
März 1944 verstecken. Mitte Juli 1944 wurde er von der Gestapo verhaftet und nach
1
Grzegorz Łubczyk: Polski Wallenberg - Rzecz o Henryku Sławiku, Warszawa 2003. Elżbieta Isakiewicz:
O Polaku, który uratował tysiące Żydów, Warszawa 2003..
2
Henryk Sławik - polski Wallenberg. Dokumentarfilm von Marek Maldis und Henryk Łubczyk, Telewizja
Polska i Telewizja Polonia, 2004.
92
FELIKS TYCH
intensivem Verhör ins Konzentrationslager nach Mauthausen geschickt. Dort wurde er
im August 1944 erschossen. Er starb u.a. dafür, weil er auf Grund seiner Funktionen in
Ungarn durch das Ausstellen falschen Papiere für polnische Flüchtlinge - Juden, die hier
vor dem Holocaust Zuflucht suchten – diesen das Leben rettete. Er bescheinigte ihnen
amtlich, dass sie polnische Bürger wären, was der Wahrheit entsprach, jedoch mit dem
Vermerk, dass sie auch Katholiken wären, was nicht der Wahrheit entsprach. Und genau
diese Information rettete ihnen das Leben.
In der im Jahre 1977 im Schlesischen Biographischen Wörterbuch veröffentlichten
Biographie über Sławik wird mit keinem Wort die Hilfe, die er den polnischen Juden
gewährte, erwähnt3. Diese Information lässt sich in dem 21 Jahre später herausgebenen
Band des Polnischen Biographischen Wörterbuchs auch nicht finden4. Aber zum damaligen Zeitpunkt interessierte sich kaum jemand für Henryk Sławik. Der Grund dafür
war der gleiche Grund wie jener, warum Polen, die Juden aus den tödlichen Händen der
Deutschen vor dem Tod retteten, im polnischen öffentlichen Diskurs entweder überhaupt
nicht oder kaum in Erscheinung traten: sie war durch eine politische und auch moralische
Tabuisierung bedingt. Diese war vor allem mit der Tatsache verbunden, dass die große
Mehrheit der Polen an der Rettung der Juden n i c h t teilnahm. Manche deswegen, weil
sie diesem Verbrechen gleichgültig gegenüber standen, andere, weil sie den Juden gegenüber feindlich eingestellt waren, wieder andere deswegen, weil sie Angst hatten (bekanntlich war jegliche Hilfe für die Juden auf den Gebieten des besetzten Polens mit der
Todesstrafe bedroht). Da sich nach dem Krieg jedoch herausstellte, dass viele Tausende
Polen (man schätzt ca. 200.000) mit Erfolg an dieser Rettungsaktion teilnahmen, befanden sich Millionen ihrer Landsleute in einer moralisch betrachtet mehrdeutigen Situation. Die meisten von ihnen hatten einfach keine Gewissensbisse wegen ihrer Passivität.
Eine beträchtliche Mehrheit der Polen verspürte einfach kein Bedürfnis, etwas von jenen
zu erfahren, die Juden das Leben gerettet haben. Weite Teile der polnischen Gesellschaft
nahmen aber ihren gegenüber menschlichem Unglück sensibleren Landsleuten übel,
dass sie Juden geholfen haben, sich aus der tödlichen Umklammerung der Nationalsozialisten zu retten. Einige kleinere Gruppen und Einheiten zögerten nicht, unmittelbar
nach dem Krieg die von den Deutschen nicht beendeten ethnischen Säuberungsaktionen
fortzusetzen, wovon eine Welle von Nachkriegspogromen und Meuchelmorden, die an
Juden, die den Holocaust überlebt, begangen wurden, zeugt.
In einer Situation, in der der größere Teil der Gesellschaft ihre ermordeten jüdischen
Mitbürger aus unterschiedlichen Gründen nicht beweinte, schwieg auch die Regierung
bezüglich der Haltung der Polen gegenüber den Juden. Regierungen kämpfen in der
Regel nur um die Gunst ihrer Bürger. Tatsächlich herrschte hier ein eigenartiger Konsens zwischen der Mehrheit der Regierten und den Regierenden. Die Tatsache, dass das
eigenartige Tabu gegenüber diesem Thema auch eine politische Dimension hatte, wird
unleugbar auch dadurch bestätigt, dass die Regierung - darunter auch der Sejm der ReŚląski Słownik Biograficzny, Bd. I, Katowice 1977, S. 236-238; ebd. Literatur zum Thema.
Polski Słownik Biograficzny, Bd. XXXV/4, Heft 159, Warszawa-Kraków 1998, S. 601-602; ebd. Literatur
zum Thema.
3
4
DIE WECHSELHAFTE REZEPTIONSGESCHICHTE VON HENRYK SŁAWIK...
93
publik Polen - Jahrzehnte dafür brauchte, jenen Polen, die Juden das Leben retteten, die
Kombattantenrechte zuzuerkennen. Und es war dies zweifelsohne eine Form der Widerstandsbewegung, die ähnlich wie die Teilnahme im militärischen Untergrund mit der
Todesstrafe seitens der Besatzer bedroht war. Und dies nicht zufällig: die Ermordung der
europäischen Juden war eines der Hauptkriegsziele Hitlers, er bekannte dies nicht nur
in den offiziellen Erklärungen, sondern auch in seinem kurz vor seinem Tod verfassten
politischen Testament.
Davon aber, dass die über mehr als ein halbes Jahrhundert dauernde Verzögerung,
den Polen, die Juden retteten, den Kombattantenstatus zuzuerkennen, auch einen moralischen Kontext hatte, zeugte nicht nur die Haltung des Sejms und der Regierung in
dieser Sache, sondern auch die Tatsache, dass über Jahrzehnte hindurch kaum jemand
der Retter den Kombattantenstatus forderte. Viele Retter taten dies nicht, da sie ihre - so
gefährliche - menschliche Regung als selbstverständliches Verhalten betrachteten, das
in diesem Teil der Welt vom geltenden moralischen Kodex diktiert wurde. Die Mehrheit
jedoch schwieg, da sie vom Schweigen rund um dieses Thema paralysiert war.
Die Sensibilisierung in Bezug auf die Retter erwachte in größerem Ausmaß erst
in den Nachkriegsgenerationen der polnischen Gesellschaft. Tatsächlich wurden die Retter erst mit Beginn unseres Jahrhunderts wirklich wahrgenommen. Damit wollten sich
die kommunistischen Machthaber nicht befassen, um die Legitimierung ihrer Regierungen in der polnischen Gesellschaft bemüht, in diesem Fall um den Preis des Gedenkens
an die ermordeten Juden. Aus ähnlichen Gründen wollten sich auch die Behörden unmittelbar nach dem Systemwechsel im Jahre 1989 diesem Thema nicht widmen. Eine
Trennlinie zwischen Links und Rechts existierte hier nicht. Die allgemeine moralische
Sensibilität und das Verhältnis zu den Juden als Mitbürger entschied die Haltung.
Dieser Mangel an Aufmerksamkeit und Respekt jenen gegenüber, die Juden das Leben retteten, war in der Nachkriegszeit nicht nur eine polnische Erscheinung. Er trat auch
in den anderen vom Holocaust betroffenen Ländern auf. Und in der Regel hatte er auch
ähnliche Ursachen.
Der vor kurzem verstorbene amerikanische Forscher Raul Hilberg, der als Pionier
der Holocaustgeschichtsschreibung gilt, schuf Ende der Fünfzigerjahre eine Triade, die
für einige Jahrzehnte die Hauptrichtungen der Historiographie über die Vernichtung der
europäischen Juden dominierte. Sie lautete: Täter - Opfer - Zuschauer oder in einer anderen Variante: Täter - Opfer - Umfeld (bystanders). Viele Jahre hindurch hielt sich sogar
Yad Vashem in seinen Erziehungsprogrammen an diese Formel. Heute wissen wir, dass
diese Triade die damalige Zeit nicht in ihrer Gesamtheit erfasst. Es fehlt vor allem eine
überaus wichtige Gruppe: nämlich jene der Retter.
Man mag feststellen, dass diejenigen, die Juden retteten, in der klassischen Aufzählung von Hilberg keinen Platz fanden, da es in jenen Ländern, in denen vor der
Vernichtung die meisten europäischen Juden lebten, d.h. in Polen, in Ungarn, in der
Ukraine und in Rumänien, proportional gesehen wenige Retter gab. Aber es gab sie,
und sie retteten insgesamt Zehntausenden von Menschen das Leben. Wir wissen, dass
in Dänemark die örtliche Bevölkerung fast alle Juden rettete, dass in Frankreich 2/3 der
94
FELIKS TYCH
Juden gerettet wurden, am häufigsten durch eigenes Bemühen, dies hätte jedoch nicht
geschehen können, wenn die Einstellung der Mehrheit der nicht-jüdischen Franzosen
den Juden gegenüber eine andere gewesen wäre. In Italien wurden aus dem gleichen
Grund im Verhältnis noch mehr Juden gerettet, in Bulgarien ist es aufgrund der Haltung
der Bevölkerung, des Parlaments und des orthodoxen Klerus überhaupt nicht zur Judenvernichtung gekommen. In Ost- und Zentraleuropa war die Situation jedoch anders. Je
höher die Population der Juden im Vergleich zur Gesamtpopulation des jeweiligen Landes war, desto schwieriger war es, sie zu retten. Es war dies nicht der einzige Grund, aber
der bedeutendste. Nicht weniger bedeutsam war das Ausmaß der Bereitschaft der ethnischen Bevölkerungsmehrheit, Schritte zur Rettung ihrer jüdischen Mitbürger zu setzen.
Den Rettern widmet Hilberg aus zwei Gründen wenig Aufmerksamkeit: er benutzte fast ausschließlich deutsche Quellen und unterschätzte die jüdischen Zeugnisse als
Quellen; andere Quellen, die den „einfachen“ Retter betrafen, gab es im Wesentlichen
zum damaligen Zeitpunkt im englischen Sprachraum kaum. Hilberg konnte im Übrigen
auf diese Zeugnisse kaum zurückgreifen, da er weder Polnisch noch andere slawischen
Sprachen beherrschte, er konnte auch kein Jiddisch. Aus den deutschen Quellen erfuhr
er nicht viel von den Rettern. Kaum jemand schenkte damals seine Aufmerksamkeit
einem Buch, das einige Jahre vor den Arbeiten Hilbergs in den USA erschienen war. Es
war dies die Arbeit des polnisch-jüdischen Historikers Filip Friedman (nach dem Krieg,
im Jahr 1947, war er der Gründer des Jüdischen Historischen Instituts ŻIH in Warschau,
später immigrierte er in die USA), die 1957 unter dem Titel „Their Brothers’ Keeper:
The Christian Heroes and Heroines Who Helped the Oppressed Escape the Nazi Terror“
5
erschienen war. Filip Friedman, ein Kollege von Emanuel Ringelblum im Rahmen
gemeinsamer wissenschaftlicher Projekte der Vorkriegszeit und ein Schüler des herausragenden österreichisch-jüdischen Historikers Salo Baron, den er in seinen Wiener Jahren kennen gelernt hatte, und dessen späterer Mitarbeiter in den USA, beherrschte im
Gegensatz zu Hilberg Polnisch und Jiddisch. Friedman kannte auch Tausende jüdische
Zeugnisse über den Holocaust, die durch die Jüdische Historische Kommission (Vorläufer von ZIH), die im Sommer 1944 - auch mit Friedmans Teilnahme - ins Leben gerufen
wurde, im eben befreiten Lublin gesammelt wurden. In diesen Zeugnissen gab es viele
Informationen über die Retter. Friedman selbst verdankte im Übrigen seine Befreiung in
der Umgebung von Lwów christlichen Rettern. Die Schlussfolgerungen aus der Lektüre
des Buches von Friedman mussten aber lange warten, bis sie in die Hauptrichtung des
historischen Diskurses einbezogen wurden. Er war jedoch zweifellos der Vater der Forschungen zu diesem Thema.
*
Die Problematik der Polen, die Juden retteten, ist im Grunde genommen Teil eines
umfassenderen Forschungsfeldes. Sie betrifft das gesellschaftliche Umfeld der Vernichtung, also die Haltung der örtlichen nichtjüdischen Bevölkerung gegenüber dem deut5
New York 1957. Nicht zu verwechseln mit dem Buch mit fast identischem Titel „My Brothers Keeper? Recent
Polish Debates on the Holocaust”, ed. by Anthony Polonsky, London 1990.
DIE WECHSELHAFTE REZEPTIONSGESCHICHTE VON HENRYK SŁAWIK...
95
schen Massenmord. Von deren Haltung hing letztendlich das Endergebnis der nationalsozialistischen Judenjagd, des Verbrechens des Massenmords, der – so war es geplant
- während des Zweiten Weltkrieges hinter dessen Kulissen vollzogen werden sollten
- ab. Das nationalsozialistische Deutschland konnte nämlich nicht annehmen, dass es die
ganze Welt beherrschen würde, es musste damit rechnen, dass es eines Tages mit einem
anderen Staat, etwa mit den USA, Frieden schließen müsste.
Die nicht-jüdische Umgebung des Holocausts bildete keine homogene Einheit. Sie
hatte eine ganz unterschiedliche Einstellung zu dem, was vor ihren Augen geschah. Auf
der einen Seite befanden sich jene, die unter Gefahr des eigenen Lebens jenen Juden, die
vom Tode bedroht waren, ihre helfende Hand reichten. Auf der anderen Seite befanden
sich jene, die die Menschenvernichtung billigten, aber auch jene, die den Mördern ihre
aktive Hilfe anboten. Zwischen dem Guten und dem Bösen befand sich die überwiegende Mehrheit jener Menschen, die Gleichgültigkeit an den Tag legten.
Schätzungen zufolge machten jene Menschen, die Juden retteten, einschließlich ihren
Familien ungefähr 1% der gesamten Population der ethnischen Polen aus, also - wie
bereits früher erwähnt wurde - um 200.000 Menschen.
Ist das viel oder wenig? Es ist ein komplexes Problem, da auch der Grad der Bedrohung der Polen selbst berücksichtigt werden sollte. Es ist auch schwierig festzustellen,
unter welchen Umständen sich der Mensch oder die Gesellschaft, die selbst leidet, für die
Anderen öffnet und unter welchen Umständen sie sich - bei plötzlichen Schicksalsschlägen - zurückzieht. Dies passiert sogar in Familien oder unter Freunden. Umso mehr ist
das der Fall, wenn die Beziehung zu Menschen im Spiel ist, die von vielen ethnischen
Polen nicht als Mitbürger mit einem anderen Glaubensbekenntnis, sondern als Fremdkörper wahrgenommen wurden.
Eines ist sicher: die Wahrnehmung vom Holocaust als ein Ereignis, das lediglich
zwischen den Urhebern und den Ausführenden des menschenvernichtendes Projektes
und den Juden passierte, erfasst nicht den gesamten Umfang des Verbrechens. Niemand - unabhängig davon, ob er nur passiver Zeuge oder Täter des Verbrechens war
- konnte aus dieser Situation moralisch unberührt herauskommen. Sogar dann, wenn
ihm das volle Ausmaß des Mordens nicht bewusst war, war er dennoch auch ein moralisches Opfer des Holocausts. Gleichgültiges Verhalten oder die Verweigerung der
Hilfeleisung rief nämlich bei sensibleren Menschen ein Schuldgefühl vor, das sich
sehr oft in Abneigung oder Aggression gegen diejenigen, denen die Hilfe verweigert
wurde, verkehrte.
Über den Holocaust wurde - nicht nur in Polen - all die ganzen Jahrzehnte hindurch
so berichtet, als ob außer den Opfern und den Tätern niemand sonst am Schauplatz des
Dramas anwesend gewesen wäre. Manchmal erwähnte man Erpresser und Denunzianten, diese Gruppen wurden aber nur am Rande betrachtet. Die Forschungen bestätigen
aber die Marginalität dieser Erscheinung nicht. Es gibt kaum einen Überlebenden auf
„arischer Seite”, der nicht die Erfahrung gemacht hätte, im Visier eines Erpressers oder
Denunzianten gestanden zu sein. Heute wissen wir bereits, dass es sich mit Sicherheit
nicht um Randgruppen handelte, obwohl sie auch nicht die Mehrheit der Gesellschaft
96
FELIKS TYCH
darstellten.6 Die Mehrheit der Gesellschaft waren gleichgültige Menschen. Nichtsdestotrotz erschien in polnischen Schulbüchern erst vor ein paar Jahren eine historische
Information darüber, dass Gleichgültigkeit vorherrschte, jedoch auch nicht in allen.
Jahrzehnte hindurch bemerkte dies kaum jemand oder kaum jemand hatte den Mut
dazu, über das tatsächliche Ausmaß der Kollaboration der Bevölkerung der besetzten
Länder Europas mit den Okkupanten oder dem eigenen lokalen Faschismus in der Judenverfolgung zu schreiben. Lange vermied man auch das Thema der Retter, schlimmer
noch - die Retter selbst wollten dies nicht und dies war das bedrohlichste Signal. Sie
wollten dies nicht, da sich ihr Verhalten von der Haltung der Mehrheit unterschied. Gesellschaften mögen in der Regel keine Nonkonformisten und auch nicht jene, die sich
anständiger als sie selbst verhalten. Oftmals, als die Deutschen bereits wieder aus Polen
hinausgedrängt worden waren und die versteckten Juden Keller, Dachböden, Schränke,
Verstecke unter Schweineställen oder Viehställe verlassen konnten, baten die Retter diese darum, die Verstecke diskret zu verlassen. So diskret, dass niemand von den Nachbarn
ahnen könnte, dass sie Juden versteckt hätten.
So lange die Einsamkeit der Retter in ihrer eigenen Gesellschaft - jener der Kriegszeit
sowie der unmittelbaren Nachkriegszeit - nicht verstanden wird, so lange wird darüber
Unwissenheit herrschen. Das „Schutzschweigen” der Mehrzahl der Retter über ihre Heldentaten weist deutlich auf das Ausmaß der moralischen Zerstörung hin, die durch den
Krieg und den Holocaust verursacht wurde.
Die Retter handelten unter äußerst schwierigen und gefährlichen Bedingungen. Es
muss berücksichtigt werden, dass hinter jeder Exekution, die von Deutschen an einem
polnischen Retter vollstreckt wurde, in der Regel die Denunziation eines anderen Polen
stand, der den Retter denunzierte. Die Deutschen fanden selten versteckte Juden. In der
Regel wurden sie durch eine Denunziation überführt. Hinter 90% der Fälle stand entweder ein freiwilliger Judenjäger oder ein denunzierender Nachbar.
Die Anzeige eines Nachbarn zerstörte sehr oft nicht nur die dramatischen Bemühungen einer ganzen polnischen Familie, das Leben eines Juden oder einer jüdischen Familie zu retten, sondern zog neben dem Tode des versteckten Juden auch die Exekution der
gesamten polnischen Familie nach sich. Sicherlich wurde auch Sławik von irgendjemandem bei der Gestapo denunziert.
Stiller Heldenmut wurde jahrzehntelang nicht wertgeschätzt. Er existierte im öffentlichen Diskurs einfach nicht. Władysław Bartoszewski versuchte in den 60er Jahren dieses Totschweigen zu brechen. Die von ihm und Zofia Lewinówna aufbereitete umfassende Anthologie über die Erinnerungen und Beziehungen zwischen den Rettern und
den Geretteten, die unter dem Titel „Ten jest z Ojczyzny mojej. Polacy z pomocą Żydom
1939-1945” im Verlag „Znak”7 veröffentlicht wurde, war viele Jahre Hauptquelle des
Wissens über die Retter. Später wurde über das Thema neuerlich der Mantel des Schweigens gebreitet. Erst 40 Jahre danach (!) erschien eine Neuauflage des Buches8.
Jan Grabowski: Ja tego Żyda znam! Szantażowanie Żydów w Warszawie 1939-1943, Warszawa 2004.
Hrsg. Kraków 1967, 1969.
8
Hrsg. Kraków 2007
6
7
DIE WECHSELHAFTE REZEPTIONSGESCHICHTE VON HENRYK SŁAWIK...
97
Das Drama der Retter und der Geretteten bestand in aller Kürze darin, dass sich der
Verhaltenskodex der Mehrheit der Menschen, die sich für polnische Patrioten hielten,
sowohl während des Krieges als auch danach, nicht auf die Hilfe der verzweifelt nach
Rettung suchenden Juden erstreckte. Die Rettung von Juden wurde im Allgemeinen auch
während des Krieges nicht als eine Form der Widerstandsbewegung betrachtet. Darum
betrachtete auch die Mehrheit der ethnischen Polen die Taten der Menschen, die versteckte Juden denunzierten oder erpressten, nicht als Kollaboration. Das Handeln zum Schaden der Juden stand ihrer Meinung nach mit ihrem Patriotismus nicht im Widerspruch.
Wieder andere hätten zwar den Okkupanten keine Juden ausgeliefert, helfen wollten
sie den Juden jedoch nicht. Die Quellen - vorwiegend nicht publizierte Erinnerungsbücher und Kriegstagebücher - registrieren hier unterschiedliche Alibihaltungen: einige
begründeten ihre Abneigung oder Gleichgültigkeit gegenüber den Rettung suchenden
Juden damit, dass sie angeblich intensivst, weit mehr als andere ethnische Gruppen,
mit den sowjetischen Okuppanten in den ostpolnischen Gebieten kollaborierten (was
jedoch nicht mit den historischen Forschungen der letzten Jahre übereinstimmt9), andere begründen ihren ausgebliebenen Reflex zu helfen mit dem berühmten, jedoch unbegründeten Mythos von der angeblichen jüdischen Passivität („sie halfen sich kaum
gegenseitig, warum sollten wir ihnen helfen”)10. Einer meiner Freunde, ein Mensch von
großem Edelmut, ehemaliger Partisan der AK, hat bis heute nicht verstanden, warum die
von seinen Partisanentruppen aus einem kleinen deutschen Lager befreiten Juden nicht
fliehen wollten. Er nimmt dies als Passivität wahr und macht sich nicht bewusst, dass die
Juden, die überall verfolgte Beute waren, einfach nirgendwohin fliehen konnten.
Wer rettete Juden? Es waren Institutionen, die retteten, u.a. z.B. „Żegota” im besetzten
Polen und in vielen anderen Ländern (darunter auch in Polen) Klöster und diplomatische
Missionen. Die größte Anzahl der europäischen Juden jedoch, darunter auch die polnischen, wurden nicht von Organisationen gerettet, sondern auf Grund der Initiative und
auf eigenes Risiko einzelner Menschen oder Familien. Vor diesem Hintergrund ist die
Gestalt von Henryk Sławik, eines Menschen, der aus eigener Initiative und auf eigenes
Risiko einer kaum kleineren Anzahl von Juden half als es die Organisation „Żegota” tat,
wirklich beeindruckend.
Es ist schwierig, ein Bild des Retters zu entwerfen, mit Ausnahme einer Eigenschaft:
der moralischen Sensibilität für das Leiden der anderen. Juden wurden von politisch
links oder rechts stehenden Menschen, von Armen und Reichen, von Gebildeten und weniger Gebildeten, von Stadt- und Dorfbewohnern gerettet. Entscheidend war die moralische Sensibilität, nicht die Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen Schicht. Gerettet
wurden Juden auch für Geld.
Unter den Rettern waren auch Menschen, die sich als Antisemiten deklarierten und
die der Ansicht waren, dass die Juden Polen nach dem Krieg verlassen sollten; aber
jetzt, in dieser Ausnahmesituation, sollte man ihnen eine helfende Hand reichen. Die
Krzysztof Jasiewicz: Pierwsi po diable. Elity sowieckie w okupowanej Polsce 1939-1941, Warszawa 2002.
U.a. F.Tych: Długi cień Zagłady, Warszawa 1999, S.9-54 (rozdz. „[Polscy] świadkowie Shoah. Zagłada
Żydów w polskich pamietnikach i wspomnieniach”.
9
10
98
FELIKS TYCH
bekanntesten Beispiele für diese Haltung ist die Schriftstellerin und politische Aktivistin Zofia Kossak-Szczucka und der katholische Schriftsteller Jan Dobraczyński. Solche
Menschen gab es jedoch mehr.
Man rettete Bekannte und Freunde, aber auch unbekannte Menschen, einfach den „unterwegs Angetroffenen”- wie dies einer der Retter zum Ausdruck brachte11. Manchmal
umfasste die Hilfe nur eine Gefälligkeit, z.B. einen Juden oder eine Jüdin mit „arischen”
Dokumenten auszustatten, damit er (sie) sich weiter auf eigene Faust durchschlagen
konnte. In vielen Fällen tat der Retter wesentlich mehr. Wir werden niemals erfahren, für
wie viele Juden der einsame Kampf durch tödliche Gefahren hindurch mit dem Entdecktwerden endete. Sie konnten durch die Nachbarn der Polizei ausgeliefert werden oder
durch einen zufällig auf der Straße getroffenen Bekannten, durch einen Erpresser oder
durch einen Judenjäger. Verlässliche Schätzungen sind hier nicht möglich.
In den letzten Jahren erscheinen immer mehr Veröfffentlichungen über die Retter. Es
stellt sich jedoch heraus, dass es immer noch viel Bedeutsames dazu zu sagen gibt - was
für jeden Bericht des von seinem Schicksal Erretteten der Fall ist.
Unter den Menschen, die sich für das Thema der Gerechten interessieren, gibt es
solche, die die Informationssammlung über die Retter unter einem politischen Gesichtspunkt betrachten. Die Ergebnisse der Recherchen sollen die jüdische Anklage des
Antisemitismus gegenüber Polen zurückweisen. Ihr Hauptziel ist es, so viele Informationen wie möglich über die von den Besatzern ermordeten Polen, die Juden retteten, zu
sammeln. Selbstverständlich muss man solche Informationen sammeln. Man gewinnt
aber den Eindruck, dass für einige Sammler dieser Informationen jene Fälle wichtiger
erscheinen, in denen die Rettungsaktion mit einer Katastrophe (d.h. mit der Erschießung
von Juden und polnischen Rettern) endete, als jene, in denen sowohl Retter als auch
die Geretteten mit heiler Haut entkamen. Ziel der Geschichtswissenschaft ist nicht die
Sammlung und Analyse von Tatsachen, die gegen jemanden verwendet werden, sondern
die Erkenntnis der Wahrheit. Die Wahrheit ist schwierig und komplex - auch aus jenem
Grund, dass fast hinter jeder Tragödie der Retterfamilien, die mit dem Märtyrertod für
die Rettung der Juden endete, eine Denunziation durch die Nachbarn stand. In diesem
Zusammenhang erinnere ich auch daran, dass wir die Liste jener Polen, die in den Jahren
der Besatzung ums Leben gekommen sind, einschließlich der Umstände ihres Todes,
immer noch nicht fertig gestellt haben.
Die Retter waren ein kleiner Teil der vom Holocaust betroffenen Gesellschaften, jedoch wäre ohne diese Menschen die Wahrnehmung der menschlichen Natur noch dramatischer.
Eines ist sicher: Wenn das Wissen vom Holocaust einer guten Sache dienen sollte,
dann erscheint der Aspekt der Retter an einer der ersten Stellen - vor allem aus dem
Grunde, weil er von Menschen berichtet, die sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten wirksam dem Bösen widersetzen wollten und konnten. Sie rufen den Glauben daran hervor,
dass es auch in den dunkelsten, in den hoffnungslosesten Stunden der Geschichte unserer
Zivilisation solche Menschen gibt und dass sie zu handeln fähig sind.
11
Ebd., S. 45.
DIE WECHSELHAFTE REZEPTIONSGESCHICHTE VON HENRYK SŁAWIK...
99
Übersetzung: Dr. Anna Gudra
Mag. Irmgard Nöbauer
Feliks Tych absolvierte ein Studium der Geschichte an der Universität Warschau und
dissertierte über die Revolution von 1905 bis 1907 im Königreich Polen. 1982 wurde
er zum ordentlichen Professor für Geschichtswissenschaft ernannt. Nach 1990 nahm er
mehrfach Gastprofessuren an verschiedenen deutschen Universitäten wahr. Für seine Arbeiten zur Sozialgeschichte der Arbeiterbewegung erhielt er 1990 den Österreichischen
Victor-Adler-Staatspreis. Mehr und mehr treten nun auch die historische Aufarbeitung
des Holocaust und Untersuchungen über die Folgewirkungen für die osteuropäischen
Länder ins Zentrum seiner Forschungen – so sein Buch in polnischer Sprache: Der lange
Schatten des Holocaust (1999). 1996 wurde er Direktor des Jüdischen Historischen Instituts in Warschau, das er neu ausbaute. 2002 nahm er die Franz-Rosenzweig-Gastprofessur an der Universität Kassel wahr.
Szita Szabolcs
Erinnerungen an Henryk Sławik
Auf das Staatsgebiet des historischen Ungarns gelangten ab dem Ende des 18. Jahrhunderts in mehreren Wellen polnische politische Flüchtlinge, in größerer Zahl in den
Jahren 1831, 1846 und 1863, die Soldaten und Politiker der gescheiterten polnischen
Aufstände. In den 1870er und 1880er Jahren suchten annähernd 12 Millionen Polen als
Folge der polenfeindlichen Maßnahmen in den von Deutschland und Russland besetzten
Gebieten Existenzmöglichkeiten außerhalb ihrer Heimat.
Die so genannte soziale Emigration hatte in erster Linie den amerikanischen Kontinent zum Ziel. Ungarn war auch betroffen, wo annähernd 300.000 Polen eine provisorische Existenz suchten. Sie siedelten sich hauptsächlich in Budapest, Kassa, Pressburg
und in der Umgebung von mehreren großen ungarischen Städten an. In Budapest lebten
annähernd 80.000 bis 90.000 Polen. Sie arbeiteten in den Stahlfabriken der Industrieviertel, in Steingruben und auf Baustellen. Eine größere Kolonie entstand am Rande von
Budapest in Köbánya, wo sie in Steinbrüchen, in der Brauerei und in der Porzellanfabrik
arbeiteten. Hier wurden auch eine Pfarre und eine Schule sowie ein polnischer Klub und
eine Bibliothek errichtet. 1894 gründeten sie ihre eigene Vereinigung und die Arbeiterhilfskassa. Ihre Zahl betrug ca. 30.000.
Nach dem Ersten Weltkrieg kehrten sie mehrheitlich auf Einladung des neu gegründeten polnischen Staates in ihre Heimat zurück. Zwischen 1919 und 1939 lebten 6000
bis 8000 Polen in Köbánya. Auf dem gesamten Gebiet von Budapest verblieben 10.000
bis 12.000 Polen. Während des Zweiten Weltkrieges unterstützte ihre größte Kolonie in
Budapest die hierher geflüchteten Polen mit Geld und mit anderen materiellen Mitteln.
In der Geschichte der ungarisch-polnischen Beziehungen spielte die Tätigkeit von
Henryk Sławik und Dr. József Antall eine herausragende Rolle. Sie haben in der ungarischen Hauptstadt vor sieben Jahrzehnten viel gearbeitet und viel riskiert. Sie haben
gemeinsam lebensrettende Aufgaben erfüllt. Das Andenken an diese zwei großartigen
Menschen ist bis zum heutigen Tage lebendig. Ihre Taten werden von Forschern aufgearbeitet und in mehreren Studien und Büchern der Nachwelt überliefert. Bei ihrer Gedenktafel in der Innenstadt von Budapest werden mehrfach Gedenkfeiern abgehalten.
Dr. József Antall traf im Ersten Weltkrieg als Soldat zuerst auf Polen. Irgendwo in
Galizien haben ihn bei dem damals häufigen Vor- und Rückweichen der Front Polen das
Leben gerettet. Dieses Ereignis blieb für ihn unvergessen. Antall wurde später Beamter.
Er war ein ungarischer Patriot, der die Gewalt verabscheute und ein Mitgefühl mit den
Leidenden hatte. Ab Herbst 1939 half er den Polen viel. Tausende von Flüchtlingen bekamen durch seine Mithilfe legale Papiere. Diese erleichterten ihnen ihre weitere Flucht.
Antall half bei der Schaffung von zivilen polnischen Flüchtlingszentren und war bei
der Normalisierung des Lebens der Polen behilflich. Er hatte großen Anteil daran, dass
102
SZITA SZABOLCS
nach Ankunft der polnischen Flüchtlinge in Ungarn das ungarisch-polnische Komitee
für Flüchtlingsfragen gegründet wurde. Dieses Komitee verpflegte die Flüchtlinge, quartierte sie ein und half ihnen.
Das ungarische Rote Kreuz sowie mehrere polenfreundliche gesellschaftliche Organisationen, so z.B. die ab 1929 tätige ungarische Mickiewicz-Gesellschaft, der ungarisch-polnische Studentenverband sowie weitere nationale Organisationen kamen den
Polen zu Hilfe. Ihre Tätigkeit wurde von den im Rahmen der Abteilung IX (für Soziales)
des Innenministeriums am 21. September 1939 gegründeten Büro für Flüchtlingsangelegenheiten koordiniert.
Der ungarische Ministerpräsident und der Innenminister beauftragen Antall, die
polnischen zivilen Flüchtlinge zu beaufsichtigen und zu versorgen. Für seine Leistung
erhielt er später den Namen „Vater der Polen“. Nach dem Krieg wurde er von der polnischen Regierung mit dem Großkreuz des Kommandanten des Ordens Polonia Restituta ausgezeichnet. Auch die polnischen Juden brachten ihre Dankbarkeit zum Ausdruck.
Mit den Angelegenheiten der militärischen Flüchtlinge beschäftigte sich die Abteilung 21 des Verteidigungsministeriums unter der Führung von Oberst Zoltán Baló. Innerhalb dieser Abteilung wurde die Vertretung von polnischen Militärangehörigen unter
der Leitung von General Stefan Dembiński gegründet.
Ende November 1939 traf József Antall mit Henryk Sławik, dem Vertreter der polnischen sozialistischen Partei zusammen. Sie stellten fest, dass die Polen ihre eigenen Zentren und Organisationen gründen müssten. In Budapest wurde das so genannte
Zivilkomitee zur Versorgung der polnischen Flüchtlinge gegründet. Es handelte sich dabei um eine Organisation der Selbstverwaltung. An der Spitze stand Henryk Sławik,
Mitglieder waren unter Anderem Andrzej Pysz, Dr. Zbigniew Kosciuszko, Bogdan
Stypiński und Stefan Filipkiewicz. Dieses Komitee wurde zur zentralen Interessensvertretung der polnischen Flüchtlinge.
Das Einstehen des Ministerpräsidenten Pál Teleki für polnische Flüchtlinge war von
entscheidender Bedeutung. In allen, was im Interesse der Polen landesweit geschah,
hatten die schriftlich nicht festgehaltenen Richtlinien und geheime Weisungen von Teleki großen Anteil. Während des Krieges waren die herrschenden ungarischen Kreise
verschiedener Auffassung. Die mit den Briten sympathisierenden Politiker und Beamten
von Innenminister Ferenc Keresztes-Fischer bis hin zu zahlreichen Beamten des Außenministeriums unterstützten die Polen. Die deutschfreundliche Heeresführung und
die Leiter des Verteidigungsministeriums hatten eine sehr viel weniger wohlmeinende
Auffassung.
Einen wichtigen Teil der polnisch-ungarischen Verbindung während des Zweiten
Weltkrieges stellt jene Hilfe dar, die viele Polen jüdischer Abstammung erhielten. In
Ungarn wurde ab 1938 eine Reihe von judenfeindlichen Gesetzen erlassen. Die Gruppierungen der radikalen Rechten forderten ununterbrochen, die Regierung möge den
gegenüber den Juden gezeigten „Liberalismus“ beenden und auf jedem Gebiet zurückdrängen. Dennoch war bis März 1944 die Situation der Juden in Ungarn grundsätzlich
ERINNERUNGEN AN HENRYK SŁAWIK
103
anders und besser als im Dritten Reich und in den Ländern, die mit Deutschland entweder verbündet oder von Deutschland besetzt waren.
Zur Zeit der Kállay-Regierung (1942-1944) wies Ungarn die wiederholte Forderung des Dritten Reiches zurück, man möge die „endgültige“ Lösung der Judenfrage
in Ungarn herbeiführen: Man möge sie aus dem wirtschaftlichen und kulturellen Leben
entfernen und ihnen verpflichtend das Tragen des Gelben Sternes vorschreiben und sie
schließlich deportieren. Ungarn wurde zu einer Zufluchtsstätte, wo mehrere Tausend
polnische Juden Zuflucht fanden.
Ein Teil dieser Personen kam im September und Oktober 1939 mit der ersten großen
Welle der polnischen Flüchtlinge nach Ungarn. Andere gelangten unter Lebensgefahr
zwischen 1940 und 1944 über die Grenzen. Viele Juden flüchteten aus den Gebieten
des ehemaligen Ostgaliziens nach Ungarn, nachdem Deutschland die Sowjetunion angegriffen hatte und die Juden über die ersten Pogrome und SS-Massaker erfuhren. Es ist
schwer festzustellen, wie viele polnische Juden in Ungarn während des Krieges Zuflucht
gefunden haben. Die Daten und die Namen wurden von den helfenden Ungarn und von
den polnischen Institutionen in Ungarn geheim gehalten.
Der überlebende Kazimierz Stasierski, der sich als Autor mit der Geschichte der nach
Ungarn geflüchteten Polen beschäftigte, ist der Meinung, dass mit Hilfe von József Antall die Namen von ca. 20.000 polnischen Juden geändert wurden. Sie alle erhielten
gefälschte katholische Taufscheine. Diese Zahl halten wir für zu hoch. Es ist aber sicher,
dass sich am Ende des Zweiten Weltkrieges (als der bedeutende Teil der polnischen Juden aus Ungarn weitergeflüchtet war) noch ca. 3000 in Ungarn aufhielten. Sie waren bei
ungarischen Religionsgemeinschaften untergebracht.
Ab der zweiten Hälfte des Jahres 1941 flohen manche polnische Juden aus dem Umkreis von Lwów, Stanislawów und Kolomyja mit Hilfe der dort stationierten ungarischen
Soldaten und Offiziere nach Ungarn. In seiner Gedenkschrift schrieb Edward Debicki
von dem polnischen Juden Szcygiel und dessen Schicksal. Seine Kinder wurden von den
Deutschen getötet, er und seine Frau wurden von ungarischen Soldaten in einem abgeschlossenen Wagon nach Ungarn geschmuggelt, er wurde in Balatonboglár Zahnarzt des
Gymnasiums und es gelang ihm, den Krieg zu überleben.
Helena Csorba schrieb in einem ihrer Artikel, dass die Krankenschwestern in ihren
Waggons des Roten Kreuzes viele Polen und Juden schmuggelten. In Einzelfällen halfen auch einzelne human eingestellte ungarische Offiziere. Sie erinnerte an die Berichte
von einigen geflohenen jüdischen Kindern aus dem Jahre 1943, denen es gelang, nach
Ungarn zu gelangen. Unter ihnen beschrieb der 15-jährige Iwówi Stanislaw Aruchit detailliert, wie ihm ein ungarischer Offizier half.
Im August 1943 wurde in Vác eine Internatsschule für geflohene, polnische-jüdische Kinder gegründet. Es wurden an die 80 Kinder und Jugendliche im Alter von
drei bis neunzehn Jahren dort untergebracht. Viele Kinder gelangten nach viel Leid nach
Ungarn, darunter auch solche, die von ihren Eltern aus den Zügen Richtung Konzentrationslager geworfen wurden. Die Schule in Vác wurde von József Antall organisiert.
104
SZITA SZABOLCS
Die Ausgaben wurden teilweise vom ungarischen Innenministerium, teilweise von den
von der Auslandsregierung in London unterstützten polnischen Flüchtlingsorganisationen bezahlt. Es half auch das polnisch-katholische Pastoralamt in Ungarn. Dieses wurde
vom Franziskaner Pater Piotr Wilk-Witoslawski geleitet. Er wurde von den Deutschen
1944 verhaftet, weil er das Internat jüdischer Kinder unterstützte. Seine weitere Straftat
bestand darin, dass er ihnen eine gefälschte Urkunde, die ihre christliche Abstammung
bestätigte, ausstellte.
Auch Henryk Sławik tat viel für die polnischen jüdischen Kinder. Nach der Meinung
einer seiner Mitarbeiterinnen in Budapest, Stefania Pielok wusste er sehr wohl, was mit
ihnen zuvor geschehen war. Er näherte sich ihnen freundlich und warmherzig, so wie den
anderen polnischen Kindern. Ab seiner Errichtung im Jahre 1940 war die Betreuung der
jüngeren und minderjährigen Polen eine der wichtigsten Aufgaben des Zivilkomitees.
Diese bestand vor allem darin, dass für den Unterricht die bestmöglichen Bedingungen
geschaffen wurden. Auch das Büro von Antall half sehr. So wurden die entsprechenden
Bedingungen nicht nur in Balatonboglár, sondern auch in anderen ungarischen Gemeinden geschaffen.
Die polnischen Waisenkinder von Vác waren sehr dankbar - auch dafür, wenn sie
jemand freundlich umarmte. Ihre friedlichen Monate gingen im März 1944 zu Ende, als
das deutsche Heer Ungarn besetzte.
Pielok dachte, dass Präsident Sławik seine „normale“ Beziehung zu Juden aus Schlesien mitgebracht hätte. Von Katowice gingen die Menschen nach Sosnowiec und nach
Bedzin zum Einkaufen, diese galten vor dem Krieg als jüdische Städte. (Bei jüdischen
Händlern konnte man am billigsten einkaufen und in manchen Fällen auch auf Kredit.)
Das Zusammenleben war normal. Die Christen gingen in die Kirche, die Juden in die Synagoge. Nachdem sie Henryk Sławik kennen gelernt hatte, bemühte sie sich auch, nach
seinen Prinzipien leben. Der Präsident wiederholte im Kreise seiner Mitarbeiter oft: „Die
Menschen können nur in gute und in schlechte eingeteilt werden. Das ist alles.“
Nach seiner Auffassung bestimmen nicht die Abstammung, die Ausbildung oder die
Religion, was für ein Mensch jemand ist. In dem von ihm geleiteten Zivilkomitee arbeiteten in leitender Position auch Polen jüdischer Abstammung, was für Henryk Sławik
natürlich war. Aber nicht jeder sah dies so, und er schaffte sich aus diesem Grund auch
Feinde.
Er forderte viel von sich und er wollte, dass seine Mitarbeiter seinem Beispiel folgten.
Er wertete Initiative, die gewissenhafte Durchführung der übernommenen Aufgaben und
Opferbereitschaft hoch. Wenn jemand Verdienste hatte, merkte er es und bedankte sich
gerne dafür. Für sein Verhalten wurde er auch in ungarischen gesellschaftlichen Kreisen
geachtet.
Am 19. März 1944 besetzten die deutschen Truppen und die Gestapo Ungarn. Dem
Direktor der Schule und des Internats in Vác, Pater Franciszek Swider gelang es, alle
Schüler zu retten. Die jüdischen Kinder brachte er noch vor Ankunft der Gestapo und der
ungarischen Polizei in Sicherheit und brachte sie in Budapest bei Familien unter.
ERINNERUNGEN AN HENRYK SŁAWIK
105
Die bewaffnete Einmischung des Deutschen Reiches in die ungarische Politik stellte
auch für die polnischen Flüchtlinge einen schweren Schlag dar. Die deutschen Sicherheitsbehörden begannen eine Treibjagd gegen die Polen. Die Gestapo verhaftete binnen
Tagen die Führer der legalen und geheimen polnischen Organisationen, unter ihnen Fietowicz und das gesamte parteiverbindende Komitee – das „W“ Zentrum. Die Budapester
Gefängnisse füllten sich mit polnischen Flüchtlingen.
Es ist von symbolischer Bedeutung, dass Ungarn und Polen in deutscher Gefangenschaft gemeinsam litten. In der Zelle eines der Führer der ungarischen Widerstandsbewegung Endre Bajcsy-Zsilinszky waren von den vierzehn Häftlingen acht Polen. Alle
Institutionen und Verbände der polnischen Flüchtlinge wurden aufgelöst. Die Tätigkeit
der militärischen Organisationen wurde unterbunden, die Schule in Balatonboglár aufgelöst.
Die Gestapo verhaftete auch jene Personen, die die Hauptorganisatoren der ungarischen Hilfe für polnische Flüchtlinge waren, József Antall, Ferdinánd Leó Miklóssi,
geschäftsführender Vorsitzender der Mickiewicz-Gesellschaft, Aladár Szegedy-Maszák,
Leiter der politischen Abteilung des Außenministeriums und viele andere. Die Gestapo
warf József Antall vor, dass die Polen in Ungarn dank seiner Hilfe große Freiheit genossen hätten. Eine schwere Anklage war, dass das polnische zivile Komitee für eigene
Zwecke das Siegel des ungarischen Innenministeriums verwenden durfte.
Gegen Antall gab es keine konkreten Beweise. Den Deutschen gelang es nicht, im
Verhör belastende Aussagen von den Leitern der polnischen Flüchtlingshilfe zu erpressen. Nach dem Krieg erzählte József Antall mehrfach, dass der gefolterte Henryk Sławik eher den Tod wählte, als dass er seinen ungarischen Freund verraten hätte. Von
Budapest wurde er in das Konzentrationslager Mauthausen transportiert und dort hingerichtet.
Auch andere polnische Führer haben ein ähnlich tragisches Schicksal erlitten wie
Sławik. Sein Stellvertreter, Andrzej Pyszt, wurde ebenfalls in Mauthausen ermordet. Der
der Folter unterworfene Professor Stefan Filipkiewicz starb während der Deportation
in Wien. Stanisław Opoka-Loewenstein und General Mieczysław Trojanowski wurden
in Dachau hingerichtet. Die Nazis ermordeten Edmund Fietowicz, Professor Kazimierz
Gurgul und Stanislaw Rzepko-Laski. Sie waren aktive Teilnehmer der Zusammenarbeit
mit den Ungarn.
Trotz der vielen Verhaftungen arbeiteten die polnischen konspirativen Organisationen weiter. Es wurde bald ein weiteres politisches Zentrum gegründet, dessen Mitglieder,
Waclaw Felczak, Kazimierz Tychota seitens der Nationalen Partei und „Janusz“ (Andrzej Stawar, der bekannte Literaturkritiker) als Vertreter der Polnischen Sozialistischen
Partei waren. Diese Organisation war der Delegatura in Polen – der illegalen Vertretung
der Regierung in London - unterstellt. Die Versendung der Post und die Verbindungen
wurden über die geheime Zentrale in Pressburg, die im Frühjahr 1944 errichtet und von
Felczak geleitet wurde, abgewickelt.
106
SZITA SZABOLCS
Das uneigennützige standhafte Verhalten von Henryk Sławik ist in Ungarn ein großes
Vorbild. Zu seinen Ehren wurde eine schöne Gedenktafel in der Budapester Innenstadt
errichtet. Diese Ehrentafel ist häufig mit Blumen geschmückt.
Bibliographie:
Godó Ágnes: Magyar-lengyel kapcsolatok a második világháborúban Zrínyi Katonai KiadóKossuth Könyvkiadó Budapest, 1976.
Ego sum gallicus captivus. Magyarországra menekült francia hadifoglyok emlékezései Európa Könyvkiadó Budapest, 1980.
Barátok a bajban Lengyel menekültek Magyarországon 1939-1945 Európa Könyvkiadó Budapest, 1985.
Menekültek menedéke Mundus Magyar Egyetemi Könyvkiadó Budapest, 1997.
Menekült-rapszódia Lengyelek Magyarországon, 1939-1945. Emlékiratok a bujdosás éveiből Széphalom Könyvműhely Budapest, 2000.
Łubczyk, Gregorz: A lengyel Wallenberg Henrik Sławik és idősebb Antall József története
Széphalom Könyvműhely Budapest, 2004.
Szita Szabolcs ist Professor für Geschichte an der Westungarischen Universität Sopron,
Doktor der Akademie der Wissenschaften sowie Vorsitzender des Holocaust-Instituts in
Budapest.
Andrzej Kola
Archäologie des Verbrechens. Das archäologische
Know-how im Dienste der Aufklärung von
Geheimnissen der jüngsten Vergangenheit
(am Beispiel exhumierter Opfer des Stalinismus aus
Massengräbern von Charkow und Kiew)
Infolge des am 17. September 1939 begonnenen Angriffs der UdSSR auf Polen gelangten an die 250 000 polnische Soldaten und Offiziere in sowjetische Gefangenschaft.
Die Offiziere – ungefähr 15 000 Mann – wurden in drei Sonderlagern des NKWD in
Kosielsk, Ostaschkow und Starobielsk gefangen gesetzt. Auf Antrag von Lawrenti Beria
und kraft einer Entscheidung des Politbüros der Kommunistischen Partei und Stalins
vom 5. März 1940 wurden die Offiziere gemeinsam mit insgesamt 11 Tausend Polen, die
in den von den Sowjets besetzten Gebieten Ostpolens verhaftet worden waren, ermordet.
Bereits 1943 stießen die Deutschen in Katyn auf die Stelle, wo die Offiziere aus Kosielsk
begraben waren. Die Deutschen exhumierten die Gräber und versuchten angesichts der
Misserfolge an der Ostfront diese Tatsache als Propagandamittel für sich zu nutzen. Die
Sowjets schrieben die Morde den Deutschen zu. Infolge dessen brach die UdSSR die
diplomatischen Beziehungen mit der polnischen Regierung im Westen ab.
Nach dem 2. Weltkrieg und der daraus folgenden geopolitischen Situation war das
Thema der Morde von Katyn in der Volksrepublik Polen verboten. Verpflichtend war die
sowjetische Version über die Ermordung der Polen durch die Deutschen. Falls andere
Meinungen zum Ausdruck kamen, hatten sie Repressalien zur Folge, obwohl die Familien der Ermordeten die Wahrheit kannten. Die Wahrheit über die Morde von Katyn
war auch den Exilpolen im Westen bekannt. Unbekannt waren lediglich die Orte, wo
die Morde stattgefunden hatten und die Stellen, wo die Leichen der Offiziere begraben
waren, die in Ostaschkow (an die 6500 Personen) und in Starobielsk (ca. 3900 Personen)
inhaftiert gewesen waren.
Die politischen Veränderungen in Mittel- und Osteuropa an der Wende der 80-er und
90-er Jahre des vorigen Jahrhunderts, unter anderem auch die „Perestrojka“ in der UdSSR und der Zerfall des sowjetischen Imperiums, ermöglichten es Polen – nicht zuletzt
aufgrund des Drucks seitens der Familien der ermordeten Offiziere – Anstrengungen
zur Klärung der „Verbrechens von Katyn“ zu unternehmen. Unter diesem Druck gab
die UdSSR am 13. April 1990 zu, dass die Morde von Katyn durch das NKWD verübt
worden waren. Bereits 1991 lokalisierte ein gemeinsames sowjetisch-polnisches Team
den Ort der geheimen Friedhöfe des NKWD in Charkow und Miednoje (bei Twer), wo
Spuren von Massengräbern der Opfer von Starobielsk und Ostaszkow gefunden wurden.
108
ANDRZEJ KOLA
Die Durchführung umfassender archäologischer Arbeiten und Exhumierungen auf diesen Friedhöfen durch polnische Forscherteams konnte nach vielen Bemühungen erst in
den Jahren 1994-1996, also nach dem Zerfall der Sowjetunion, erfolgen.
In Charkow befand sich der ehemalige NKWD-Friedhof nunmehr in einer Wald- und
Parkzone auf einem bewachten Gebiet des KGB. Die Aufgabe der Forschungsarbeiten
war es, alle Gräber des ehemaligen Friedhofs zu lokalisieren und danach die Gräber
der polnischen Offiziere zu identifizieren, um eine vollständige Exhumierung durchzuführen. Diese Aufgabe wurde unter Anwendung entsprechender Methoden der archäologischen Erkundung realisiert. Auf dem Gebiet des vom KGB bezeichneten Friedhofs
in Charkow wurden 4600 archäologische Bohrungen durchgeführt und 75 Massengräber
auf dem Friedhof lokalisiert. 15 Gräber erwiesen sich als Gräber der polnischen Opfer.
In den Gräbern der sowjetischen Opfer stalinistischer Repressalien aus den Jahren 19371939 wurden die sterblichen Überreste von ca. 2240 Personen entdeckt. Fast alle Opfer
– sowohl die Polen als auch die Opfer unter der lokalen Bevölkerung – waren mit einem
Schuss in den Hinterkopf getötet worden. In den polnischen Gräbern wurden weit über
zehn Tausend Gegenstände polnischer Herkunft gefunden, Teile militärischer Ausstattung oder persönliche Habseligkeiten der Offiziere. Viele dieser Gegenstände waren von
den Kriegsgefangenen hergestellt und mit der Aufschrift „Starobielsk“ versehen worden,
oft auch mit einem Datum aus der Jahreswende 1939/40.
Die aus den archäologischen Forschungen und den Exhumierungen in Charkow gewonnenen Erkenntnisse wurden bei der Ausarbeitung des Entwurfs für einen polnischen
Militärfriedhof im Rahmen eines Friedhofs für die Opfer des Stalinismus, ausgenützt.
Die Eröffnung des Friedhofs fand im Juni 2000 statt.
Bis zum Jahr 1994 war das Schicksal jener Polen, die im Herbst 1939 und im Frühjahr
1940 auf dem Gebiet des ehemaligen Ostpolen verhaftet und in Gefängnissen in verschiedenen Großstädten der damals sog. Ukraine und des Westlichen Weißrusslands (Wolodymyr Wolynskyj, Rowno, Lemberg, Stanislau, Tarnopol, Luck, Grodno) gefangen
gehalten wurden, unbekannt. Im Akt vom 5. März 1940 ist auch von einem Abtransport
zum Erschießen die Rede. Erst als der Militärgeneralstaatsanwalt der Ukraine im Jahre 1994 ein Verzeichnis von 3435 verhafteten Polen aus der sog. „ukrainischen Liste
von Katyn“ an Polen übermittelte, konnte man tätig werden und den Ort, wo die Opfer
erschossen und begraben worden waren, suchen. Anhand der Angaben aus dem Archiv
hatte man angenommen, dass die in den ehemaligen polnischen Städten Ostpolens inhaftierten Opfer nach Charkow, Kiew und Cherson deportiert worden sind. Möglicherweise handelt es sich im Fall von Charkow bei den in polnischen Gräbern entdeckten
Überresten von ca. 500 Personen mehr als der Personenstand des Lagers von Starobielsk
ausmachte, um Polen von der „ukrainischen Liste“. Der Ort eines möglichen geheimen
Friedhofs des NKWD in Cherson ist bis heute unbekannt. Bekannt hingegen ist die Stelle des geheimen NKWD-Friedhofs aus den Jahren 1937-1940 in Kiew. Sie befindet sich
im nahe Kiew gelegenen Wald von Bykownia. Man muss annehmen, dass die 1940 in
Kiew ermordeten Polen auf diesem Friedhof begraben wurden.
ARCHÄOLOGIE DES VERBRECHENS.
109
Die Bemühungen der polnischen Seite (Rat zum Schutz des Gedenkens an Kampf
und Märtyrertum) um die Möglichkeit, archäologische Arbeiten und Exhumierungen in
Bykownia durchzuführen waren erfolgreich. Im Jahr 2001 begann ein Team polnischer
Experten mit der Suche nach dem Friedhof, die Suche wurde in den Jahren 2006 und
2007 fortgesetzt. Es stellte sich heraus, dass die Begräbnisstätte ein Areal von über 5
Hektar umfasst. Auch hier wurden zur Lokalisierung der Gräber Methoden der archäologischen Erkundung angewandt – es wurden über 2500 Probebohrungen durchgeführt
und zunächst 200 Massengräber lokalisiert. Bis heute wurden 140 Gräber exhumiert.
Man stellte fest, dass alle Gräber schon vorher exhumiert worden waren, allerdings sehr
nachlässig. Heute wissen wir, dass die geheimen Exhumierungen im Jahr 1971 von
Dienststellen des KGB und die in den Jahren 1987 sowie 1988 von der Kiewer Verwaltung durchgeführt wurden. In den nunmehr zum zweiten oder sogar zum dritten Mal
exhumierten Gräbern befanden sich jedoch immer noch viele Knochenüberreste sowie
zahlreiche Gegenstände, die die Feststellung der nationalen Zugehörigkeit der Opfer
ermöglichten. Es hat sich gezeigt, dass in 54 vom polnischen Expertenteam exhumierten
Gräbern ausschließlich Gegenstände polnischer oder westeuropäischer Herkunft aus der
Vorkriegszeit lagen (bisher 4000 Objekte). Auf einigen konnte man Familiennamen von
Polen entziffern, die auf der „ukrainischen Liste“ eingetragen waren. In den polnischen
Gräbern wurden die Überreste von 1500 Personen entdeckt, die genauso wie die Opfer
in Charkow mit einem Schuss in den Hinterkopf getötet worden waren. Die anderen
Gräber waren Begräbnisstätten sowjetischer Opfer des Stalinismus unter der lokalen
Bevölkerung aus den Jahren 1937-1939. Man kann annehmen, dass von den bis jetzt
noch nicht exhumierten 60 Gräbern in Bykownia ungefähr 15 weitere polnische Gräber
sind. So hat man also in Bykownia bei Kiew einen vierten Friedhof von Katyn entdeckt.
Die polnische Seite setzt große Bemühungen daran, die Arbeiten in Bykownia beenden
zu können, um ein würdiges Gedenken der hier ruhenden polnischen Opfer von Katyn
möglich zu machen.
Andrzej Kola studierte Archäologie an der Nikolaus Kopernikus-Universität Toruń.
Nach seiner Habilitation an der Universität Wrocław auf dem Gebiet der mittelalterlichen
Archäologie wurde er i. J. 1995 zum Professor am Institut für Archäologie und Ethnologie an der Nikolaus Kopernikus-Universität ernannt. Seine wissenschaftlichen Hauptinteressen gelten vor allem der Archäologie des Mittelalters, der Archäologie der Frühen
Neuzeit sowie der Unterwasserarchäologie. Er war auch bei den Untersuchungen in den
Vernichtungslagern der Hitlerdiktatur (Bełżec, Sobibór) leitend beteiligt. In den Jahren
1994-1996 leitete er die Exhumierungen auf dem Friedhof der polnischen Offiziere in
Charkόw, in den Jahren 1997-1999 leitete er die Untersuchungen und Exhumierungen
auf dem Friedhof der Verteidiger von Lwόw in Lemberg und im Jahr 2001 in Bykownia
bei Kiew. Prof. Kola hat über 170 Artikel und wissenschaftliche Abhandlungen verfasst,
von denen viele der archäologischen Problematik der Untersuchungen in Katyń und den
Untersuchungen in den Vernichtungslagern des Hitlerregimes gewidmet sind.
110
ANDRZEJ KOLA
Abb.1: Charków - Piatichatki. Lokalisierung des Friedhofs
ARCHÄOLOGIE DES VERBRECHENS.
Abb.2: Charków - Piatichatki. Durchführung von Probebohrungen
Abb.3: Charków - Piatichatki. Exhumierungsarbeiten
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ANDRZEJ KOLA
Abb. 4: Charków - Piatichatki. Ausgewählte Erinnerungsstücke
Abb. 6: Kijów - Bykownia. Lokalisierung des Friedhofs
ARCHÄOLOGIE DES VERBRECHENS.
Abb. 5: Charków - Piatichatki. Lokalisierung der Gräber
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Abb. 7: Kijów - Bykownia. Profile der Probebohrungen.
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ANDRZEJ KOLA
ARCHÄOLOGIE DES VERBRECHENS.
Abb.8: Kijów - Bykownia. Exhumierte Knochenteile.
Abb.9: Kijów - Bykownia. Ausgewählte Erinnerungsstücke.
115
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ANDRZEJ KOLA
Abb.10: Kijów - Bykownia. Lokalisierung der Gräber
LITERATUR
Jan Lucjan Rydel
Über die Realien im Drama „Wesele“
von Stanisław Wyspiański
Das Drama „Wesele” (Hochzeit in der Übersetzung von Henryk Bereska bzw. Hochzeitsfest in der Übersetzung von Karl Dedecius) von Stanisław Wyspiański ist ein
Spiel zweier dramatischer Ebenen: einer symbolischen sowie einer realen. Sofern der
symbolische Gehalt des Dramas Domäne der Literatur- und Theaterwissenschaftler ist,
fühle ich mich dazu berechtigt, über die Verbindungen von Text und Inhalt des Dramas
mit der Wirklichkeit an der Wende vom 19. zum 20. Jhdt., insbesondere des Herbstes
1900, zu sprechen - mit jener Wirklichkeit, die Stanisław Wyspiański erlebte und die von
ihm in seinem Drama mit bisweilen verblüffender Genauigkeit wiedergegeben wurde.
Ich mache dies als Historiker und auch als Urenkel der Protagonisten von „Wesele”,
also - in gewissem Sinne – als lebendiger Beweis für den Wahrheitsgehalt der im Drama
beschriebenen Ereignisse.
Das Gutshaus „Rydlówka“, in dessen historischen Mauern sich zurzeit das von der
Polnischen Gesellschaft für Tourismus und Landeskunde geführte Museum des Jungen
Polens befindet, das im Grunde genommen ein Museum des Dramas „Wesele“ ist, befindet sich seit 1908 im Eigentum der Familie Rydel. Das Gebäude gliedert sich in architektonischer Hinsicht in zwei Teile, einen älteren aus Holz, den der erste Besitzer
Włodzimierz Przerwa-Tetmajer im Jahre 1894 errichten ließ, sowie einen neueren gemauerten Gebäudeflügel, den Lucjan Rydel nach dem Erwerb des Gutes von Tetmajer
in den Jahren 1908-1912 hinzubauen ließ. Die Familie Tetmajer zog im Jahr 1903 in ein
ebenfalls in der Ortschaft Bronowice Małe gelegenes Gutshaus aus dem 18. Jahrhundert, das seit diesem Zeitpunkt „Tetmajerówka“ genannt wird. Wie diese Datumsangaben zeigen, fand die Hochzeit von Lucjan Rydel und Jadwiga Mikołaczykówna sowie
die sog. Haubenaufsetzung („oczepiny“) der Braut, die am 21. November 1900 gefeiert
wurde und Inspirationsquelle sowie Grundlage des Dramas mit dem denkwürdigen Titel
„Wesele“ von Stanisław Wyspiański ist, zu einem Zeitpunkt statt, als der Hausherr der
heutigen „Rydlówka“ Włodzimierz Tetmajer hieß.
Nach diesen Bemerkungen erhebt sich die Frage, was Włodzimierz Tetmajer, Ludwik de Laveaux, Kacper Żelechowski sowie viele weitere Maler, und später Lucjan
Rydel und Stanisław Wyspiański nach Bronowice Małe verschlug. Bronowice Małe,
das einst Polskie Bronowice hieß, ist ein Dorf, das im Jahre 1294 angelegt wurde. Seit
dem 14. Jh. war es Eigentum der Krakauer Hauptkirche, der Marienkirche. Aus diesem
Grund gehörte Bronowice exterritorial zu dieser städtischen Pfarre. Die Einwohner von
Bronowice traten in Krakau daher nicht nur als Käufer und Verkäufer auf den Märkten in Erscheinung, sie besuchten auch die Gottesdienste in der Marienkirche, zu der
120
JAN LUCJAN RYDEL
sie gehörten. Von Zeit zu Zeit fuhren sie mit bunten Hochzeitszügen auf den Krakauer
Marktplatz, die nach Krakauer Art gekleideten Hochzeitsgäste traten dann mit viel Grün
geschmückten Wägen auf, zu Musik und von den Brautführern zu Pferd begleitet und
in Krakauer Tracht mit Pfauenfedern und Krakauer Tüchern, die um die Schultern der
blauen Leibröcke gebunden waren. Dieses Schauspiel zog auch die Aufmerksamkeit der
Krakauer auf sich, mit Sicherheit verlockte es auch die Maler, die in den Neunzigerjahren des 19. Jhs. auf der Suche nach farbenfrohen dörflichen Szenerien waren, zu einem
Besuch von Bronowice.
Zu diesem Zeitpunkt war noch Jan Matejko, Meister der Historienmalerei sowie herausragender Porträtmaler, Direktor der Akademie der Schönen Künste. Zugleich aber
genügte seine allerortens anerkannte Größe seinen begabtesten Schülern nicht mehr,
sie suchten Kontakte mit neuen Strömungen in Kunst und Kultur und reisten zu Studienzwecken ins Ausland. Sie fanden sich in München zu einer Gruppe zusammen,
das zu dieser Zeit ein bedeutendes Zentrum der Kunst war, wo jedoch der vorimpressionistische Stil der Genremalerei herrschte, Julian Fałat, Leon Wyczółkowski, Józef
Chełmoński, Aleksander Gierymski, und etwas später auch Włodzimierz Tetmajer studierten dort. Das zweite Zentrum der europäischen Malerei, das von den Studenten aus
Krakau besucht wurde, war Paris, wo der Impressionismus zu seiner Hochblüte fand.
Dort studierten u.a. Stanisław Wyspiański und Józef Mehoffer. Ein impressionistisches
Gemälde musste der Natur nach gemalt werden, im Freien, wo der Künstler im Kontakt
mit dem natürlichen Licht sowie mit den Farben der Natur starke Eindrücke, Impressionen, empfängt. Wyspiański schrieb Ende Februar 1894 einen Brief an seinen Kollegen,
den Maler Karol Maszkowski aus Paris: Siemiradzki sollst du nicht kopieren … geh´
besser in Freie, auf den Kleparzplatz, nach Wesoła – glücklich wirst du die Natur betrachten, auf dem Land und in der Umgebung der Stadt – ist das ein Vergnügen. Und
weiter: Zur Zeit male ich in Paris nach der Natur – in der Stadt, in den Straßen, in den
Gärten – eine sehr interessante Sache, aber noch besser würde es mir gefallen, wenn
ich diese zu Hause in Polen malen könnte – unsere Gegend und Ecken sind mir lieber
und sie habe ich im Sinne.
Diesen Weg beschreitend, malten - auf der Suche nach Licht und Farbe - die jungen
Krakauer Maler, anfangs unter der Leitung von Prof. Jan Stanisławski in Bronowice
Małe. Im Sommer mieteten sie bei den Bauern Zimmer, tagsüber malten sie, abends
fanden sie sich in der Gaststätte von Hirsz Singer ein. Vielleicht mag die Anmietung
der Zimmer verwundern, betrug doch die Entfernung zwischen dem Ortszentrum und
dem Rynek sechs Kilometer, aber das einzige Verkehrsmittel, um mit Staffeleien nach
Bronowice zu gelangen, waren zur damaligen Zeit Droschken, die für das Budget eines
jungen Künstlers gewiss zu kostspielig waren. Im Dorfzentrum befand sich ein malerischer Teich, der auch auf den zeitgenössischen Bildern zu sehen ist, gegenüber gab
es eine Gaststätte, die die Familie Singer von der Marienkirche gepachtet hatte. Heute
gibt es dort weder die Gaststätte - sie wurde nach dem 2. Weltkrieg demoliert - noch die
beiden Bronowicer Teiche, die zugeschüttet wurden. Die Volksrepublik Polen schätzte
das Junge Polen und seine Landschaften nicht, die tatsächlichen ebenso wenig wie die
ÜBER DIE REALIEN IM DRAMA „WESELE” VON STANISŁAW WYSPIAŃSKI
121
geistlichen. Zu viel war dort die Rede von Gott, der Seele, der Transzendenz und der
Freiheit. Zur Zeit des Stalinismus wurde „Wesele“ nicht gespielt.
In der Gaststätte, wie es in Gaststätten nun so Brauch ist, tranken und aßen die Maler, sie diskutierten über Kunst, Literatur und Politik. Wenn sich ein Musikant einfand,
tanzten sie auch mit den Mädchen aus dem Dorf. Es ergab sich, dass die hübschen Bronowicerinnen, als sie mit Milchprodukten zum Markt am Kleparzplatz gingen, in ihre
prachtvollen Krakauer Trachten gekleidet waren. Als sie mit ihren Marktgeschäften fertig waren, gingen sie von dort zur Akademie für Schöne Künste, die gleich nebenan lag,
und standen dort für einen „Sechser”1 oder ein paar „Sechser” den Malern Modell. Dort
lernte Włodzimierz Tetmajer auch seine künftige Gattin Anna Mikołajczykówna kennen.
Ihr Vater, Jacek Mikołajczyk, ein armer Bauer, hatte drei bezaubernde Töchter, Anna,
Maria und Jadwiga sowie drei Söhne. Die drei Töchter und zwei Söhne, Jasiek und der
kleine Kuba, wurden zu Protagonisten im Drama „Wesele“..
Im Jahre 1890 heiratete Włodzimierz Tetmajer Anna Mikołajczykówna. Er tat dies
gegen den Willen der Familie und von diesem Zeitpunkt an konnte er nicht mehr mit
deren Hilfe rechnen. Die ersten Jahre waren entsprechend schwierig, im Frühling und im
Sommer wohnte er mit seiner Gattin in der Kate seiner Schwiegereltern in Bronowice,
im Winter zogen sie in die Stadt. Der junge Maler hatte keine guten Arbeitsmöglichkeiten, die Kinder kamen zur Welt und das Leben in der beengten Kate wurde zunehmend
schwieriger. Also errichtete er im Jahr 1894, als es gelungen war, ein bisschen Geld
aufzutreiben, auf dem Feld seines Schwiegervaters ein eigenes bescheidenes Haus, das
die Merkmale eines Bauernhauses mit den Merkmalen eines adeligen Gutshofs verband.
Das Haus hatte lediglich vier Räume sowie einen Flur, es war mit Stroh gedeckt, besaß
aber einen für ein bäuerliches Gebäude untypischen Laubengang, und der vom Klassizismus inspirierte Giebel über dem Eingang war mit dem Adelswappen der Familie
Tetmajer geschmückt. Sobald die Familie Tetmajer ihr eigenes Haus bewohnte, zeigte
sich ihr Haus offen, gastfreundlich und erfüllt von Warmherzigkeit gegenüber den mit
ihnen befreundeten Malern und Literaten.
Im Jahre 1896 fand auch Lucjan Rydel seinen Weg dorthin. Er kam dorthin als Freund
des Dichters Kazimierz Przerwa-Tetmajer, der der natürliche Bruder von Włodzimierz
war. Die Familie Rydel war mit den Tetmajers verschwägert, darüber hinaus war Krakau
zu dieser Zeit keine große Stadt, in der die Intellektuellen und Künstler bestens miteinander bekannt waren. Lucjan Rydel kam oft nach Bronowice. Eines Sommers mietete
er sich dort bei Klimina ein, die in „Wesele“ detailgetreu als „die Witwe des Dorfvorstehers” bezeichnet wird. Damals lernte er bei der Familie Tetmajer die jüngste der Töchter
von Jacek Mikołajczyk, Jadwiga, kennen. Im Sommer des Jahres 1900 hielt er um ihre
Hand an, und nachdem sein Heiratsantrag sowohl von ihr als auch von ihrer Familie
angenommen wurde, eröffnete er auch seiner Mutter, Helena Rydlowa, seine Heiratspläne. Diese jedoch versagte ihm vorerst ihre Einwilligung. An dieser Stelle sei daran
erinnert, dass der Vater von Lucjan Rydel, der gleichfalls Lucjan hieß - er war Professor
für Medizin, ein herausragender Ophtalmologe sowie Rektor der Jagiellonen-Universität
1
„Sechser” – traditionelle Bezeichnung eines kleinen österreichisch-ungarischen Geldstücks
122
JAN LUCJAN RYDEL
Krakau - im Jahr 1895 verstorben war. Die Mutter, Helena Rydlowa, war die Tochter von
Professor Józef Kremer, des bedeutenden Philosophen und Kunsthistorikers. Notabene
waren weder die Familie Rydel noch die Familie Tetmajer im mindesten aristokratisch
– sie entstammten nicht allzu wohlhabendem galizischen Landadel, dessen viele Vertreter in der zweiten Hälfte des 19. Jhdt. auf Grund der schlechten Konjunkturlage in
der Landwirtschaft nach Krakau zogen, wo sie sich in der Folge intellektuellen Berufen
widmeten. Weite Teile der polnischen Intelligenz hatten solche Wurzeln, und sie fanden
in Galizien, das sich seit Ende der Sechzigerjahre des 19. Jhdt. einer nicht unbeträchtlichen kulturellen Autonomie erfreute, gute Entwicklungsmöglichkeiten. Lucjan Rydel
war Doktor der Rechte und pflegte über sich zu sagen, dass er unter den Juristen der
beste Dichter wäre. Das Haus der Familie Rydel war eine der besten Adressen in Krakau.
Dort fanden auch die so genannten Rydelschen Freitage statt, also ein jour-fix, wo sich
stets zahlreiche Gesellschaft einfand, darunter auch die Bekannten von Lucjan Rydel.
Stanisław Wyspiański, der seit der Gymnasialzeit mit Lucjan Rydel befreundet war, war
dort häufig zu Gast und freundete sich auch mit dessen gesamter Familie an. In seinen
Briefen werden seine Besuche bei der Familie angeführt.
Was nun seine Ehepläne betraf, so riet Helena Rydlowa ihrem Sohn, den Hochzeitstermin zu verschieben und seine Pläne zu überdenken, damit sich mit der Zeit
nicht zeigte, dass ein Bündnis von Eheleuten aus gänzlich unterschiedlichen Kreisen
zu schwierig wäre. Rydel wollte den Rat der Mutter befolgen, da er wusste, dass im
Falle des Einverständnisses dieser allgemein geachteten Person Jadwiga sowohl von
der Familie als auch von der Krakauer Gesellschaft akzeptiert werden würde. Auf diese Weise wollte er eine Situation vermeiden, in der sich Anna Tetmajerowa während
ihrer ersten Ehejahre wiederfand, als so manches Tor in Krakau für sie verschlossen
blieb. Als Rydel jedoch nach Ablauf weniger Wochen erkannte, dass weder die Familie Mikołajczyk noch die Familie Tetmajer über eine lange Verlobungszeit erfreut
wären, beschloss er, dass die Trauung und Hochzeit noch im Jahr 1900, kurz vor Beginn des Advents, gefeiert werden sollte. Im dörflichen Umfeld erweckte eine lange
Verlobungszeit den Eindruck, dass sich der Verlobte seines Vorhabens keinesfalls sicher
wäre, darüber hinaus hatten die Familien Mikołajczyk und Tetmajer das Schicksal von
Marysia Mikołajczyka vor Augen, die die schönste der Schwestern gewesen sein soll.
Sie war mit Ludwik de Laveaux verlobt, der einer der ersten Maler war, der Bronowice Małe besuchte. Dieser höchst begabte Künstler reiste nach seiner Verlobung nach
Paris, um seine Studien zu beenden. Er kehrte jedoch nicht mehr zurück, da er dort im
Jahr 1894 an Lungentuberkulose verstarb. Wohlbemerkt, die Familie Tetmajer und die
Familie Rydel wurden dank der Stellung ihrer Ehemänner und gewiss auch auf Grund
der enthusiastischen Aufnahme des Dramas „Wesele”, in jeder Gesellschaft empfangen,
auch in gräflichen und fürstlichen Salons.
Die Hochzeit von Lucjan und Jadwiga fand am 20. November 1900 in der Marienkirche statt. Vor der Hochzeit wurde das junge Paar gemäß dem Brauch von der Familie
Mikołajczyk und von Helena Rydel, die die Argumentationsweise des Sohns akzeptierte,
gesegnet. Trauzeugen waren Błażej Czepiec, Onkel der Braut und Hochzeitsmarschall
ÜBER DIE REALIEN IM DRAMA „WESELE” VON STANISŁAW WYSPIAŃSKI
123
sowie Stanisław Wyspiański, der Freund des Bräutigams. Die im Drama dargestellte
Hochzeitsfeier in Bronowice stellte den zweiten Tag der Feierlichkeiten dar, die so
genannte Nachfeier („poprawiny“) sowie der Hochzeitsbrauch der feierlichen Haubenaufsetzung („oczepiny“), in deren Verlauf bei Kerzenlicht und Gesang der Braut der
Jungfernkranz abgenommen und die Frauenhaube aufgesetzt wird. Zu dieser gemütvollen Zeremonie reisten etwa zwanzig Gäste aus der Stadt an, Verwandte und Freunde der
Familien Rydel und Tetmajer. Aus dem Dorf kamen mit Sicherheit mehr Gäste, waren
doch alle auf irgendeine Weise miteinander verwandt oder verschwägert. Auch Stanisław Wyspiański war mit seiner Gattin und dem Töchterchen Helenka dabei.
Die Gäste vergnügten sich in zwei Räumen des Hauses Tetmajers sowie in der Kate
der Mikołajczyks, wo Tische mit Essen und Getränke aufgestellt waren. Im größten
Raum des Hauses Tetmajer, dem Speisezimmer, spielte eine Kapelle auf, es wurde getanzt, dort fand auch die feierliche Haubenaufsetzung, es herrschte – kurz gesagt – gute
Stimmung. Wyspiański tanzte nicht, er verbrachte – so die Augenzeugen – viele Stunden an den Türstock des Zimmers des Hausherrn, Włodzimierz Tetmajer, gelehnt. Es
war dies ein Standort, von dem aus er gleichzeitig die außergewöhnlich gute Stimmung
in sich aufnehmen konnte als auch den an den Tischen geführten Diskussionen der
nicht tanzenden Gäste folgen konnte, die – wie es bis heute so Brauch ist – über Politik
diskutierten. Von diesem Punkt aus erblickte Wyspiański auch die an der Wand hängende Lithographie, eine Kopie des Gemäldes „Wernyhora” von Matejko, dort imaginierte
er auch die erste Szene des Dramas, die er nach seiner Rückkehr nach Hause als erstes
niederschrieb.
Woher wissen wir, was Wyspiański dachte und was er, an den Türstock jenes Zimmers gelehnt, in dem die drei Akte seines Dramas angesiedelt sind, ersann? Wir wissen
es, und wir wissen es ganz genau. Nicht lange nach der Hochzeit Rydels und den Hochzeitsfeierlichkeiten traf er den gemeinsamen Freund Stanisław Estreicher und berichtete
ihm über dieses Ereignis. Er teilte ihm weiters mit, dass er bereits an einem Drama
darüber arbeitete, ja, er las ihm die erste, bereits niedergeschriebene Szene sogar vor. Es
war dies eben die Szene des Hausherren und Wernyhoras. Estreicher berichtete darüber
in einem Artikel unter dem denkwürdigen Titel Die Geburt von „Wesele”.
Während des ersten Aktes, die fast gemäß der Konvention einer Genrekomödie verfasst wurde, stellt Wyspiański die wechselseitigen Interessen der Hochzeitsgäste aus
Stadt und Land vor. Die Bauern fragen wissbegierig nach der Politik, sie möchten mehr
erfahren über die große weite Welt. Die Herren aus der Stadt wiederum sind von der
Energie und der Volkstümlichkeit der Dorfgemeinschaft entzückt, die jungen Damen aus
gutem Hause möchten sich mit den schneidigen Brautführern herzen. Die Bauern und
die Vertreter der Elite kennen sich jedoch noch kaum, es kommt zu zahlreichen unterhaltsamen Missverständnissen und Auseinandersetzungen. Auch die jüdischen Gestalten
ziehen die Aufmerksamkeit auf sich. Wir lernen den traditionsbewussten Gastwirt kennen, der in der lokalen Gesellschaft eine wichtige Rolle spielt und der auf seine gebildete
und emanzipierte Tochter Rachel stolz ist. Sie findet sich zur Hochzeit gerade am Ende
des ersten Aktes ein und weist die sich amüsierenden Gäste auf die angespannte, my-
124
JAN LUCJAN RYDEL
stische Atmosphäre hin, die draußen herrscht, sowie auf den Rosenstrauch, eingewickelt
in Stroh für den Winter, der von diesem Zeitpunkt an eine der zentralen Figuren des
Dramas wird. Sie hat den Einfall, ihn zur Hochzeit einzuladen und sagt:
Zmówię chochoł, każę przyść / do izb, na wesele, tu
[...]
zaproście tu na wesele
wszystkie dziwy, kwiaty, krzewy,
pioruny, brzęczenia, śpiewy
Poeta
i chochoła!
Rachel
już pan wieży?!
[...]
słoma, zwiędła róża, noc
ta nadprzyrodzona moc.
Ich spreche ihn an, laß ihn in die Stube
zur Hochzeit kommen, hierher
[…]
ladet hier zur Hochzeit ein
Donner, Blumen, eine Menge,
Wunderdinge, Gesumme, Gesänge…
Dichter
Und den Strohmann!
Rachel
Sie glauben schon?
[…]
das Stroh, die welke Rose, die Nacht,
die übersinnliche Macht2
Die jungen Leute nehmen im Scherz die Idee Rachels an und laden den Strohmann
zur Hochzeit ein:
skoro północ zacznie bić
do nas tu na izbę przydź.
Schlägt die Uhr zur Mitternacht,
kommst du zu uns – abgemacht?
2
Alle Zitate aus „Wesele” von Stanisław Wyspiański: Die Hochzeit. Drama in drei Akten. Aus dem Polnischen
übertragen und herausgegeben von Karl Dedecius, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1992.
ÜBER DIE REALIEN IM DRAMA „WESELE” VON STANISŁAW WYSPIAŃSKI
125
In den ersten Szenen des zweiten Aktes zeigt sich, dass der Strohmann die von den
fröhlichen Hochzeitsgästen ausgesprochene Einladung annimmt, und er erweist sich in
der Folge als Sendbote der Welt der Träume, von Wahngebilden und Angstzuständen.
Er sagt:
jestem, jestem na wesele,
przyjedzie tu gości wiele
[...]
Co się w duszy komu gra,
co kto w swoich widzi snach,
[...]
czy to kapcan, czy to pana,
na wesele przyjdzie w tan.
Ich zog, was ich Hatte, an
und kam – wie gewünscht
[…]
Viele Gäste werden kommen
bei Sturmwind: Geister, Phantome.
Wem was die Seele beschwert,
wer was in Träumen erfährt,
[…]
ob großer Herr, ob dummer Hans,
ein jeder kommt zum Hochzeitstanz
Spurlos verschwindet die heitere Stimmung voll von Sorglosigkeit. Die übermüdeten und ernst gewordenen Gäste werden von Gestalten heimgesucht, die ihre Klagen,
Zweifel und Ängste symbolisieren. Das Bauernmädchen Marysia sucht als Gespenst ihr
frühzeitig verstorbener Verlobte, der Maler, heim. Diese Szene zeigt, wie der Realismus
bei Wyspiański in meisterhafter Weise die literarische Fiktion durchdringt und inspiriert.
Natürlich stellt die Gestalt des Gespensts die Erinnerung an Ludwika de Laveaux und
Marysia, das ist Maria, die Schwester der Braut, Jadwiga, dar. Sie erinnert sich an den
Tod ihres Verlobten sowie an den Umstand, dass ihre eigene Hochzeit, zu der es nicht
gekommen war, gleichfalls ein großes Ereignis hätte sein können, wie die Hochzeit der
Schwester. Auch in diesem Detail der Handlung hält sich Wyspiański an die Wirklichkeit,
und auf eine bewegende Art und Weise erinnert sie an ein menschliches Drama, das sich
in seinem Bekanntenkreis zugetragen hatte.
Den bei der Hochzeit herumlungernden Dziad sucht der blutbefleckte Upiór (Monster) heim, der sich ihm als Szela vorstellt, also als Anführer des Bauernaufstands in Galizien im Jahre 1846, als die Vorfahren des Gastgebers sowie des Bräutigams ermordet
wurden. Die einstigen Kumpanen haben sich im Jahr 1900 nicht viel zu sagen: Dziad
möchte vergessen, dass er am Morden teilgenommen hatte, während sich Upiór auf der
Hochzeit unterhalten möchte:
126
JAN LUCJAN RYDEL
Przyszedłem tu do wesela,
bo byłem ich ojcom kat,
a dzisiaj ja jestem swat!!
Ich bin Szela!! Komme zur Hochzeit,
weil ich der Henker ihrer Väter war,
und heute segne ich das Hochzeitspaar!!
Der Dichter und der Journalist treffen auf Gestalten, die die Größe Polens in vergangenen Zeiten symbolisieren. Es sind dies der Schwarze Ritter, der berühmteste der
polnischen mittelalterlichen Helden sowie Stańczyk, königlicher Hofnarr im 16.Jhdt.,
Symbol für politischen Scharfsinn und Zivilcourage. Die Gäste aus der Vergangenheit beweisen in dramatischen Szenen den angesehensten polnischen Intellektuellen des
Jahres 1900 (der Dichter ist Kazimierz Przerwa-Tetmajer, der Journalist ist Rudolf Starzewski der gewichtigen polnischen konservativen Zeitung „Czas”), wie klein und bedeutungslos sie als Menschen sind, mehr noch, wie schädlich ihr Werk sogar ist. Im Haus
der Hochzeitsgesellschaft erscheint auch der polnische Erzverräter, Hetman (Heerführer), also Xawery Branicki der zum Teil für den Untergang Polens als selbstständiges
Land im 18. Jh. verantwortlich war. Im Drama von Wyspiański wird er, aus Rücksicht
auf seine Nachkommen, Branecki genannt. Als einen Verdammten quälen die Teufel, der
Moskauer Stab Hetman und nehmen ihm die Dukaten ab, die er vom russischen Zaren
für seinen Verrat bekommen hat. Zeuge dieser teuflischen Szene ist der Bräutigam. Hetman sagt zu ihm:
czepiłeś się hamskiej dziewki?!
Polska to wszystko chołota,
tylko im złota;
trza było do bękartów Carycy
iść smalić cholewki!
Du hast dich einer Magd verschrieben!
Polen ist lauter Gesindel,
das sich dem Gelde verbündet;
man hätte um die Bastarde
der Zarin werben sollen, wie ich es getan.
Von anderem Charakter ist die Vision des Hausherrn, also die Szene, die – wir
erinnern uns - Wyspiański als erste schrieb. In dieser Szene trifft der legendäre ukrainische Poet und Seher Wernyhora ins Haus der Hochzeitsgesellschaft ein. Er heißt den
Hausherren, die Bauern zu den Waffen zu rufen und einen Aufstand zu beginnen und
händigt ihm auch ein magisches Goldenes Horn aus. Wernyhora verspricht, dass er sich
– wenn bei Tagesanbruch des nächsten Tages seine Befehle erfüllt werden und das Goldene Horn ertönt - mit dem Erzengel Michael (notabene der Schutzpatron der Ukraine)
und dem Engelsheer auf den Weg macht, um den Aufstand zum Sieg zu verhelfen. Der
Hausherr ist ein glühender Patriot und ein Mann von Ehre, daher nimmt er sich der ihm
ÜBER DIE REALIEN IM DRAMA „WESELE” VON STANISŁAW WYSPIAŃSKI
127
von Wernyhora anvertrauten Aufgabe an. Er übergibt dem Brautführer Jasiek das magische Goldene Horn und schickt ihn fort mit dem Auftrag, in die umliegenden Dörfer zu
reiten und die Bauern zu den Waffen zu rufen, da bei Tagesumbruch der Kampf beginnen
soll.
Wernyhora, das ist eine der Figuren der Tragödie von Juliusz Słowacki „Sen srebrny
Salomei”, die im Krakauer Theater im Frühling 1900 gespielt wurde, das Bühnenbild
für diese Inszenierung stammte von niemand geringerem als Włodzimierz Tetmajer. In
diesem Stück erscheint vor dem Hintergrund eines Feuerscheins Wernyhora, er verflucht
die Polen für die Verbrechen des Adels, und prophezeit Polens Untergang und Knechtschaft, er verspricht jedoch Hilfe für den Fall, dass die Polen ihre Sünden büßen und
für ihre Freiheit kämpfen werden. Ohne Zweifel hat Wyspiański die Inszenierung „Sen
srebrny Salomei” gesehen.
Wyspiański hatte zunächst vor, ein einaktiges Drama zu schreiben, als er jedoch damit
fertig war, erkannte er, dass er ihm einen ersten Akt voranstellen musste, in dem er die
Hintergründe der Hochzeit und die dabei auftretenden Charaktere vorstellt. Auf diese Weise wurde der ursprünglich als erster Akt des Dramas vorgesehene Akt zum zweiten Akt.
Als letzter entstand der dritte Akt des Dramas „Wesele”, er stellt die dramatische Wende
des Werks dar. Nach Mitternacht sind die Hochzeitsgäste teils schläfrig, teils betrunken.
Gleichzeitig beginnen sich vor dem Haus der Hochzeitsgesellschaft Scharen von bewaffneten Bauern zu versammeln. Dem aus dem tiefen Schlaf erwachten Hausherren gelingt
es nicht, sich an die Ereignisse der letzten Nacht zu erinnern, er versteht die Kriegsvorbereitungen nicht. Als er die Situation endlich zu begreifen beginnt, zeigt es sich, dass das
magische Goldene Horn nicht ertönen kann, da es der Brautführer Jasiek verlor. Ohne
das Horn kann er Wernyhora nicht rufen, der Kampf um die Freiheit Polens kann demnach nicht beginnen. Die Morgendämmerung bricht an: die Hochzeitsgesellschaft und
die versammelten Bauern erstarren zur Bewegungslosigkeit. In dieser Situation kommt
die Strohpuppe, Chochoł, auf die Bühne zurück. Chochoł übernimmt nun die Funktion
des Regisseurs und führt die Handlung des Dramas zu ihrem Ende. Er geheißt Jasiek,
die Sensen aus den Händen der Bauern zu nehmen. Er ordnet an, den Herren Säbeln
und Büchsen abzunehmen. Die Bauern sind nicht in der Lage, selbstständig einen Freiheitskampf zu beginnen und die Herren führen sie nicht an. Der Hausherr nimmt sich
zwar dieser Aufgabe an, im kritischen Moment jedoch, nach zwei durchgefeierten Tagen,
schläft er müde und betrunken ein. Die verbleibenden Herren sind konservativ und den
Teilungsmächten gegenüber kompromissbereit eingestellt. Sie sind gegen einen Aufstand
eingestellt, sie sind zwar voll von patriotischem Pathos, aber nur dazu imstande, in den
Himmel zu blicken, auf das Wunder der Unabhängigkeit wartend. Chochoł beginnt zum
Schluss eine langsame hypnotisierende Melodie zu spielen, unter deren Einfluss sich die
Hochzeitsgäste bewegen, sie bleiben aber verzaubert und bewegen sich im Takt der Melodie Chochołs wie willenlose Puppen. Die Diagnose lautet: die Zeitgenossen Wyspiańskis
sind nicht fähig zum Kampf und für ein Leben in Freiheit. Vorhang.
Stanisław Wyspiański war gewissermaßen Zögling der Krakauer historischen Schule,
so wie diese stand auch er der Geschichte des Landes kritisch gegenüber, insbesondere
den Ursachen für den Verlust der Unabhängigkeit im 18. Jh., die – nach dem Urteil dieser
wissenschaftlichen Richtung – primär von den Polen selbst verschuldet war. Wyspiański
128
JAN LUCJAN RYDEL
war gleichzeitig gegen einen Ausgleich mit den Besatzern eingestellt, auch gegen einen
mit solch milde eingestellten Okkupanten wie es die Österreicher in der Epoche der
galizischen Autonomie (1867-1914) waren. Er war der Ansicht, dass man in jeder Situation für die Freiheit kämpfen müsste. Die Polen überdauerten dank der Aufstände, ohne
Rücksicht auf die in deren Verlauf davongetragenen Verluste und Niederlagen, mehr
als hundert Jahre der Unfreiheit als ein Volk. Wyspiańskis beiden bedeutende Werke
„Warszawianka”, vor „Wesele” verfasst, sowie „Noc listopadowa” , das in den Jahren
1901-1904 entstand, widmete er dem in den Jahren 1830 – 1831 verlorenen Novemberaufstand. In „Noc listopadowa” sagt die Göttin Kora: Sterben muss, was leben soll ...
In einem Brief vom 30. September 1891 schrieb er aus Paris an Karol Maszkowski: Wer
von uns fühlt nicht die Unfreiheit, die in unserem Land fortwährend herrscht – es ist
wahrlich eine schreckliche Last, erdrückend, furchtbar. ... ich würde die fröhliche und
zufriedene Jugend aus dem Lande forttreiben ... kommt und seht euch ein freies Volk an,
wie es lebt [...] Ich würde gerne sehen, wie all diese Jungen zugrunde gehen, da ich dann
wüsste, dass sie für dieselbe heilige Sache sterben wie die Jugend vor dreißig Jahren3.
Nota bene verfolgte Stanisław Wyspiański in Paris mit großem Interesse, und nicht selten mit Begeisterung Lebensart und Leistungen der Franzosen, die in seinen Augen eine
freie und selbst regierte Gesellschaft im eigenen Land verkörperten.
Wer Polen verstehen möchte, sollte das Drama „Wesele” nicht nur kennen, er sollte
es vor allen Dingen auch verstehen, da es das bedeutendste politisch-nationale Drama
seit den „Dziady” von Mickiewicz ist. Es ist dies ein Drama, das die polnische Gesellschaft am Vorabend des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs, als bereits Vorboten der
näher rückenden Katastrophe zu vernehmen waren - jenes Völkerkriegs zwischen den
Teilungsmächten, für den Adam Mickiewicz vor fünfzig Jahren gebetet hat - kritisch bewertet. Die Zeitgenossen verstanden bereits anlässlich der Uraufführung von „Wesele“,
die am 16. März 1901 im Krakauer Stadttheater stattfand, die Intentionen Wyspiańskis
und fühlten, dass sie Zeugen eines epochalen Ereignisses wurden. Als nach dem dritten Akt der Vorhang fiel, wurde lange Zeit nicht applaudiert – es herrschte Stille – das
Premierenpublikum, die konservative Krakauer Intelligenz, verstand die Botschaft des
Dramas. Die erste treffende Analyse des Dramas verfasste in der konservativen „Czas”
Rudolf Starzewski, Gast der denkwürdigen Hochzeit, der im Drama als Journalist in
Erscheinung tritt. Die Bedeutung des Dramas beruht auch darauf, dass die Fragen, die
Stanisław Wyspiański den Polen darin stellt, auch mehr als 100 Jahre nach der Premiere
von „Wesele” wenig von ihrer Aktualität eingebüßt haben, und der Kritizismus Wyspiańskis ergreift bis heute jeden aufrichtigen Menschen an der Weichsel mit Schaudern.4
Jan Lucjan Rydel ist Professor an der Jagiellonen-Universität in Krakau. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Geschichte de Habsburgermonarchie und Galiziens, displaced persons und die Geschichte Deutschlands in der Nachkriegszeit sowie deutsche
und polnische Geschichtspolitik im 20. Jahrhundert
Es ist dies eine Anspielung auf den Jänneraufstand der Jahre 1863-64.
Der Autor möchte Frau Maria Rydlowa, der Leiterin des Museums „Rydlówka” sowie Kennerin des Lebens
und Werks von Stanisław Wyspiański seinen Dank aussprechen: für die Möglichkeit, die Problematik von „Wesele”
mit ihr zu diskutieren sowie für Hilfe und Rat beim Schreiben dieses Artikels.
3
4
PERSPEKTIVEN IN DEN
NATURWISSENSCHAFTEN
Andrzej Górski, Jan Borysowski
Bakteriophagen: quo vaditis?
Dieser Artikel ist Prof. Tadeusz Orłowski aus Anlass seines 90.Geburtstags gewidmet.
“Polen hat in den vergangenen Jahrzehnten international die Führung in der klinischen Phagen-Therapie übernommen“ – U.Bettge: Viren als Verbündete gegen
Infektionen. Die Welt, 6. Dezember 2004
Bakteriopagen (Phagen) sind Viren, die ausschließlich Bakterienzellen infizieren.
Obwohl sich das Wissen über die Bakteriophagen seit ihrer Entdeckung zu Beginn des
20. Jhdt. (unabhängig voneinander im Jahr 1915 sowie im Jahr 1917) kontinuierlich
weiterentwickelte, brachten erst die letzten Jahre eine wahre Explosion von faszinierenden Erkenntnissen, die mit verschiedenen Aspekte ihrer Biologie verbunden sind. Die
Forschungen der letzten Jahre zeigten u.a. die weite Verbreitung von Bakteriophagen in
sehr unterschiedlichen Umgebungen – z.B. kann ihre Konzentration im Meerwasser sogar 10(4)-10(7)/ml betragen, im Boden 10(5)/g. Ebenfalls von Interesse ist, dass Bakteriophagen auch in lebender Materie nachgewiesen wurden, sie sind auch Bestandteil der
Mikroflora des menschlichen Verdauungstraktes. Diese Daten haben im Kontext einer
möglichen therapeutischen Nutzung der Bakteriophagen besondere Bedeutung, legen sie
doch den Schluss nahe, dass der menschliche Organismus auf natürliche Weise Phagenvirionen ausgesetzt (und das in großer Menge).
Ein Hauptanwendungsbereich der Bakteriophagen resultiert allein aus ihrer Natur
(Viren, die Bakterien infizieren und töten) und gilt der Prophylaxe und Heilung von
bakteriellen Infektionen. Erste therapeutische Versuche mit Bakteriophagen wurden bereits einige Jahre nach deren Entdeckung unternommen. Zurzeit wird ein zunehmendes
Interesse an der therapeutischen Anwendung von Phagen beobachtet. Hauptgrund dafür ist die beispiellose Krise der Antibiotikatherapie, die sich im dramatisch gestiegenen Auftreten von antibiotikaresistenten Bakterien sowie in der in hohem Maße nicht
ausreichenden Qualität der neuen Klassen von Antibiotika äußert. Die Bakteriophagen
sind zurzeit die viel versprechendste Alternative zu Antibiotika bei der Therapie von
durch antibiotikaresistente Bakterien ausgelösten Infektionen. Eines ihrer einzigartigen
Merkmale ist das äußerst enge Spektrum ihrer antibakteriellen Wirkung, die gewöhnlich
auf einen Teil innerhalb einer Bakteriengattung beschränkt ist (es wurden auch Bakteriophagen mit einem bedeutend umfangreicheren Spektrum beschrieben, die über einzelne Gattungsgrenzen hinaus wirksam werden, diese sind aber entschieden seltener).
Einerseits ist dies von Vorteil, da es die Eliminierung von pathogenen Bakterien ohne
die gleichzeitige Zerstörung der bakteriellen Mikroflora ermöglicht. Andererseits jedoch
132
ANDRZEJ GÓRSKI, JAN BORYSOWSKI
macht sie die Beurteilung der Empfindlichkeit des ätiologischen Infektionserregers auf
einzelne Bakteriophagen vor Therapiebeginn notwendig (eine Alternative dazu könnte
die gleichzeitige Gabe von mehreren unterschiedlichen Phagen sein, die in Summe ein
entsprechend breites antibakterielles Wirkungsspektrum garantiert). Von fundamentaler
Bedeutung ist natürlich die Fähigkeit, antibiotikaresistente Bakterien zu vernichten, was
für methicillin-resistente Staphylokokken, vancomycinresistenten Enterokokken, imipenenrestistentes P. aeruginosa sowie E. coli ESBL(+) (1,2) bewiesen wurde.
Im März 2007 erlitt einer der Redakteure von Nature Immunology (IF = 27) eine Kieferverletzung, die von einer Infektion mit antibiotikaresistenten Staphyllokokken gefolgt
wurde. Was danach geschah, schilderte er in Nature Medicine (IF = 28) (3). Nur unter
Schwierigkeiten gelang es, die Infektion zu beherrschen – aber was er überstand, das
überstand er und darüber hinaus ist schließlich nicht jeder Redakteur einer Zeitschrift
von solchem Renommee. Wie auch immer - an dieser Stelle sei aus dem Bericht rund
um die Erlebnisse der Heilung des aufgetretenen Abszesses die Aussage eines Professors
für Pädiatrie der Universität von Chicago zitiert: MRSA ist die größte sich in der USA
verbreitende Epidemie. Wo auch immer sie auftritt, dort bleibt sie auch.
Die WHO hält die Medikamentenresistenz für eine der drei größten gesundheitlichen
Herausforderungen in globalem Maßstab, während das European Centre for Disease
Prevention and Control der Ansicht ist, dass sie die größte gesundheitliche Bedrohung
der nächsten Jahre sein wird, während das Zeitalter der Antibiotika in Kürze Vergangenheit sein wird. (4).
Das Problem der Medikamentenresistenz sowie der Phagentherapie sind von bedeutendem ethischem Ausmaß. Die pharmazeutische Industrie zieht sich nach und nach auf
Grund des Fehlens ausreichender marktwirtschaftlicher Anreize aus der Forschung nach
neuen Antibiotika zurück – lohnender ist es für sie, andere Mittel einzuführen, mit denen
sich potenziell und de facto ein wesentlich größerer Gewinn erzielen lässt. Es ist dies ein
gewinnorientierter Zugang, der den gesellschaftlichen Interessen zuwiderläuft und den
so genannten 10/90-gap zur Folge hat: knapp 10% der für die Forschung zur Verfügung
stehenden Mittel werden für die Erforschung von Erkrankungen aufgewendet, an der
90 % der Bevölkerung leiden. Die Medikamentenresistenz stellt indessen eine äußerst
begründete ethische Notwendigkeit, diesbezügliche Forschung zu betreiben - mit dem
Ziel, sie zu beherrschen - in einer Situation, in der allein in den USA die Kosten, um ihrer
Herr zu werden, auf 7 Milliarden $ jährlich geschätzt werden (4,5).
Meine zwei Jahre währenden Erfahrungen mit der Leitung des Zentrums für Phagentherapie am Institut für Immunologie und experimentelle Therapie der Polnischen
Akademie der Wissenschaften in Wrocław bestätigen zur Gänze diese dramatische Gefährdung.
Ein Jahr zuvor hat eben Nature Medicine einen Artikel unter „feature news”, also die
neuesten Nachrichten, unserem Zentrum gewidmet. Das ist eine Sensation, da Nature
Medicine bis zu diesem Zeitpunkt über die Leistungen der polnischen Wissenschaft und
Medizin noch nie berichtet hat (6). Das Zentrum wendet die experimentelle Phagentherapie bei medikamentenresistenten bakteriellen Infektionen an und ist, vermutlich nicht
BAKTERIOPHAGEN: QUO VADITIS?
133
überraschend, nicht in der Lage, sämtliche potenzielle Patienten aus Polen sowie der
ganzen Welt – wir haben Patienten aus Deutschland, den USA, Italien, Großbritannien,
Belgien sowie weiteren Ländern – zu behandeln. Die Therapie wird gemäß den polnischen Rechtsvorschriften sowie jenen der EU durchgeführt, das bedeutet, dass wir
über die Zustimmung der bioethischen Kommission sowie die bewusste Zustimmung
des Patienten sowie der entsprechenden Versicherungsgesellschaften verfügen. Zurzeit
müssen die Therapiekosten entweder vom therapierenden Zentrum oder vom Patienten
selbst getragen werden. (Das Phagenpräparat wird aus den Mitteln des NFZ nicht refundiert, da es bis jetzt nicht als Heilmittel registriert ist.) Weitere Informationen finden Sie
auf der Webseite http://www.iitd.pan.wroc.pl/phages/phages.html
Wir erinnern an dieser Stelle daran, dass die bei Transplantationen zum Einsatz kommenden Organe und Gewebe ebenfalls nicht als Heilmittel registriert sind, und dennoch
ist diese Therapie zurzeit gängiger Standard. Die weitere Entwicklung der Phagentherapie
geht zurzeit in zwei Richtungen: die Bemühung um die Registrierung des Medikaments,
sowie, von diesem Prozess unabhängig, die Entwicklung einer entsprechenden Therapie
– vergleichbar der Situation in der Transplantationswissenschaft, die sich in Polen sowie weltweit auf ähnliche Art und Weise entwickelte. Aus diesem Grund wird in letzter
Zeit das Augenmerk auf die Notwendigkeit der Ausarbeitung einer entsprechenden Vorgangsweise im Falle einer Registrierung der Phagenpräparate (7,8) gerichtet. Obwohl
die Phagen bis jetzt von den entsprechenden Behörden nicht als Medikament registriert
wurden, registrierte die amerikanische FDA im Jahr 2006 Phagen, die Listeria monocytogenes angreifen und vernichten, als Zusatz zu den so genannten „freshly cut products”
(geschnittenes Obst und Gemüse, Fleischprodukte u. ä.). Im Fall der Registrierung der
Phagen als Medikament hat das Leben – wie es mitunter zu sein pflegt – die rechtliche
Situation überholt: die bestehenden Regelungen der EMEA und der FDA betreffen Medikamente und klassische Arzneimittel - eine Situation, in der eine Infektion mit Viren
geheilt wird, war dabei nicht vorgesehen. In letzter Zeit erschienen Arbeiten, die dieses
Problem im Detail erörtern und dabei die von unserem Team angewandte Vorgehensweise herausstreichen sowie im Besonderen den Umstand der Erlangung einer Zulassung
durch die verantwortlichen bioethischen Kommissionen (jener von Wrocław und jener
von Warszawa – nebenbei sei vermerkt, dass die Warschauer Bioethische Kommission
OIL für ihre Skrupelhaftigkeit und ihren Scharfsinn bekannt ist). Im Juni 2007 erhielt
eines der belgischen Zentren eine vergleichbare Bewilligung zur Anwendung von
Phagen bei der Heilung von durch Pseudomonas und S. aureus ausgelösten Infektionen
sowie des Syndroms der verbrühten Haut. (8).
Ein häufig eingebrachter Einwand gegen die Phagentherapie ist das Fehlen von entsprechenden klinischen Untersuchungen. In unserem Fall ist die Wahrheit sehr einfach:
Wir verfügen nicht über die finanziellen Mittel, die für diese Art von Forschung nötig sind, und die pharmazeutische Industrie ist daran nicht sonderlich interessiert, da
sie Gewinneinbußen beim Erlös aus Antibiotika befürchten. Zwar ist diese Quelle im
Versiegen, der Erlös ist jedoch weiterhin ziemlich lukrativ, insbesondere in Polen, wo
die Prinzipien zur Durchführung klinischer Studien Vorbehalte grundsätzlicher Natur
134
ANDRZEJ GÓRSKI, JAN BORYSOWSKI
aufkommen lassen, eine Kontrolle für diese existiert de facto nicht (in meinem Dossier
befindet sich auch ein Dokument, aus dem hervorgeht, dass man im Lauf von drei Jahren
60 klinische Studien leiten kann!). Unsere Angaben zeigen deutlich, dass die Therapie
von durch Staphyllokokken hervorgerufenen Infektionen mit Phagen um vieles billiger
als eine Therapie mit Antibiotika sein kann (9). Selbstverständlich wurden uns im Lauf
der letzten Jahre oftmals verschiedene Vorschläge zur Abtretung der Rechte an der Phagensammlung unterbreitet, diese Vorschläge kamen sowohl aus Polen als auch aus dem
Ausland – jedoch sicherten diese nicht in angemessener Weise die Interessen unseres
Instituts – und – auch wenn dies pathetisch klingen mag – der polnischen Wissenschaft.
Kürzlich erschien auf der offiziellen Homepage der britischen Regierung eine Petition zur Einführung der Phagentherapie in Großbritannien, denn die Kranken werden
zurzeit nach Polen geschickt: http://petitions.pm.gov.uk/MRSA-phage/
Über unsere Arbeiten schrieb u.a. Die Welt, Dagens Nyheter, die zahlreichen in Polen erschienenen Presseartikel aufzuzählen ist schwierig (Newsweek, Gazeta Wyborcza,
Wprost, Przekrój). Fernsehsender in Deutschland, den Niederlanden und unlängst auch
in Tschechien brachten Reportagen.
In Zeiten, in der MRSA als eine der größten Herausforderungen der gegenwärtigen
Zivilisation sowie der Medizin betrachtet wird (nach oben erwähnten Artikel machen sie
bis zu 70 % der staphyllokokkeninduzierten Infektionen aus und die in einer Situation,
in der die Medizin dieser Tatsache faktisch wehrlos gegenübersteht, verfügen wir über
ein einzigartiges Arsenal von Phagen, die in der Lage sind, etwa 80% der Staphyllokokkenstämme zu zerstören. Darüber hinaus verfügen wir wie bereits weiter oben angeführt
über Daten, die den Schluss zulassen, dass die Phagentherapie im Vergleich zur Therapie
mit Antibiotika bedeutend kostengünstiger ist (9).
Den bisherigen Einsatz von Phagen in der Medizin haben wir im Kapitel Bacteriophages in Medicine in dem 2007 herausgegebenen Buch Bacteriophage: Genetic and Molecular Biology publiziert (2). An dieser Stelle sei hervorgehoben, dass noch nie ernsthafte
Komplikationen oder Nebenwirkungen der Phagentherapie beschrieben wurden. Bereits
im Jahr 1927 wurden in der Klinik für Chirurgie der Jagiellonischen Universität Krakau Kinder mit Bakteriophagen geheilt, denen diese parenteral verabreicht wurden (10).
Phagen wurden auch erfolgreich in der von Prof. Jan Nielubowicz geleiteten Klinik für
Chirurgie eingesetzt (11).
Das Fehlen von Nebenwirkungen wurde sogar bei der arteriellen Gabe von Phagenlysaten (sic!) (12), und bis heute wendet man die intravenöse Gabe von Phagen mit dem
Ziel der Beurteilung der humoralen Reaktion bei Patienten mit reduzierter Immunabwehr an (2). Sie wurden auch erfolgreich bei der Heilung von Harnwegsinfektionen bei
nierentransplantierten Patienten, u.a. an der Adam Mickiewicz-Universität in Poznań,
eingesetzt (2).
In den vergangen Jahren haben wir in bedeutender Weise das Wissen über die Wechselwirkung von Phagen mit eukaryontischen Zellen vorangetrieben – bis zu diesem
Zeit-punkt beschäftigte sich die Wissenschaft faktisch ausschließlich mit dem Einfluss
von Phagen auf Bakterien, ihre natürlichen Zielzellen. Unsere Forschungen gelangten
BAKTERIOPHAGEN: QUO VADITIS?
135
zu außergewöhnlich interessanten Resultaten. Wir zeigten, dass die Phagen in grundlegender Weise das Immunsystem beeinflussen, indem sie dessen Funktion modifizieren.
Hochgereinigte Phagen können die immunsuppressive Wirkung in vitro beeinflussen (der
Effekt einer Wechselwirkung in vivo ist bei Menschen praktisch unbekannt, da solche
Forschungen bisher noch nicht durchgeführt wurden). Aus unseren ersten Untersuchungen an Mäusen kann geschlossen werden, dass solche Präparate auch auf die immunsuppressive Wirkung in vivo Einfluss haben, da eine niedrigere Produktion spezifischer
Antikörper, eine Verlängerung der Lebensdauer allogen transplantierter Haut sowie eine
reduzierte lokale Schwellung beobachtet wurde. Interessant ist, dass das de facto wichtigste Phagenpräparat, das zurzeit verabreicht wird – ein Lysat, das Staphylokokkenphagen enthält (ungereinigtes Präparat) eine immunstimulierende Wirkung hervorruft. Der
immunmodulierende Effekt des Phagenpräparats, seine etwaige antikanzerogene Wirkung in experimentellen Versuchsanordnungen kann also vom Grad seiner Reinigung
sowie vom Phagentyp abhängen (13-17).
Eine besondere Bedeutung bei diesen Reaktionen können auch die Proteine des Phagenkapsids haben, manche von ihnen können Sequenzen der Superfamilie der Immunglobuline aufweisen; wir legen nahe, dass dies eine spezielle Art der Verbindung von
Phagen mit dem Immunsystem sein kann (18).
In unseren letzten Arbeiten haben wir gezeigt, dass Phagen in spezifischer Weise
die Produktion von freien Sauerstoffradikalen durch Granulozyten und Monozyten als
Reaktion auf die verabreichten Bakterien und Endotoxine beeinflussen. Diese Beobachtung, de facto zur Gänze neu, ist von potenziell großer praktischer Bedeutung. Sie legt
nämlich nahe, dass die Phagen einen starke entzündungshemmende Wirkung haben, die
ihre antibakterielle Wirkung übertrifft, die antibakterielle Wirkung stand im Zentrum,
z.B. bei der Heilung von Sepsis, wo – wie nahe liegt – eine intensive Produktion von
freien Radikalen eine bedeutende Rolle in der Pathogenese dieses Symptomkomplexes
spielt (19,20). Diese Hypothese wird auch durch unsere Forschungsergebnisse unterstützt, die auf den inhibierenden Einfluss von Phagen auf die Aktivierung des Faktors
NF-Kappa B, der der molekulare Mediator für die Aktivierung der Zytokine sowie weiterer in der Pathologie eine bedeutende Rolle spielender Moleküle ist. Mehr noch, wir
haben gezeigt, dass Phagen mit der von pathogenen Viren (z.B. aus der Gruppe der
Herpesviren) aktivierenden Wirkung von NFkappa B interferieren können, was nahe
legt, dass Bakterienviren nicht nur bei bakteriellen Infektionen sondern auch bei viralen
Infektionen ein potenzielles therapeutische Mittel sein können (17,21). Tatsächlich gibt
es in der Fachliteratur zum Thema der Möglichkeit einer Interferenz von Phagen mit für
den Menschen pathogenen Viren Berichte. Schon vor 40 Jahren wurde in Betracht gezogen, dass Phagen die Produktion von „Phagizinen” induzieren, die das Wachstum von
Herpesviren in vitro und in vivo verzögern. Es scheint, als könnten Phagen mit einigen
Viren um deren Zellrezeptoren konkurrieren können, z. B aus der Gruppe der Integrine,
die die Bindung zwischen Viren und Zellen blockieren und damit auch die pathogene
Reaktion. Der potentiell antivirale Mechanismus der Phagen ist mit ihrer Fähigkeit zur
Induktion der Antikörper verbunden, die kreuzförmig mit den pathogenen Viren rea-
136
ANDRZEJ GÓRSKI, JAN BORYSOWSKI
gieren können. Unabhängig davon, welcher der oben genannten Mechanismen für die
beobachteten Effekte verantwortlich ist, wurde in experimentellen Untersuchungen die
Möglichkeit einer praktischen Nutzung der Konkurrenz Phage gegen pathologisches Virus in der experimentellen Therapie bei Tieren gezeigt.
Es ist bekannt, dass Phagen in Organismen vorkommen (u.a. in den Eingeweiden und
im Speichel). Unsere Hypothese geht davon aus, dass solche endogenen Phagen eine bedeutende Rolle bei der Abwehr von exogenen und endogenen Pathogenen spielen. (17).
Mehr noch, wir denken, dass Phagen der Translokation unterliegen und im Organismus
umherwandern, wobei sie die Rolle eines Verbündeten des Immunsystems einnehmen
(23).
Eine spektakuläre Bestätigung unserer Theorien, die den potenziellen Schutzcharakter von Phagen betrifft, ist der letzte Bericht von Barton et al. (24). Bekanntlich werden
wir alle in der Kindheit mit dem Herpesvirus infiziert. Nach der Infektion kommt es zu
einer Latenzphase, in der das Virus im Genom des Wirts de facto bis an dessen Lebensende verbleibt, es kann aber auch zu dessen Reaktivierung und zur Entstehung von
Krankheitserscheinungen kommen. Es wurde eben festgestellt, dass die latente Infektion mit Herpesviren und CMV bei der Maus zur Herausbildung einer Immunität gegen
nachfolgende bakterielle Infektionen führt, wofür höchstwahrscheinlich die verstärkte
Aktivierung der Makrophagen sowie die Produktion von Gamma-Interferon verantwortlich ist. Die Bedeutung dieser Mitteilung wurde durch einen parallel im New England
Journal of Medicine erschienenen Kommentar unterstrichen (25).
Das unbegrenzte Potenzial der Phagenforschung zeigt u.a. auch der folgende Umstand: Eine Suchanfrage bei der Datenbank Pubmed unter dem Kriterium einer Verbindung der Stichworte bacteria + urine ergab – wie man sich leicht überzeugen kann
– über 15 000 Treffer. Im Falle der Stichworte bacteriophage + urine ist das Ergebnis
66. Eine Analyse unter dem Blickwinkel des Auftretens von Phagen im Urin erbringt
ein wahrlich verblüffendes Ergebnis – einzig zwei Einträge beschäftigen sich mit dem
Auftreten von Bakteriophagen im Urin und die de facto einzige systematische Forschung
stammt aus dem Jahr 1928 (diese Publikationen zu bekommen war nicht einfach, nicht
einmal der Originalartikel lag in Kopie auf !) (26). Und dabei sind Infektionen des Harntrakts eine der wesentlichen Pathologien, deren Ursache weiterhin nicht klar ist. Unter
normalen Bedingungen bleiben die Harnwege steril, wozu unterschiedliche Faktoren
beitragen; kann man dabei die Bedeutung von Phagen ausschließen? (27). Es ist dies
ein spannendes, einmaliges und de facto zur Gänze neues Forschungsthema. Und solche
Beispiele gibt es viele.
Eine sehr interessante therapeutische Strategie, die sich der Bakteriophagen bedient,
ist deren Anwendung in Vektorform. Auf diese Weise gelangen unterschiedliche Verbindungen von antibakterieller Wirkung in die Bakterienzellen. Dies können z.B. Gene sein,
die antibakterielle Toxine kodieren (nach der Bindung des Oberflächenrezeptors der Bakterienzelle kommt es zur Einspritzung des Gens in das Innere, wo das Gen exprimiert
wird). Dank dieser Methode kann man in der Therapie Toxine anwenden, die nicht in der
Lage sind, die Zellwand der Bakterien zu durchdringen, infolgedessen wären sie nicht in
BAKTERIOPHAGEN: QUO VADITIS?
137
der Lage, auf die Bakterienzelle von der Innenseite her einzuwirken. Auf ähnliche Weise
kann man in die Bakterienzellen Teile von Antibiotika einschleusen, die auf der Oberfläche des Virions absorbiert werden, oder lichtsensitive Verbindungen, wie sie in der photodynamischen Therapie eingesetzt werden. Die Anwendung von Bakteriophagen kann
in diesem Fall ihren Einsatz in der Antibiotikatherapie, die durch hohe Toxizität charakterisiert ist, ermöglichen. Ein auf diese Weise an der Oberfläche des Virions adsorbiertes
Antibiotikum kann in Wirklichkeit Vorstufe eines Medikaments („pro-drug“) sein, das
seiner toxischen Wirkung beraubt wurde. Das Medikament wird erst nach seiner Freisetzung von der Oberfläche der Bakteriophage aktiv, wozu es hauptsächlich nach der
Bindung der Bakterienzelle durch die Virionen kommt (28). Eine der Herausforderungen bei der Therapie von bakteriellen Infektionen ist die Herausbildung von Biofilmen
durch diese Mikroorganismen, was prophylaktisch als Begrenzung der Penetration der
Antibiotika an den Infektionsort darstellt. In den letzten Jahren wurde gezeigt, dass die
Phagen die Struktur der Biofilme zerstören können, dieser Wirkungsmechanismus kann
sowohl spezifisch als auch unspezifisch im Bezug zu den im Infektionszentrum befindlichen Bakterien sein. Auf diese Weise eröffnen sich neue therapeutische Möglichkeiten
des Einsatzes für Phagen, die von der unmittelbaren antibakteriellen Wirkung unabhängig sind (29).
Bei der Prophylaxe und Therapie von bakteriellen Infektionen kann man neben Bakteriophagen auch Phagenproteine, vor allem Endolysine, anwenden. Das sind Enzyme,
die in den von den Phagen infizierten Bakterien produziert werden, die Peptidoglykan
aufspalten – den Hauptbestandteil der Zellwand der Bakterie. Im Verlauf der natürlichen
Infektion der Bakterienzelle führt die Aktivität des Endolysins zum Abbau der Zellwand
und schließlich zum Platzen (die sogenannte Lyse) des Bakteriums, was den im Inneren
der Zelle neu entstandenen Virionen die Möglichkeit gibt, heraus zu gelangen (was von
großer Bedeutung ist, da die Phagenvirionen nur nach ihrem Herausgelangen aus der
Wirtszelle weitere Bakterien infizieren können). In der Therapie werden rekombinante
Endolysine eingesetzt, die auf gentechnischem Weg gewonnen wurden; in diesem Fall
beeinflussen Teile des Enzyms die Bakterien von der Innenseite der Zelle. Eine solche
Interaktion ist ausschließlich bei grampositiven Bakterien möglich, da in den Zellen von
gramnegativen Bakterien das natürliche Substrat Lysin – ein Peptidoglykan – zusätzlich
durch die so genannte Plasmamembran geschützt ist, die grundsätzlich für Proteinteilchen nicht durchlässig ist. Die Möglichkeit der Vernichtung von Bakterien durch Lysine,
die die Bakterienzellen von der Zellinnenseite her beeinflussen, wurde bereits in den
Fünfzigerjahren des vorigen Jahrhunderts nachgewiesen, erste therapeutische Versuche
mit diesem Enzymen wurden jedoch erst in den letzten Jahren unternommen. Diese Forschungen wurde vom Forschungsteam von Prof. V. Fischetti von der Rockefeller-Universität initiiert, die Bedeutung dieser Arbeit zeigt aber eine Reihe von Publikationen (drei
erste Arbeiten erschienen in PNAS, Science and Nature). Eines der Hauptmerkmale von
Lysin ist die herausragend dynamische bakterizide Wirkung auf grampositive Bakterien;
der Mechanismus dieser Wirkungsweise (die Aufspaltung von Peptidoglykan) ist einzigartig, er unterscheidet sich in der Wirkungsweise von allen zurzeit bekannten Arten von
138
ANDRZEJ GÓRSKI, JAN BORYSOWSKI
Antibiotika, dank dieser Wirkungsweise können Endolysine auch antibiotikaresistente
Bakterien töten (das wurde beispielsweise für Methicillin-resistenten Staphylococcus
aureus MRSA und vankomycinresistene Enterokokken gezeigt). Einer der bedeutendsten
Unterschiede im Vergleich zu den traditionellen Antibiotika ist ihr antibakterielles Wirkungsspektrum – im Fall der Antibiotika ist dies gewöhnlich breit, während es im Fall
der Lysine eng ist und am häufigsten auf eine einzige Bakteriengattung beschränkt ist (es
wurden auch Enzyme von einem breiteren Wirkungsspektrum beschrieben, z.B. solche,
die gegen Staphyllokokken wirksam sind und unterschiedliche Staphyllokokkengattungen vernichten). Dank des engen Wirkungsspektrums ist die Eliminierung von ausgewählten pathogenen Bakterien ohne die Zerstörung der Bakterien der natürlichen Mikroflora möglich. Ein großer Vorteil der Endolysine ist das geringe Risiko der Entwicklung
von Resistenzen. Dies resultiert aus der Tatsache, dass Lysine de facto für die günstige
Beendigung der Infektion der Bakterienzelle durch den Phagen unverzichtbar sind; es ist
sehr wahrscheinlich, dass sie sich zur Absicherung einer tatsächlichen Infektion so entwickeln, dass sie jene Bestandteile der Zellwand binden, die für die Lebensfähigkeit der
Bakterien unerlässlich sind (dank dieses Umstands ist das Risiko einer Mutation in den
diese Rezeptoren kodierenden Genen gering). In Laborexperimenten zur Beurteilung der
Entwicklung einer Resistenz gegenüber Lysinen wurden spektakuläre Ergebnisse erzielt
(beispielsweise führte die sogar etwa 20 – 30 Mal wiederholte Aussetzung des Bakteriums an kleine Dosen des Enzyms nicht zur Entwicklung einer Resistenz), es muss aber
daran erinnert werden, dass in der natürlichen Umgebung der Bakterienzelle resistente
Gene von anderen Bakterien „gewonnen“ werden können. Ein schwerwiegender Nachteil ist ihre Proteinstruktur, die de facto die orale Verabreichung ausschließt. Ungünstig
ist auch das pharmakinetische Profil, charakteristisch für Medikamente auf Proteinbasis
(beispielsweise eine sehr kurze Halbwertszeit im Serum). Die postulierte Hauptanwendung der Lysine ist die Eliminierung der Schleimhautbesiedlung nach der Verabreichung
von lokalem Enzym (beispielsweise die Beseitigung von eiterbildenden Streptokokken
von der Schleimhaut der oberen Atemwege). Nach Ansicht von Prof. Fischetti ist dank
des engen antibakteriellen Wirkungsspektrums die Eliminierung einzelner pathogener
Bakteriengattungen bei gleichzeitiger selektiver Infektionsprophylaxe möglich, ohne das
Gleichgewicht der Mikroflora zu stören. Nach Auffassung der Autoren dieses Artikels
ist diese Ansicht in letzter Konsequenz nicht schlüssig, da die Eliminierung welcher die
Schleimhaut besiedelnden Bakterienart auch immer, die Nische einer möglichen schnelleren Entwicklung von Bakterien anderer Gattungen erzeugen kann. Die Resultate der
ersten unter vorklinischen Bedingungen durchgeführten Forschungen (hauptsächlich an
Mäusen) sind äußerst ermutigend, sie wurden jedoch bis jetzt nicht in klinischen Studien
verifiziert. Eine zweite mögliche Anwendung von Lysin ist die Therapie bei bakteriellen
Infektionen. In den ersten Arbeiten wurde u.a. die sehr hohe Wirksamkeit der Enzyme
(bei einem gleichzeitigen Ausbleiben von ernsthaften Nebenwirkungen) bei der Therapie
von bakteriellen Infektionen bei Mäusen gezeigt. Bisher wurden einige für verschiedene
Bakterien spezifische Lysine von klinischer Relevanz beschrieben (beispielsweise Staphyl-
BAKTERIOPHAGEN: QUO VADITIS?
139
lokokken, Pneumokokken, eiterbildende Streptokokken). Ein mögliches Potential für
eine zukünftige therapeutische Anwendung haben auch für den Bacillus anthracis, den
Erreger von Milzbrand, spezifische Enzyme, (die Wirksamkeit eines dieser Lysine wurde bereits an der Maus mit einer Infektion durch B. anthracis bewiesen). Die Zukunft
wird zeigen, ob sie zu denselben Phagen gehören oder auch zu deren Lysinen; das sind
Anlässe, um zu beurteilen, ob beide Formen genutzt werden können (30). Diese Effektivität kann auch mit verschiedenen Möglichkeiten der Penetration des Gewebes der
Lysine verbunden sein, wie auch selbst der Phagen (31).
Ein weiterer interessanter Anwendungsbereich der Bakteriophagen von möglicherweise großer Bedeutung für die Medizin ist der so genannte phage display. Es ist dies
eine biotechnologische Methode, die die Identifizierung von Peptiden und Proteinen
(z.B. Antikörper) hinsichtlich der erwünschten Eigenschaften ermöglicht, vor allen Dingen bezüglich der angesprochenen Bindungsspezifität. Dank des phage displays lassen
sich Antikörper (oder kürzere Peptide) gewinnen, die freie Antigene binden. Phage display lässt sich auch als eine der Methoden mit dem Ziel der Entwicklung des Proteins
(z.B. Modifizierung des aktiven Enzymzentrums zum Zeck seiner Aktivitätssteigerung)
nutzen. Eine andere besonders interessante Anwendung der besprochenen Methode ist
der Einsatz von Phagen als Träger antigener Impfstoffe (die Antigene werden in diesem
Fall an der Oberfläche des Virions präsentiert). Die Wirksamkeit solcher Impfungen (die
aus der Induktion der spezifischen humoralen Reaktion resultiert) wurde in zahlreichen
vorklinischen Forschungen nachgewiesen.
Ein potenziell bedeutendes klinisches Feld, in dem die Phagentherapie angewandt
werden kann, ist die Transplantationswissenschaft. Wie wir bereits festgestellt haben, rufen Phagen eine Reihe von Wirkungen hervor, die die Überlebensdauer bei allogenen
Transplantationen günstig beeinflussen, und sie bewirken tatsächlich eine bedeutende
Verlängerung des Überlebens bei allogenen Hauttransplantationen der Haut bei der Maus
(sowohl beim normalen Empfänger als auch beim allergischen Empfänger). Wir haben
weiters darauf hingewiesen, dass sie die Patienten von MRSA befreien können, was für
die potenziellen Organempfänger sowie für die Empfänger selbst von großer Bedeutung
ist (33). Diese Tatsachen, ebenso wie die eingangs beschriebenen Gaben von Phagen für
die Empfänger allogener Nierentransplantationen rechtfertigen zur Gänze ihren Einsatz
in der Transplantalogie, wo – wie die herausragendsten Experten auf dem Gebiet der
Infektionen im transplantologischen Klinikalltag – bakterielle Infektionen eine immer
größere Herausforderung darstellen. (34).
Wie sieht nun die Zukunft der Phagenforschung sowie der experimentellen Phagentherapie aus?
Wir haben keine Gesellschaft gegründet, keine Stiftung, wir verfügen über keinerlei
organisatorische, rechtliche und vor allem finanzielle Unterstützung seitens Industrie und
Wirtschaft – umgekehrt, unsere Tätigkeit kann als gewaltige Herausforderung für diese
Welt betrachtet werden. Wir glauben jedoch, dass unsere Tätigkeit im gesellschaftlichen
Interesse sowie der polnischen Wissenschaft, insbesondere der Medizin (die in Polen in
großem Ausmaß zu einem Kombinat klinischer Forschung geführt hat, deren Grundsätze
in der Rzeczpospolita (26.06.2006) beschrieben wurden) geschieht. Die gegenwärtige
140
ANDRZEJ GÓRSKI, JAN BORYSOWSKI
Situation stellt für die derzeitige Führungsspitze der Medizin in Polen5 sowie für die
akademischen und wissenschaftlichen Kreise eine ernsthafte Herausforderung dar, die
eben dieselben gestalten. Möge das Beispiel und die Geschichte der Phagenforschung
dazu veranlassen, Schlussforderungen im Einklang mit den gesellschaftlichen Interessen
zu ziehen. K.Gwarek schrieb in der „MDW” recht treffend so: Der Stellenwert Polens
wird Jahr für Jahr kleiner. Und er ergänzt: Es ist dies mit Sicherheit die Folge der zu
geringen Mittel, die der polnischen Wissenschaft gewidmet sind. (35). Mit Sicherheit
verhält es sich so, aber mit Sicherheit nicht nur deswegen.
Interessenskonflikt: Die Autoren teilen mit, dass keinerlei Verbindungen zur pharmazeutischen Industrie sowie zum kommerziellen Sektor besteht (in Form von Honoraren,
Geschenken, Einladung zu Reisen sowie Sponsoring wissenschaftlicher Forschung etc.)
Andrzej Górski ist Mitbegründer der Patentanmeldung der Methode der Aufbereitung
der Staphyllokokkenphagen (daraus sowie im Umfeld der von ihm durchgeführten Forschungsarbeiten erhielt er keinerlei Stipendien, keinerlei Mitteln aus der statutarischen
Tätigkeit der AM-Universität, aus Eigenmitteln sowie aus der Therapie der Patienten mit
Phagen).
Übersetzung: Irmgard Nöbauer
Konsultation: Univ.-Prof. Dr. Jozefa Gadek-Wesierski
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Andrzej Górski ist Facharzt für Innere Medizin mit dem Spezialgebiet klinische Immunologie. Seine Forschungsschwerpunkte gelten der Immunologie, Transplantologie, der
Phagen sowie der Bioethik. Seit 1984 ist er Leiter der Abteilung für Klinische Immunologie des Instituts für Transplantalogie der Medizinischen Akademie in Warschau. Er ist
einer der Vizepräsidenten der Polnischen Akdemie der Wissenschaften
Jan Borysowski studierte Medizin an der Medizinischen Akademie Warschau (heute
Universität für Medizin Warschau) und schloss sein Studium im Jahr 2003 ab. Er ist
seit dem Jahr 2005 Assistent am Institut für Klinische Immunologie der Universität für
Medizin Warschau. Er ist Autor beziehungsweise Mitautor mehrerer Publikationen, die
in Zeitschriften und selbstständigen Publikationen erschienen. Sein Spezialgebiet ist der
Einfluss von Bakteriophagen auf das Immunsystem und die Phagentherapie. Zurzeit arbeitet er an seiner Dissertation über den Einfluss von Bakteriophagen auf Phagozyten.
FORSCHUNGSPROJEKTE
Waldemar Bukowski
Die Handschriftliche Topographische Karte des
Königreiches Galizien und Lodomerien – die so
genannte Miegkarte – der Jahre 1775 – 1783 in den
Sammlungen des Kriegsarchivs in Wien sowie das
Projekt ihrer Herausgabe
1.Im Kriegsarchiv in Wien wird unter der Signatur B IX a 390 eine handschriftliche,
aus 413 farbigen Blättern im Maßstab 1:28 800 bestehende militärtopographische Karte
des Königreiches Galizien und Lodomerien aus den Jahren 1775-1783 aufbewahrt. Sie
kartographiert jene Territorien Polens, die infolge der ersten Teilung Polens im Jahre 1772 an Österreich angeschlossen wurden (Teile der Woiewodschaften von Krakau
und Sandomierz südlich der Weichsel, die russische Woiewodschaft sowie jene von
Bełsk, Teile der Woiewodschaften Podoliens und Wołyń) und unter der Bezeichnung
Galizien und Lodomerien in dieser Aufteilung bis zum Jahre 1918 bestehen blieben,
wohingegen sie nach der Wiedererlangung der Unabhängigkeit Polens in den Bestand
der Woiewodschaften der Republik Polen eingegliedert wurden (Woiewodschaften
von Krakau, Lemberg, Tarnopol und Stanisławów). Zurzeit bilden die angesprochenen
Territorien beinahe die Hälfte des Territoriums der Republik Polen (Woiewodschaften
von Kleinpolen und Karpatenvorland - 186 Blätter), zur größeren Hälfte jedoch das
Territorium der Republik der Ukraine (Landkreise von Użhorod, Lwów, Tarnopol und
Iwanofrankovsk - 227 Blätter). Der Karte wurden auch sechs umfangreiche Bände mit
Beschreibungen des in 4o kartographierten Gebietes und zwei Bände mit topometrischen Berechnungen angefügt.
Die Karte war Teil eines größeren kartographischen Projektes, das Mitte des 18. Jahrhundert von Österreich begonnen wurde und Ende des 18. Jahrhundertes beendet wurde. Es stellt kartographisch alle Länder dar, die Teil der multinationalen Habsburgermonarchie wurden sowie auch jene Länder, die von den Herrschern dieser Dynastie regiert
wurden. In den vergangenen Jahren haben einige dieser Länder, die heute unabhängige
und souveräne Staaten sind (Slowenien, Kroatien, Slowakei, Ungarn), diese Edition entweder bereits abgeschlossen oder sind gerade dabei, die kartographischen Karten, die
ihre historischen Gebiete umfassen, herauszugeben. Zurzeit ist der polnische Teil dieses
Projektes, die genannte Miegkarte einschließlich der Beschreibungen, Gegenstand der
geplanten Edition, und schließt sich damit einem internationalen Vorhaben an.
2. Die österreichische Miegkarte, die einen integralen Bestandteil einer größeren
Landaufnahme bildet, ist heute eines der herausragendsten Denkmäler des europäischen
Kulturerbes und stellt für die polnische Wissenschaft eine äußerst wertvolle und in ihrem
Umfang einzigartige Quelle für die Siedlungsgeschichte, die Topomastik sowie für die
146
WALDEMAR BUKOWSKI
Rekonstruktion der Natur-, Kultur- und Wirtschaftslandschaft der südlichen und südöstlichen Gebiete des früheren Polens dar.
Die lokale Kartographie der Epoche vor dem endgültigen Untergang des Landes
schuf nämlich kein detailliertes und genaues kartographisches Abbild der polnischen
Gebiete. Es besteht jedoch kein Zweifel daran, dass - wäre es am Ende des 18. Jhdt.
nicht zur Katastrophe der polnischen Teilungen gekommen - am Ende dieses Jahrhunderts oder spätestens zu Beginn des 19. Jahrhunderts moderne topographische Karten
in entsprechendem Maßstab, auf Triangulation beruhend, erstellt worden wären. Davon
mögen die Leistungen der polnischen Kartographie dieser Epoche zeugen, die zur Zeit
der Herrschaft von König Stanisław August hervorragende Leistungen hervorbrachte,
wenn es um großmaßstäbliche Generalkarten geht. Zu den interessantesten und besten
Karten gehören vier Mehrblätter-Karten: die „Polonia“ von Karl de Perthees aus dem
Jahre 1770 im Maßstab 1 : 934 0001, die „Carte generale et nouvelle de toutte la Pologne
du Grand Duché de Lithuanie et des Pais limitrofes” von Bartłomiej Folin im Maßstab
1 : 1 235 000 in vier Blättern, herausgegeben im Jahre 1770 in Warschau, die „Regni
Poloniae, Magni Ducatus Lithuaniae [...] Nova Mappa Geographica” im Maßstab 1 : 675
000 von Jakub Kanter, herausgegeben im Jahr 1771 in Königsberg in 17 Blättern2 und
die „Carte de la Pologne” unter der Autorenschaft von Giovanni Rizzi-Zannoni, ausgearbeitet auf Grundlage jener Materialien, die von Fürst Jozef Aleksander Jabłonowski,
dem Woiwoden von Novogródek, gesammelt wurden, und im Maßstab 1: 690 000 in 24
Blättern in Paris im Jahr 1772 herausgegeben wurde.
Diese Karten waren jedoch nicht für administrative und militärische Zwecke geeignet.
Sie waren ungenau - sie wurden mit Hilfe einer Bussole und nach Augenmaß an (à la vue)
erstellt – und beinhalteten viele Fehler. Man musste daher detaillierte Karten in größerem
Maßstab, auf Triangulationsmessungen beruhend, ausarbeiten. Erwähnenswert sind zwei
uns bekannte interessante Projekte dieser Zeit. Im Jahre 1782 übermittelte der hervorragende preußische Kartograph Karl von Schmettau dem König einen Vorschlag, im Laufe
von 15 Jahren eine Aufnahme von ganz Polen im Maßstab 1:30 000 oder 1:60 000 zu
erstellen 3. Er hatte nicht vor, die Triangulationmethode zu verwenden, sondern Bussole
und Messketten. Das zweite Projekt reichte der Astronom und Professor der Krakauer
Akademie Jan Śniadecki im Jahr 1790 ein. Das Projekt seiner Karte, das auf Triangulation
und Ausgleichungsrechnung sowie auf detaillierten Geländeaufnahmen beruhte, knüpfte
an die besten europäischen Vorbilder an. Diese Projekte wurden nie verwirklicht.
Wirklichkeit wurde jedoch das Projekt des hervorragenden königlichen Kartographen
Karol de Perthées, Schöpfer einer Reihe von Karten Polens. Er sollte für die Bedürfnisse des Königs die Territorien Polens nach der ersten Teilung kartographieren. Perthées
wandte nicht die Triangulationsmethode an, die teuer und unter polnischen Bedingungen
1
J. Madej: „Polonia ... 1770” Karola de Perthéesa na tle osiemnastowiecznej kartografii polskiej i krajów
ościennych, Warszawa 1987 + Mappe mit Karten. (Zabytki Polskiej Kartografii. Z. 6).
2
L. Kublin: „Regni Poloniae...” Jakuba Kantera z 1770 r., Warszawa 1980 + Mappe mit Karten. (Zabytki Polskiej
Kartografii. Z.2).
3
K. Buczek: Prace kartografów pruskich w Polsce za czasów króla Stanisława Augusta, Prace Komisji Atlasu
Historycznego Polski, z. 3, Kraków 1935, S. 266 f.
DIE HANDSCHRIFTLICHE TOPOGRAPHISCHE KARTE...
147
nicht realisierbar war, stützte sich jedoch auf Beschreibungen der Pfarren, die aufgrund
zweier geographischer Untersuchungen erstellt wurden und in den Jahren 1783 und
1784 im Auftrag des Bruders des Königs - Primas Michał Poniatowski - durchgeführt
wurden. Diese Erhebungen umfassten die westlichen Diözesen der Republik Polen (bis
zum Bug) und ermöglichten es dem Schöpfer, außergewöhnlich detaillierte Karten zu
erstellen, ohne dabei der Durchführung von Geländeaufnahmen zu bedürfen. Bis zum
Jahr 1795 arbeitete Perthées Karten der westpolnischen Woiewodschaften (Krakau,
Sandomierz, Lublin, Płock und Rawa) im Maßstab 1:225 000 aus. Eine Ergänzung dazu
ist eine 12 Bände umfassende Beschreibung mit dem Titel „Geographisch-statistische Beschreibung der Pfarren des Königreiches Polens“ (zurzeit im Archiv in Kiew),
die 2278 Pfarr- und Dekanatskarten sowie Informationen über einige Pfarren enthält.
Obwohl die Karten von Perthees im Vergleich zu den bisherigen Karten einen großen
Fortschritt darstellten, konnten sie sich mit den topographischen Karten, die auf der
Triangulationsmethode beruhten, nicht messen. Diese Arbeiten führten bereits die
Besatzer durch. Bevor wir auf die ersten österreichischen Leistungen auf diesem Gebiet
eingehen, lohnt es sich, zum Vergleich an die Landaufnahmen jener Gebiete Polens
zu erinnern, die von den beiden weiteren Besatzern, Preußen und Russland, erstellt
wurden.
3. Die erste preußische Karte Polens, „Regni Poloniae, Magni Ducatus Lithuaniae
Nova Mappa Geographica concessu Borussorum Regis”, wurde von Philip Theodor von
Pfau im Maßstab 1: 525 000 in 25 Blättern in den Jahren 1771 bis 1772 in Berlin herausgegeben. Sie wurde in Anlehnung an die polnischen Arbeiten Jabłonowskis erstellt.
Nach der ersten Teilung Polens wurde in den Jahren 1772 - 1773 im Maßstab 1: 87 500
eine militärische Landaufnahme von Großpolen erstellt. In den Jahren 1781 - 1783 erstellte F. C. Wiebeking eine Aufnahme vom Netzegebiet im Maßstab 1: 25 000 in 48
Sektionen. Im Jahr 1790 wurden Westpreußen und der Netzedistrikt auf einer 11-BlätterKarte im Maßstab 1: 125 000 kartographiert. In den Jahren 1791 - 1795 erstellte Dawid
Gilly eine 7-Blätter-Karte der gleichen Gebiete im Maßstab 1: 180 000 (sie wurde nie
veröffentlicht). Die nach der Zweiten Teilung besetzten Gebiete, die als Südpreußen bezeichnet wurden, kartographierte Gilly auf einer 89-Blätter Karte im Maßstab 1: 50 000
(sie wurde in Berlin in den Jahren 1802/3 veröffentlicht). Nach der Dritten Teilung in
den Jahren 1796 -1802 wurde das verbliebene Gebiet des so genannten Südpreußen von
Johann Gottlieb von Brodowski im Maßstab 1:28 368 sowie 1:56 736 auf 42 Blättern
kartographiert. Nach 1796 wurde unter der Leitung von F. L. Schrotter und F. B. Engelhardt eine neue ausgezeichnete 145-Blätter Karte im Maßstab 1:50 000 erstellt, die die
Gebiete der Ersten Teilung und des ehemaligen Fürstentum Preußens darstellte. Diese
Karte stützte sich auf die Triangulationsmessungen von J. K. Textor (publiziert in der
Verkleinerung von 1:150 000 in den Jahren 1802-1806)4. Das Territorium des so genannten Neuostpreußens kartographierten General Levin von Geusau und Major von
4
E. Jäger: Die Schroettersche Landesaufnahme von Ost- und Westpreussen (1796-1802). Entstehungsgeschichte,
Herstellung und Vertrieb der Karte, Zeitschrift f. Ostforschung, 30, 1981, H. 3, S. 359-389; Ders., Prussia-Karten 15421810. Geschichte der Kartographischen Darstellung Ostpreussens vom 16. bis zum 19. Jhs. Entstehung der KartenKosten-Vertrieb. Bibliographischer Katalog, Weissenhorn 1982, S. 195-226.
148
WALDEMAR BUKOWSKI
Stein auf einer 122-Blätter-Karte im Maßstab 1:33 300 (publiziert im Jahr 1807 in 13
Sektionen im Maßstab 1:155 000)5.
Russlands Interesse für die Kartographie der polnischen Gebiete lässt sich bis in die
Sechzigerjahre des 18. Jahrhunderts zurückdatieren. Im Jahr 1769 wurde in Petersburg
eine 2-Blätter- Karte Polens von Jan Truskot im Maßstab 1:730 000 und eine Karte des
polnisch-türkischen Grenzgebietes von J. F. Schmidt veröffentlicht. Die russische Kartographie jedoch, die sich damals auf sehr niedrigem Niveau befand (die Triangulationsmethode wurde nicht angewandt), war - trotz Ausarbeitung zahlreicher Karten der im
Rahmen der drei Teilungen geraubten Gebiete Polens - zum damaligen Zeitpunkt nicht
in der Lage, kartographische Werke von solchem Range wie jenem der österreichischen
oder der preußischen Karten zu erstellen. Erst nach 1816 beschloss man, den gesamten westlichen Teil des Kaiserreiches mit einem Triangulationsnetz abzudecken. In den
Jahren 1819 - 1829 wurde eine 658-Blätter-Karte des Gouvernements von Wilna im
Maßstab 1:21 000 erstellt, man kartographierte auch andere Gouvernements: jenes von
Hrodna sowie jenes von Minsk. Seit 1822 wurden die Arbeiten an der Kartographie
des Gebietes des Königreichs Polen, die auf Triangulationsmessungen beruhten, von der
Quartiermeistereinheit des polnischen Heeres durchgeführt. In der Folge erschien die
herausragende 60 Sektionen umfassende „Topograficzna Karta Królestwa Polskiego“ im
Maßstab 1: 42 000, die auch als Quartiermeisterkarte bezeichnet wurde. Aufgenommen
im Jahr 1831 nach dem von Russland herbeigeführten Untergang Kongresspolens wurde
die Karte von diesem im Jahr 1843 beendet und im Jahr 1839 herausgegeben6. Heute
ist die Quartiermeisterkarte eine der besten kartographischen Quellen für Forschungen
bezüglich der Besiedlung dieser Gebiete.
4. Die kartographischen Arbeiten jener Gebiete Polens, die unter österreichischer Besatzung verblieben, bilden einen integralen Bestandteil eines größeren Projektes, das
sich mit der Kartographie der zu Österreich gehörenden Länder befasste. Dieses Projekt
entstand als Resultat der Erfahrungen des 7-jährigen Krieges (1756-1763), in dessen
Verlauf die österreichische Armee über keine entsprechende topographische Karte jener
Territorien verfügte, auf denen der Krieg stattfand. Angesichts dessen ordnete Kaiserin
Maria Theresia auf Antrag von Feldmarschall L. Daun an, eine topographische Aufnahme zu erstellen, mit der die Quartiermeistereinheit des Generalstabs betraut wurde7.
Bereits in den Jahren 1763-1764 wurde jener Teil Schlesiens, der zu Österreich gehörte
auf 40 farbigen Blättern, der „Kriegs Charte” im Maßstab 1:28 800 kartographiert. Zu
B. Olszewicz: Polska kartografia wojskowa, S. 58-61; Buczek, Dzieje kartografii, S. 99.
B. Krassowski: Topograficzna Karta Królestwa Polskiego (1822-1843), Warszawa 1978 + Mappe mit
Karten.(Zabytki Polskiej Kartografii. Z. 1); Olszewicz, Polska kartografia wojskowa, S. 61-64, 119 f.
7
J. Paldus: Die militärischen Aufnahmen im Bereiche der Habsburgischen Länder aus der Zeit Kaiser Josephs
II, Ausgeführt durch den k.k Generalquartiermeisterstab in den Jahren 1763-1785. Ein Beitrag zur historischen
Landeskunde, Wien 1919; J.Dörflinger, Die Landesaufnahmen des österreichischen Generalquartiermeisterstabes
1749- 1854, Karlsruhe 1984 (Fachhochschule Karlsruhe. Karlsruher Geowissenschaftliche Schriften. Reihe C: Alte
Karten. Bd. 2); Ders., Die Österreichische Kartographie im 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts unter besonderer Berücksichtigung der Privatkartographie zwischen 1780 und 1820. 1. Band: Österreichische Karten des 18.
Jahrhunderts, Wien 1994, S. 63- 65; A. Konias, Kartografia topograficzna Śląska Cieszyńskiego i zaboru austriackiego od II połowy XVIII w. do początku XX w., Katowice 2000.
5
6
DIE HANDSCHRIFTLICHE TOPOGRAPHISCHE KARTE...
149
dieser Karte wurde ergänzend für die Bedürfnisse der Armee ein Ortsverzeichnis erstellt.
Im Jahr 1780 wurden 30 Blätter berichtigt 8. Ab 1765 übernahm der Sohn von Maria
Theresia, Kaiser Joseph II., die Obhut über dieses Projekt. Bis zum Jahr 1787 wurden
Karten des größten Teils der Monarchie im Maßstab 1:28 800 ausgearbeitet. Schlussendlich wurde im Laufe eines Vierteljahrhunderts ein Territorium von 570 000 km2 auf 3500
(darunter 413 von Galizien) farbigen Blättern von Karten im Format von 24x16 Zoll
(70x45 cm) mit zahlreichen Bänden mit Gebietsbeschreibungen im Hinblick auf die
Bedürfnisse des Militärs kartographiert. Diese Karten wurden in Form einer Handschrift
im Hofkriegsrätlichen Archiv aufbewahrt und waren ausschließlich mit Einverständnis
des Kaisers zugänglich. Diese erste militärische Aufnahme der Monarchie trägt die Bezeichnung Maria-Theresianisch-Josephinische oder Josephinische Aufnahme.
Österreichs Interesse für die Kartographie jener Gebiete, die zu Polen gehörten, geht
bereits auf die Zeit vor der Besatzung zurück. Im Jahr 1769 wurde im Zusammenhang
mit den Kämpfen der Konföderaten von Bar mit der russischen Armee ein Kordon in
der polnischen Zips errichtet - mit der Absicht der Angliederung der Starostei Zips an
Österreich. Zu diesem Zeitpunkt erstellte Oberst J. T. Seeger Dürrenberg eine Aufnahme
der Polnisch-Zipser Grenze und eines Teils von Zips mit Lublau und 13 Zipser Städten
im Maßstab von 1: 14 400 in 78 Sektionen. Im darauf folgenden Jahr verlegte die österreichische Armee den Kordon in den Norden und annektierte die Starosteien Nowy Targ,
Czorsztyń und Sandez mit 7 Städten und 275 Dörfern. Die Aufnahme dieser Territorien
im Maßstab 1 : 28 800 wurden in den Jahren 1770-1771 durchgeführt 9. Im Jahr 1772
wurden polnische Gebiete in einer Größe von etwa 81 900 km2 von Österreich besetzt.
Sie wurden als Königreich Galizien und Lodomerien bezeichnet. Mangels detaillierten
topographischen Kartenmaterials dieser Gebiete wurden in den Jahren 1772 und 1776
Demarkationskarten mit dem Ziel einer Grenzregelung im Gebiet zwischen Weichsel
und Bug erstellt. In den Jahren 1772 - 1774 wurde unter der Leitung von Józef Liesganig auch eine Messtischaufnahme der besetzten Gebiete im Maßstab 1: 72 000 erstellt,
die in Form einer Karte im Maßstab von 1:288 000 im Jahr 1790 veröffentlicht wurde.
Es war dies eine so genannte politische Karte, die administrativen Zwecken diente, sie
enthielt keine Angaben über Geländebeschaffenheit und Geländedeckung10. Mit der Leitung der weiteren Arbeiten wurde im Jahr 1775 Oberst J. T. Seeger von Dürrenberg
betraut. Sie dauerten, mit einer kurzen Unterbrechung während der Zeit des Krieges um
die bayrische Erbfolge in den Jahren 1778-1779, bis zum Jahre 1783 an. Im Jahre 1779
übernahm Oberstleutnant F. Mieg die Leitung, er führte den überwiegenden Teil der
8
A. Konias: Pierwsza mapa topograficzna Śląska Cieszyńskiego z II połowy XVIII w., in: Górnośląsko-ostrawski region przemysłowy: wybrane problemy ochrony i kształtowania środowiska. Materiały sympozjum polskoczeskiego, Sosnowiec, 6-7 maja 1999 r., Sosnowiec 1999, S. 112-119. Diese Karte befindet sich unter der Signatur
B IX a 175 im Kriegsarchiv.
9
A. Diveky: Dzieje przyłączenia miast spiskich do Węgier, Zamość 1921; J. Szaflarski, Kilka uwag w sprawie
źródeł kartograficznych do mapy historycznej Spisza, Prace Komisji Atlasu Historycznego Polski, z. 3, Kraków
1935, S. 323-329; Konias, Kartografia, S. 50.
10
S. Pietkiewicz: Austriackie topograficzne mapy Tatr i Przedtatrza od końca XVIII do końca XIX stulecia i
ich dokładność, Prace i studia Instytutu Geografii UW, z. 16: V czesko-polskie seminarium geograficzne, Warszawa
1975, S. 95.
150
WALDEMAR BUKOWSKI
Arbeiten durch, von seinem Namen leitet die gesamte Karte ihren Namen ab. Während
der Endphase der Arbeiten verstarb Oberstleutnant Mieg im Jahr 1783, die Leitung übernahm Major Waldau, der das Projekt noch im gleichen Jahr abschloss11.
Nach der Beendigung der Arbeiten an der josephinischen Karte begann man mit den
Arbeiten an den weiteren von Österreich annektierten Territorien, darunter auch der polnischen Gebiete. Als Ergebnis der Dritten Teilung verleibte sich Österreich die Territorien nördlich der Weichsel bis zur Gabelung der Flüsse Pilica und Weichsel ein, also die
verbliebenen Teile der Woiewodschaften von Krakau und Sandomierz mit einer Fläche
von 50 500 km2. Sie wurden als Westgalizien beziehungsweise als Neugalizien bezeichnet. In den Jahren 1801-1804 leitete Oberst A. Mayer von Heldensfeld die militärische Landaufnahme dieses Gebietes. Die von ihm ausgearbeitete Karte besteht aus
275 farbigen Blättern im Maßstab 1: 28 800 sowie 8 Bänden mit Beschreibungen. Zurzeit wird sie im Kriegsarchiv unter der Signatur B IX a 100 aufbewahrt und soll in Zukunft ebenfalls Gegenstand der Edition sein12. Im 19. Jahrhundert wurden die kartographischen Untersuchungen fortgesetzt. Im Jahr 1806 ordnete Kaiser Franz II. an, eine
zweite topographische Karte zu erstellen (die so genannte Franziszeische Aufnahme),
deren Grundlage einheitliche in den einzelnen Ländern der Monarchie in den Jahren
1806-1862 durchgeführte Triangulationsmessungen bildeten. Diese Karte entstand auch
im Maßstab 1: 28 800. Im Jahr 1869 ordnete Kaiser Franz Joseph I. an, eine dritte militärische Aufnahme der Monarchie (die so genannte Franzisko-Josephinische Aufnahme)
im Maßstab 1:75 000 zu erstellen. Sie wurde zur Grundlage von topographischen Karten, die bis zum Ende des I. Weltkrieges in Verwendung waren13.
5. Die so genannte Miegkarte besteht aus 413 farbigen Sektionen sowie der gleichen
Anzahl an Kopien. Das gesamte Territorium Galiziens wurde in 29 Felder nach Längengraden aufgeteilt, nummeriert von I bis XXIX. Die einzelnen Sektionen der Karte
wurden in den darauf folgenden Jahren ausgearbeitet:
a) das Grenzgebiet mit Preußisch-Schlesien in den Jahren 1775-1778 - 5 Sektionen;
b) der Bezirk Sandez wurde in den Jahren 1770-1771 von Oberst Seeger in 28 Sektionen ausgearbeitet und anschließend im Jahr 1783 von Oberleutnant Fischer neu bearbeitet - 20 Sektionen;
c) das obere Flussgebiet der Dnjestr wurde 1781 von Oberstleutnant Neu ausgearbeitet - 22 Sektionen;
d) der übrige Teil von Galizien wurde von Oberstleutnant Mieg in den Jahren 17791783 ausarbeitet - 366 Sektionen.
11
J. Paldus: Die Einverleibung Galiziens und der Bukowina in die österreichische Monarchie im Jahre 1772
und dia Landesaufnahme durch den k.k Generalquartiermeisterstab 1775-1783, Mitteilungen der Geographische
Gesellschaft in Wien, 59, 1916, Nr. 1, S. 417-455; Ders., op. cit., S. 46-53.
12
L. Sawicki: Pułkownika Antoniego barona Mayera von Heldensfelda zdjęcia topograficzne w Polsce w latach 1801- 1804. Obristen Anton Freiherr von Heldensfeld Topographische Aufnahme Westgaliziens in den Jahren
1801-1804. (Prace Instytutu Geograficznego UJ. 10), Kraków 1928 (in deutscher Sprache); Konias, Kartografia, S.
53-54
13
Konias, Kartografia, S. 19 f.
DIE HANDSCHRIFTLICHE TOPOGRAPHISCHE KARTE...
151
Die Kartenblätter/Kartenbögen haben eine Gesamtgröße von 70 x 45 cm, während
eine Zeichnung ein Format 63,2 x 42,1 cm hat. Jedes Blatt umfasst ein Gebiet von 220
km2. An den Rändern auf der rechten Seite befindet sich ein alphabetisches Verzeichnis
jener Orte, die auf dem Blatt berücksichtigt sind, auf der linken Seite wiederum befindet sich die Sektionsnummer. Die Karte hat kein Gradnetz. Die Genauigkeit der Karte
ist ziemlich groß und entspricht dem heutigen Stand der Vermessungskunde. Heutige
Vermessungen zeigen, dass die dicht besiedelten Gebiete die höchste (Fehler 2,2% in
der Entfernung, also etwa 90 m), die Tatrzański-Gebiete dagegen die niedrigste Genauigkeit (Fehler 10% in der Entfernung, also ca. 100-160 m) aufweisen. Die Karte ist
hinsichtlich ihres Inhalts äußerst reichhaltig. Laut Instruktion sollen auf der Zeichnung
auch alle Berge und Erhebungen samt ihren Abhängen, Tälern, Ortschaften mit einzelnen Gebäuden, Straßen, Bundesstraßen, Landstraßen, Fußwegen, Quellen, Brunnen, Bächen, Kanäle etc. wiedergegeben werden. Auch die Siedlungen wurden im Grundriss
unter Wahrung der Lage der Gebäude, der Form des Marktplatzes, der Hauptstraßen und
der bedeutenderen Gebäuden (Rathaus, Kirche) dargestellt. Mit Aufschriften bezeichnet
wurden Schlösser, Klöster (die Kirchen wurden als gewöhnliche Gebäude, versehen mit
einem Kreuz, dargestellt), Herrenhäuser, Herrenhöfe, Gaststätten, Weiler, Heuschuppen
und andere Gebäude, die für die Armee von Bedeutung waren. Man unterschied auch
Wirtschaftsobjekte: Mühlen und deren verschiedene Arten, Ziegeleien, Hütten, Bergwerke, Speicher etc. Ähnlich detailliert zeichnete man den Verlauf der Wege (Straßen,
Landstraßen, örtliche Straßen, Feldwege, Waldweg, Reitwege und Fußwege), das Flussnetz mit Altarmen, Mäandern und Übergängen, Quellen und Brunnen. Die Wälder wurden mit einem schwarzen Pinsel gezeichnet, mit den natürlichen Silhouetten der Bäume,
jedoch ohne die einzelnen Arten zu unterscheiden. Man unterschied auch Moore und
Sumpfgebiete, Wiesen, Parkanlagen, Gärten und Obstgärten. Gekennzeichnet sind nur
die Landesgrenzen innerhalb der Monarchie sowie die Grenzen zu den Nachbarländern:
Polen, Russland und Preußen. Die Geländebeschaffenheit wurde mit einem Strichsystem von unterschiedlicher Dichte gekennzeichnet. Die Ortsnamen wurden in polnischer
Sprache angegeben, jedoch zumeist in grammatikalisch unrichtiger Form (z.B. Kenty,
Krzanow). Die größeren Städte haben nur deutsche Bezeichnungen (z.B. Krakau), einige
haben dagegen zwei Bezeichnungen - polnische und deutsche, oder sogar drei Bezeichnungen (z.B. Lemberg, Leopol, Lwow). Die Geländeobjekte werden in deutscher Sprache beschrieben. Die Karte beinhaltet keine Erklärungen der verwendeten Zeichen, die
handschriftlichen Erklärungen zu den josephinischen Karten des Jahres 1804 sind aber
erhalten. Sie wurden von L. Sawicki systematisiert und veröffentlicht 14.
Der Karte sind sechs Bände mit topographischen Beschreibungen angegliedert. Aus
dem Jahr 1790 stammen ein Band mit einem alphabetischen Verzeichnis aller Ortschaften sowie ein Band, der die Rechtschreibung der Ortsnamen, die in den Sektionen auftreten, richtig stellt. Die Beschreibungen wurden in den Heften für die aufeinander folgenden Felder (von I bis XXIX) und den darin enthaltenen Kartensektionen bearbeitet. Jedes
Heft enthält ein Ortsverzeichnis einschließlich der Bestimmung der jeweiligen Lage auf
14
Konias: Kartografia, S. 57-68; Sawicki, op. cit.
152
WALDEMAR BUKOWSKI
der Karte. Das Beschreibungsblatt der Größe von 50x38 cm ist in 11 Rubriken aufgeteilt,
die folgende Dateien beinhalten: Name der Ortschaft, Sektionsnummer, Nachbarorte,
die Entfernung von den Nachbarorten in Marschstunden, kompakte Gebäude (Schlösser,
Kirchen, gemauerte Häuser etc.), Gewässer (Bäche, Flüsse, Brücken, Flussübergänge
etc.), Wälder, Wiesen und Moore, Straßen, Berge und schließlich allgemeine Bemerkungen, die charakteristische Eigenschaften des jeweiligen Ortes bestimmen. Die Hefte
wurden in Bände gebunden.
6. Das in den Karten und in den Beschreibungen enthaltene Material ist von außergewöhnlichem Informationsreichtum, der nur mit dem Inhalt der handschriftlichen
Beschreibungen des josephinischen, im Jahr beendeten 1787 Katasters verglichen werden kann, zu dem jedoch keine Katasterkarten angefertigt wurden (der Kataster befindet
sich zur Gänze in Lemberg und ist schwer zugänglich). Die Karte stellt somit eine außergewöhnlich wertvolle, in ihrem Umfang einzigartige sowie auch vertrauenswürdige
Quelle für die Kenntnis der Kultur- und Naturlandschaft des damaligen Polens dar. Sie
gibt nämlich die Landschaft vor der Zeit der intensiven Industrialisierung wieder, die zu
Beginn des 19. Jahrhunderts aufgrund der Abforstung der Wälder, der Veränderung der
Flussbetten und der Urbanisierung ihre ursprüngliche Form veränderte und verwischte.
Da die I. Polnische Republik nicht in der Lage war, eine eigene topographische Aufnahme in ähnlichem Ausmaß zu realisieren, stellt die Miegkarte eine für die polnische
Wissenschaft, aber auch für die Kultur einmaliges Kulturdenkmal dar, das es ermöglicht,
die geographischen Bedingungen zu rekonstruieren, unter denen unsere Vorfahren lebten, bisweilen sogar bis in die Zeit des Mittelalters. Der gesamte Reichtum an Informationen bleibt jedoch gleichsam verborgen, gleichzeitig erschweren die Schwierigkeiten
des Zugangs der polnischen Forscher zu diesem Werk, deren Umfang sowie Hindernisse
paläographischer, identifikatorischer Natur etc. Natur deren Erfassung, von den hohen
Recherchekosten im Wiener Archiv für Photographie und den Publikationsrechten von
Teilen der Karten gar nicht erst zu reden. Die Miegkarte wird von den Wissenschaftlern
bedauerlicherweise weiterhin in äußerst schlechter fotographischer Qualität und ohne
Einblick in die handschriftlichen Beschreibungen, die darüber hinaus in einer paläographisch schwierigen Kanzleivariante der Schwabacher erstellt wurden, verwendet. Einige Fragmente dieser Karte (ohne Beschreibungen) befinden sich in Polen in drei Institutionen (Nationalbibliothek in Warschau, Arbeitsstelle für Historisch-Geographisches
Lexikon des Historischen Instituts der Polnischen Akademie der Wissenschaften in
Krakau, Polytechnikum Krakau) in Form von Mikrofilmen bzw. kleinformatigen, fotographischen Schwarz-Weiß-Abzügen. Jahr für Jahr sind sie Gegenstand des Interesses
für eine Vielzahl von Forschern, für Historiker der Siedlungsgeschichte sowie jene der
Kartographie, für Geographen, Denkmälerschützer und Vertreter weiterer wissenschaftlicher Disziplinen, die die Natur- bzw. Kulturlandschaft der Territorien des ehemaligen
Galiziens wiedergeben, und vor allem für Regionalforscher, die die Geschichte ihrer
Regionen erforschen. Nur eine kritische Edition des Werkes einschließlich einer polnischer Übersetzung der sechs Bände mit Beschreibungen erlaubt es, die Karten effektiver als bisher zu nutzen und den wissenschaftlichen Untersuchungen in den oben erwähnten Gebieten einen Impuls zu verleihen.
DIE HANDSCHRIFTLICHE TOPOGRAPHISCHE KARTE...
153
7. In der europäischen Historiographie wurde bereits das Postulat einer Veröffentlichung der topographischen österreichischen Karten in Form einer Faksimileausgabe
einschließlich einer kritischen Edition der Beschreibungen in deutscher Sprache sowie
deren Übersetzung in die jeweiligen Landessprachen erhoben. Dieses Vorhaben wurde
als erstes in Slowenien realisiert. In den Jahren 1995 - 2001 gab die Forschungsgruppe
von Prof. Vincenc Rajsp in Ljubljana 8 Kartenbände inklusive Beschreibungen heraus
(in jeder Kartonschachtel befinden sich 15-20 Kartenbündel einschließlich der dazugehörenden Beschreibungen). Die Ausgabe ist zweisprachig, d.h. der Quellentext ist
deutsch mit einer parallelen slowenischen Übersetzung15. Ein größeres Forschungsvorhaben plante das Institut für die Geschichte Kroatiens (Hrwatski institut za powijest)
unter dem Ehrenschutz des Ministeriums für Wissenschaft und Technologie. Neben den
josephinischen Karten begann man, auch bilinguale militärische franziskanische Karten
aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in insgesamt 26 Bänden herauszugeben. Bisher wurden unter der Redaktion von Dr. Mirko Valentić 11 Bände in gleicher graphischer
Ausstattung und gleicher Textgliederung wie die Karte Sloweniens herausgegeben 16. Es
erschien auch eine Ausgabe der Karte, die das Territorium von Venedig umfasst, das von
Österreich aufgrund des Vertrages von Campo Formio (1797) besetzt wurde, und in den
Jahren 1801-1805 von Generalquartiermeister Anton von Zach ausgearbeitet wurde17.
Auch die Slowakische Akademie der Wissenschaften plant, eine Karte der heutigen Slowakei herauszugeben. Die Edition ist in der gleichen graphischen Gesalt und im gleichen
Format wie die slowenische und kroatische Edition geplant. Bisher wurde ein Probeheft
mit den Karten der bedeutendsten slowakischen Städte herausgegeben 18. Interesse an der
Miegkarte wird auch in der ukrainischen Wissenschaft deutlich19. Die Arbeiten an der
Herausgabe der Karte Kärntens in der Bearbeitung von Vincenc Rajsp dauern noch an.
In dieser Situation ist es bedeutsam, dass sich auch Polen in die Reihe jener Länder eingliedert, die die Herausgabeprojekte der topographischen österreichischen Karten vom
Ende des 18. Jahrhunderts realisieren oder erst dabei sind, sich für dieses Unternehmen
zu rüsten. Die Karte des ehemaligen Polens stellt nämlich einen der größeren Teile der
josephinischen Aufnahme dar. Beachtenswert ist der Umstand, dass die angesprochenen
Vorhaben, im Gegensatz zu Polen, in ein nationales Forschungsprogramm eingebettet
sind und von den jeweiligen Akademien der Wissenschaften realisiert werden.
15
Slovensko ozemlje na vojaškem zemljevidu iż druge polovice 18. stoletja. Sekcije 201-205, 212-215 (Vzorčni
zvezek. redil V. Rajsp, Ljubjana 1994; Slovenija na vojaškem zemljevidu 1763-1787. Josephinische Landesaufnahme
1763-1787 für das Gebiet der Republik Slovenien, Bd. 1-7, Ljubljana 1995-2001.
16
Hrvatska na tajnim zemljovidima 18. i 19 stoljéca, Sv. 1-11, pripremili A. Buczynski, M. Kruhek, M. Valentić,
I. Horbec, I. Jukić, Zagreb 1999-2008.
17
J.Dörflinger: Die Österreichische Kartographie im 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts unter besonderer
Berücksichtigung der Privatkartographie zwischen 1780 und 1820. 2. Band: Österreichische Karten des frühen 19.
Jahrhunderts, Wien 1988, S. 749-750; Kriegskarte 1798-1805. Il ducato di Venezia nella carta di Anton von Zach.
Das Herzogtum Venedig auf der Karte Anton von Zach, Bd. 1-2, Treviso-Pieve di Soligo 2005.
18
B. Klein: Vyzname mesta Slovenska na tajnych mapach 18 storocia, Bratislava 2003.
19
G. P. Petrišin: Karta von Miga jak džerelo do mistoznavstva Galičini, in: Kartografija ta istorija Ukraini. Zbirnik
naukovivh prac’, L’viv-Kiiv, Nju-Jork 2000, s. 54-79; Dies., „Karta F. von Miga“ (1779-1782rr.) jak džerelo do
mistoznavstva Galičini, L’viv 2006.
154
WALDEMAR BUKOWSKI
In der polnischen Historiographie wurde der große Wert der von den Besatzungsländern erstellten topographischen Karten seit Langem erkannt. Man sah aber ein, dass die
Veröffentlichung von Hunderten von Blättern die Möglichkeiten der polnischen Wissenschaft überschreitet und forderte deswegen, fotographische Abzüge in Originalgröße
zu sammeln1. Seit diesem Zeitpunkt ermöglichen aber der technische Fortschritt und
die polnischen Forschungen zur österreichischen Kartographie, kompetente Arbeiten an
der Edition der österreichischen topographischen Karten zu übernehmen. Ein Meilenstein in der polnischen Historiographie ist die ausführliche Monographie von Andrzej
Konias. Die geplante polnische Edition schließt sich einem internationalen Vorhaben
an (das voneinander unabhängig von der Unterstützung der Wissenschaftsministerien
und den Akademien der Wissenschaften der einzelnen Länder realisiert wird), wie es die
Herausgabe der josephinischen und franziskanischen Karten ist. Die o.g. slowenischen
und kroatischen Editionen geben in Bezug auf die inhaltliche Korrektheit sowie das editorische Niveau der Karte einen Standard vor. Die polnischen Herausgeber haben also
nicht vor, in diesem Bereich eigenständige Lösungen zu suchen. Es soll hervorgehoben
werden, dass die Edition des polnischen Teils der Karte ein Ereignis ohne Präzedenz
in der Historiographie und in der polnischen Kartographie ist (bisher wurde in Polen
kein kartographisches Projekt dieses Ranges realisiert), und dies betrifft sowohl Schwierigkeiten fachlich-inhaltlicher Natur, die damit verbundenen Kosten als auch die große
Nachfrage nach dieser Karte, nicht nur seitens der Wissenschaftler, sondern auch seitens der Regionalforscher und der Lokalregierungen. Summa summarum geht es um die
Druckaufbereitung von – einmal von den 413 Kartensektionen abgesehen - etwa 3500
Seiten deutschen Textes und der gleichen Seitenzahl von polnischen Übersetzungen des
Textes. Der ausgearbeitete Stoff wird in einer solchen Weise in einzelne Bände aufgeteilt,
dass es der Umfang jedes einzelnen Bandes dem Leser ermöglicht, die Karte ungehindert
zu benutzen. Man hat also ausgerechnet, dass das Ganze 23 - 25 Bände des Formats in
quarto enthält (jeder Band besteht aus 15 - 20 Kartenblätter, die im Format „in quarto“
gefaltet sind und aus einem Band, der die entsprechende Beschreibungen sowie einen
Index dazu enthält - diese sind in einer kartonierten Schachtel, deren graphische Ausstattung und Format der bereits bestehenden slowenischen und kroatischen Editionen
ähneln, verpackt).
Die Herausgebe der Miegkarte wird viele Jahre in Anspruch nehmen. In der ersten
Phase haben die Herausgeber vor, alle 6 Bände der Beschreibungen zu allen 413 Kartenblättern einzulesen und sie ins Polnische zu übersetzen. Anschließend werden digitale
Fotos der 200 Blätter (Felder I-XVIII) der Kartenoriginale erstellt, die Teschen-Schlesien bis Zamość im Norden und Jaworów im Süden umfassen, und die Publikationsrechte gekauft. Es werden auch die beiden ersten Bände für den Druck vorbereitet. Auf diese
Weise wird es möglich sein, jedes Jahr einen Band oder zwei Kartenbände druckfertig
1
K. Buczek: Stan i potrzeby badań nad dziejami kartografii polskiej, In: Problemy nauk pomocniczych historii
III. Materiały na III Konferencję poswięconą naukom pomocniczym historii, Katowice-Wisła, 29-31 V 1974, Katowice 1974, s. 148; M. Borowiejska-Birkenamjerowa, Dwie pierwsze austriackie mapy Galicji ze zbiorów Kriegsarchiv w Wiedniu jako źródło poznawcze, Sprawozdania z Posiedzeń Komisji Naukowych. PAN, 30, 1986, Nr. 1/2,
S. 236-238.
DIE HANDSCHRIFTLICHE TOPOGRAPHISCHE KARTE...
155
zumachen. Auf die gleiche Weise werden im nächsten Stadium die weiteren 213 Blätter
(Felder XIX-XXIX), die hauptsächlich die Territorien Rothreußen umfassen, druckfertig
gemacht.
Das oben genannte Projekt wird im Rahmen eines Forschungsstipendiums des Ministeriums für Wissenschaft und Hochschulen sowie mit organisatorischer Unterstützung
des Instituts für Geschichte der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Warschau
und des Wissenschaftlichen Zentrums der Polnischen Akademie der Wissenschaften
in Wien realisiert. Fachlich ist das Projekt an der Arbeitsstelle des Historisch-Geographischen Lexikons Kleinpolens des Instituts für Geschichte der Polnischen Akademie
der Wissenschaften in Krakau affiliiert, das in gewissem Grade eine Fortsetzung der
Kommission des Historischen Atlas Polens der Polnischen Akademie der Wissenschaften und Künste der Vorkriegszeit ist (der im Jahr 1983 verstorbene Prof. Karol Buczek war jahrelang Leiter der beiden Institutionen) und, im Besitz der entsprechenden
Quellenbasis für Siedlungsgeschichte, ist sie im Prinzip die einzige Institution, die für ine
fachlich-inhaltliche Durchführung dieses Projektes die entsprechenden Voraussetzungen
besitzt.
8. Zweifellos verleiht die Veröffentlichung der Karte der wissenschaftlichen Forschung auf dem Gebiet der Siedlungsgeschichte sowie der Kultur- und Naturwissenschaft eine neue Qualität und bringt auf diese Weise der Forschung in Polen wichtige
Impulse, sowohl in wissenschaftlicher Hinsicht (Geschichte, Ökologie, Geographie, Urbanistik, Forstwissenschaft etc.) als auch in praktischer gesellschaftsrelevanter Hinsicht.
Die Karte ist nämlich für die Wiedergabe und den Schutz der Kultur- und Naturwelt, für
die sich in den vergangenen Jahren lokale Gesellschaften engagieren, von unschätzbarem
Wert. Die Miegkarte ist, wie die bisherigen Untersuchungen beweisen, Ausgangspunkt
für die Analyse von Veränderungsprozesse der Umwelt, für Zukunftsprognosen sowie
für die Beurteilung der Geschwindigkeit dieser Veränderungen, des Erhalts bzw. der
Wiederherstellung ökologischer Werte, und sie wird auch zur Beurteilung des Zustandes der Umwelt von geschützten Gebiete genutzt (Nationalpark von Ojcow, Zapovednik Miodobory in der Ukraine in der Region des Flusses Sbrutsch auf der Hochebene
von Wolyn-Podolien)2. Zweitens handelt es sich - nach Ausgabe der Herausgeber - bei
der Edition um ein Denkmal der polnischen nationalen Kultur – als ein solches sollte
man die Miegkarte, trotz ihrer nichtpolnischen Provenienz, anerkennen. Sie wird auch
ausländischen Forschern als wichtige Informationsquelle über Polen dienen. Die bisherigen nationalen Editionen der josephinischen Karten (die slowenische, kroatische und
italienische Edition) gehören heute zu den prestigeträchtigsten (hinsichtlich ihrer prachtvollen grafischen Gestaltung) und auf dem Buchmarkt (sogar bereits auf dem antiquarischen Markt) gefragtesten Erwerbungen der kartographischen Abteilungen sämtlicher
bedeutender europäischer Bibliotheken. Die polnische Publikation hat also in zweierlei
2
A. Konias: Możliwości wykorzystania kartografii topograficznej Galicji (kartografia austriacka) w badaniach
zmian środowiska, Sprawozdania z Posiedzeń Komisji Naukowych PAU, 40/2, 1996, S. 95-97; Ders.: Ojcowski
Park Narodowy i Zapowiednik „Miodobory” w kartografii. (Zarys historyczny od 2. połowy XVIII w. do 1939 r.), in:
Z archeologii Ukrainy i Jury Ojcowskiej, Ojców 2001, S. 73-93.
156
WALDEMAR BUKOWSKI
Hinsicht große Bedeutung: sie ist von wissenschaftlicher Bedeutung für die Forscher
und von prestigeträchtiger Bedeutung für die polnische Kultur in Europa. Bedeutsam ist
auch das große Interesse an der Karte seitens der lokalen Verbände, was bereits jetzt den
Verkauf einer Auflage von voraussichtlich etwa 2000 Stück garantiert.
Übersetzung: Anna Gudra
Irmgard Nöbauer
Waldemar Bukowski ist am Institut für Geschichte der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Krakau beschäftigt und leitet die Arbeit an der Herausgabe des HistorischGeographischen Lexikons von Kleinpolen/Małopolska. Seine Forschungsinteressen gelten der Wirtschafts- und Sozialgeschichte Kleinpolens/Małopolskas im Spätmittelalter
sowie den historischen Hilfswissenschaften.
Jerzy Gaul
Polonica im Parlamentsarchiv Wien
(Zusammenfassung der Forschungen der Jahre
2002-2007)
Einführung
Die Untersuchung der Polonica in österreichischen Archiven, die in den Jahren 1998
- 2002 im Rahmen eines Abkommens zwischen der Generaldirektion des Polnischen Archivs in Warschau und der Generaldirektion des Österreichischen Staatsarchivs in Wien
durchgeführt wurde, konzentrierte sich hauptsächlich auf die Archivalien des Österreichischen Staatsarchivs3. Eine umfassende Darstellung der Polonica in Österreich erfordert aber auch die Berücksichtigung der nicht dem Bundeskanzleramt unterstehenden
Archive, insbesondere des Parlamentsarchivs in Wien, der Landesarchive, der Stadtarchive sowie der kirchlichen Archive4.
Sehr interessante Polonica befinden sich auch im Parlamentsarchiv in Wien. Die Geschichte des österreichischen Parlaments reicht bis zur Revolution im Jahr 1848 zurück.
Zu dieser Zeit, am 22. Juli 1848, entstand in Wien die erste parlamentarische Körperschaft auf dem Gebiet des heutigen Österreichs, die im Oktober in das mährische Kremsier
verlegt war. Im Jahre 1861 wurde nach der Ära des Absolutismus die parlamentarische
Tätigkeit wieder aufgenommen, die im Jahre 1918 mit dem Zerfall der Habsburgermonarchie zu Ende ging. Der Reichsrat in Wien bestand aus dem Herrenhaus und dem
Abgeordnetenhaus5.
Das Parlamentsarchiv untersteht der Parlamentsdirektion und gehört der Abteilung
„Parlamentarische Dokumentation, Archiv und Statistik“ an, für diese Abteilung ist Dr.
Günther Schefbeck zuständig. Das Parlamentsarchiv in Wien verwahrt u. a. politische
Akten sowie, wenngleich stärker skartiert, die Verwaltungsakten des Abgeordnetenhauses und des Herrenhauses des Reichsrates aus den Jahren 1861-1918, geordnet nach
dem Pertinenzprinzip in Sachgruppen6. Für die polnische Geschichte können diese BePolonica im Österreichischen Staatsarchiv 1772-1918, bearbeitet von Jerzy Gaul, Warszawa 2003.
J. Gaul, Polonica im österreichischen Staatsarchiv, “Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs“ (im
Druck).
5
O. Knauer, Das österreichische Parlament von 1848-1966, Wien 1969; J. Buszko, Polacy w parlamencie
wiedeńskim 1848-1918, Warszawa 1996; Das Österreichische Parlament, herausgegeben von der Parlamentsdirektion, Wien 1997, S. 67.
6
Einordnungs-Schema Archiv-Abgeordnetenhaus und Herrenhaus. Einordnungs-Schema der Archivalien
des Abgeordnetenhauses des Reichsrats, Wien 1888: 1. Reichsrat; 2. Staats- und Verfassungsrecht; 3. Staatshalt
(Budget); 4. Öffentliches Kreditwesen; 5. Staatskontrolls- und Rechnungswesen; 6. Allgemeine Finanzdarstellungen
und Finanzprojekte (Steuerreformprojekte); 7. Direkte Steuer; 8. Indirekte Steuer und Abgaben; 9. Zollwesen; 10.
Geldund Münzwesen, Maß und Gewicht, Punzierung, Eichwesen; 11. Bank- und Kreditwesen; 12. Nationalbank,
3
4
158
JERZY GAUL
stände somit unter zwei verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet werden: einerseits in
Hinblick auf die Beteiligung polnischer Parlamentarier an der Reichsgesetzgebung, was
in Ausschuss- und Plenarsitzungsprotokollen, aber auch in biographischen Fragebögen
dokumentiert ist, andererseits in Hinblick auf Verhandlungsgegenstände, die das Königreich Galizien und Lodomerien betreffen.
In den in den Jahren 2002 - 2007 durchgeführten Untersuchungen wurde einleitend
ein Teil des Abgeordnetenhauses unter dem Gesichtspunkt der Interpellationen polnischer Abgeordneter sowie weiterer Nationalitäten (auch ukrainischer), die von polnischen Abgeordneten unterstützt wurden oder Galizien betreffen, untersucht: ein Teil
der Archivalien des Präsidiums sowie der Kanzleidirektion des Abgeordnetenhauses
- 1 a. Kaiserliches Haus, Ministerien und Zentralstellen 1868-1918, u. a. Ernennungen, Enthebungen und Todesfälle; 1 b/1. Präsidium Präsidialregistratur 1861-1909; 20.
Sozialpolitik; 21. Verwaltung, Gemeinde, Heimatwesen; 22. Presserecht, Vereins- und
Versammlungsrecht; 23a. Hochschulen 23b. Mittelschulen, Fach- Gewerbeschulen;
23b. Volksschulen, Religionsunterricht; 24. Staatsdienst, Organisation und Behörden;
25. Kirchen- und Kultusangelegenheiten; 26. Heereswesen, Marine; 27a. Bürgerliches
Gesetzbuch, Ehesachen, Enteignung, 27b. Urheber-Recht, Handels- und Wechselrecht;
28a. Verfahren in und außer Streitsachen, Gerichtsverfassung etc.; 28b. Konkursordnung; 28c. Advokaten, Notare; 29. Strafrecht; 30. Strafprozess; 31. Bevölkerungswesen,
Volkszählung, Statistik, Auswanderung; 32a. Handels-, Zoll- und Schifffahrtsverträge;
32b. Verschiedene Verträge7.
Präsidium des Abgeordnetenhauses (1a, 1b/1)
In den Archivalien des Präsidiums wurde u. a. die Korrespondenz der Präsidenten
des Abgeordnetenhauses des Reichsrats Dr. Franz Smolka8 in Angelegenheiten des
Hofs, die Krönungsfeier in Pest unter Teilnahme der polnischen Abgeordneten Florian
Ziemiałkowski9, Mikołaj Zyblikiewicz10, Jan Czajkowski11 (Nr. 83) registriert. Weiters
wurde registriert: die Erhebung von Finanzminister Juliusz Dunajewski12 in den österreichischen Ritterstand, 12. Jänner 1881 (Nr. 993); die Amtsenthebung des Ministers des
österreichisch-ungarische Bank (Tilgung der Bankschuld); 13. Versicherungswesen, Sparkassen; 14. Gewehr, Industrie und Handel, Konsularwesen; 15. Transport- und Kommunikationswesen; 16. Post und Telegraphie, Portofreiheit; 17. Landes- und Bodenkultur; 18. Fideikommisse; 19. Lehen, Grundentlastung, Grundlasten, Propinationswesen, Contadinen und Colonenwesen; 20. Sozial-politische Gesetzgebung, Agrargesetzgebung (Agrarreform);
21. Politische Verwaltung; 22. Pressrecht, Vereins- und Versammlungsrecht; 23. Studien- und Unterrichtswesen;
24. Staatsdienst, Organisation und Behörden; 25. Kirchen- und Kultusangelegenheiten; 26. Heerwesen (Marine);
27. Zivilrecht (materielles); 28. Zivilrecht (formelles); 29. Strafrecht (materielles); 30. Strafrecht (formelles); 31.
Bevölkerungswesen (Volkszählung, Matrikenwesen und Statistik); 32. Internationale Angelegenheiten; 33. Bosnien
und Herzegowina; 34. Protokolle allgemeiner Ausschüsse.
7
J. Gaul, Polonika z lat 1961-1918 w Archiwum Parlamentu w Wiedniu, „Archeion”, Bd. CVIII, 2005, S.
353-371.
8
Smolka Franciszek Dr., Galizien, Reichsratsabgeordneter (R) 1848-1849, 1861-1885, Herrenhaus (HH)18851899.
9
Ziemiałkowski Florian Dr., Minister, Galizien, R 1848-1849, 1867-1869, 1873-1888, HH 1888-1900.
10
Zyblikiewicz Mikołaj, Rechtsanwalt, Galizien, R 1861-1874, HH 1879-1887.
11
Czajkowski Jan Dr., Rechtsanwalt, Galizien, R 1867-1871, 1873-1879, HH 1895-1897.
12
Dunajewski Julian Dr., Universitätsprofessor in Krakau, Galizien, R 1873-1891, HH 1892-1907.
POLONICA IM PARLAMENTSARCHIV WIEN...
159
k.u.k. Hauses und des Äuβern Agenor Grafen Gołuchowski13 und die Ernennung von
Alois Freiherrn Aerenthal zum Minister, 25. Oktober 1906 (Nr. 18471); die Betrauung
von Dr. Viktor Mataja mit der Leitung des Handelsministeriums, 17. November 1908
(Nr. 2725); die Ernennung von Dr. Stanislaus Głąbiński14 zum k. k. Eisenbahnminister,
13. Jänner 1911 (Nr. 1825); die Ernennung von Minister Dr. Leon Biliński15 zum gemeinsamen Finanzminister, 21. Februar 1912 (Nr. 1468), und seine Amtsenthebung, 9.
Februar 1915 (Nr. 4357); die Ernennung von Sektionschef Dr. Zdzisław von Morawski
Dzierżykraj zum Minister, 1. Februar 1915 (Nr. 4352).
Verwaltung, Gemeinde, Heimatwesen (21)
Die Einführung des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechtes im
Jänner 1907 wurde als großer Erfolg betrachtet16. Die Abgeordneten aus Galizien wandten sich daher entschlossen gegen die Wahlmissbräuche der Behörden. Die Anträge spiegelten auch die Spannungen zwischen der polnischen und der ukrainischen Bevölkerung
wider.
Das bestätigen die zahlreichen Interpellationen der Abgeordneten aus Galizien
während der XVIII. Session. Im Jahre 1908 betraf der Dringlichkeitsantrag (Nr. 946)
des Abgeordneten Dr. Petruszewicz17 die bei den Landtagswahlen durch die k. k. Behörden begangenen Wahlmissbräuche in Galizien, der Dringlichkeitsantrag (Nr. 947) der
Abgeordneten Wityk18 und Ostapczuk19 betraf durch den Statthalter Grafen Potocki20
begangene Wahlmissbräuche.
Die polnischen Abgeordneten reagierten auch auf die blutigen Ereignisse anlässlich
der Reichsratwahlen in Drohobycz am 19. Juni 191121. Der Dringlichkeitsantrag (Nr.
515) der Abgeordneten Diamand22, Daszyński23, Moraczewski und Liebermann24 vom
21. Juni 1911 betraf die bei den Reichsratwahlen in Drohobycz durch die Militärassistenz begangene Tötung und Verwundung zahlreicher Personen. Der Dringlichkeitsantrag (Nr. 516) des Abgeordneten Ernst Breiter25 vom 27. Juni 1911 betraf auch die in
Drohobycz verübten Mordtaten. Erwähnenswert ist außerdem der Antrag (Nr. 640) vom
10. Oktober 1911 des Abgeordneten Zygmunt Klemensiewicz26 und Genossen, der die
Entschädigung der durch das Militär und die Gendarmerie bei den Reichsratswahlen in
Drohobycz Verwundeten wie auch Angehörigen der Getöteten forderte.
Gołuchowski Agenor, Graf, HH 1871-1918.
Głąbiński Stanisław, Universitätsprofessor in Lemberg, Galizien, R 1901-1918.
15
Biliński Leon, Universitätsprofessor in Lemberg, Galizien, R 1879-1918.
16
W. Waldl, 100 Jahre allgemeines Wahlrecht in Österreich, „Carinthia I“, Bd. 197, Klagenfurt 2007, S. 45913
14
471.
Petruszewicz Eugeniusz, ruthenisch, Galizien, R 1891-1897, 1907-1918.
Wityk Semen, ruthenisch, Galizien, R 1907-1918.
19
Ostapczuk Jacko, ruthenisch, Galizien, R 1907-1911.
20
Potocki Andrzej, Statthalter, Galizien, ermordet im Jahre 1908.
21
A. Ajnenkiel, Historia Sejmu Polskiego, Bd. II, Teil 1. W dobie zaborów, Warszawa 1989, S. 143.
22
Diamand Herman Dr., Rechtsanwalt, Galizien, R 1891-1897, 1907-1918.
23
Daszyński Ignacy, Galizien, R 1897-1918.
24
Lieberman Herman Dr., Galizien, R 1891-1897, 1907-1918.
25
Breiter Ernest, Redakteur, Galizien, R 1885-1897, 1907-1918.
26
Klemensiewicz Zygmunt, Galizien, R 1911-1918.
17
18
160
JERZY GAUL
Nach der Wiederaufnahme der Beratungen des Reichsrates im Mai 1917 wurde der
Flucht der Zivilbevölkerung vor den russischen Truppen viel Aufmerksamkeit gewidmet.
Der Antrag (Nr. 250) vom 5. Juni 1917 der Abgeordneten Leo Lewicki27, Dr. Alexander
Kolessa28, Dr. Eugen Petruszewicz und Stefanyk29 betraf die Lage der ukrainischen
Evakuierten aus Galizien und Bukowina. Die Abgeordneten Dr. v. Halban30, Gall31,
Graf Lasocki32, Dr. Marek33 und Rauch34 intervenierten am 27. Juni 1917 (Nr. 362) in
Angelegenheiten der Flüchtlingsfürsorge35. Am 27. September 1917 legten die Abgeordneten Dr. Host Lewicki36, Stefan Onyszkiewicz37 und Dr. Lew Baczyński38 den Antrag (Nr. 621) betreffend den provisorischen Wiederaufbau der verwüsteten Gebiete Ostgaliziens, welche durch die erfolgreiche Sommeroffensive 1917 von der Russeninvasion
befreit wurden, vor. Der Antrag (Nr. 467) vom 2. Oktober 1917 der Abgeordneten Ritter
v. Haller39, der von Jaworski40, Śliwiński41, Głąbiński und Lubomirski42 unterstützt
wurde, betraf Ergänzungen beziehungsweise Abänderungen des Kriegsleistungsgesetzes
vom Jahre 1912 (RGBl 1).
Presserecht, Vereins- und Versammlungsrecht (22)
Im Rahmen meiner Untersuchungen wurden sehr viele Interpellationen in Angelegenheiten der Presse registriert43. Der Antrag (Nr. 117) der Abgeordneten Johann Resel44,
Josef Steiner und Genossen (u. a. Bojko45, Stapiński46, Daszyński) vom 20. Oktober
1899 betraf die Aufhebung des Kolportageverbotes von Druckschriften. Während der
XVII. Session im Jahre 1902 legten die Abgeordneten Reger47, Engelbert Pernerstorfer48 und Genossen (u. a. Daszyński und Olszewski49) den Antrag (Nr. 287) betreffend
die Aufhebung des Kolportageverbotes von Druckschriften vor. Der Dringlichkeitsan-
Lewicki Lew, ruthenisch, Galizien, R 1911-1918.
Kolessa Aleksander, ruthenisch, Galizien, R 1907-1918.
29
Stepanyk Wasyl, ruthenisch, Galizien, R 1911-1918.
30
Halban Alfred Dr., Universitätsprofessor in Lemberg, Galizien, R 1911-1918
31
Gall Rudolf, Großindustrieller, Galizien, R 1907-1918.
32
Lasocki Zygmunt Dr., Graf, Galizien, R 1911-1918
33
Marek Zygmunt Dr., Galizien, R 1911-1918.
34
Rauch Edmund, Galizien, R 1911-1918.
35
Z. Lasocki, Polacy w austriackich obozach barakowych dla uchodźców i internowanych (Wspomnienia z
czasów wojny światowej byłego posła do parlamentu austriackiego), Kraków 1929, S. 59.
36
Lewicki Kost, ruthenisch, Galizien, R 1907-1918.
37
Onyszkiewicz Stefan, griechisch-katholischer Geistlicher, ruthenisch, Galizien, R 1907-1918.
38
Baczyński Lew, Rechtsanwalt, ruthenisch, Galizien, R 1907-1918.
39
Haller von Hallenburg Cezary, Gutsbesitzer, Galizien, R 1911-1918.
40
Jaworski Władysław Leopold, Universitätsprofessor in Krakau, Galizien, R 1911-1918.
41
Śliwiński Hipolit, Galizien, R 1911-1918.
42
Lubomirski Andrzej, Galizien, HH 1888-1918.
43
Z. Lasocki, S. 135.
44
Resel Johann, Steiermark, R 1897-1901, 1905-1918.
45
Bojko Jakub, Wirtschaftsbesitzer, Galizien, R 1897-1918.
46
Stapiński Jan, Galizien, R 1907-1918.
47
Reger Tadeusz, Redakteur in Teschen, Galizien, R 1907, 1911-1918.
48
Pernerstorfer Engelbert, Niederösterreich, R 1885-1897, 1901-1918.
49
Olszewski Michał, Galizien, R 1901-1918.
27
28
POLONICA IM PARLAMENTSARCHIV WIEN...
161
trag (Nr. 1094) vom 25. Juni 1908 des Abgeordneten Ernest Breiter betraf die Verfolgung
der oppositionellen Presse in Galizien.
Der Antrag (Nr. 444) der Abgeordneten Zenker und Genossen (u. a. Klemensiewicz,
Diamand, Liebermann) vom 10. Juni 1917 betraf die Reform des Pressegesetzes. Der
Abgeordnete Zygmunt Klemensiewicz forderte im Antrag (Nr. 687) vom 26. September
1917 die Abänderung des § 30 des Vereinsgesetzes und die Zulassung von Frauen zur
Teilnahme an politischen Vereinen.
Hochschulen (23 a)
Die wichtigsten Interessengebiete der polnischen Abgeordneten waren die Angelegenheiten des Schulwesens, insbesondere der Universitäten Lemberg und Krakau, aber
auch Mittelschulen, Fach-Gewerbeschulen, Volksschulen und der Religionsunterricht in
West- und Ostgalizien sowie Schlesien.
Der Antrag (Nr. 290) des Abgeordneten Daszyński vom 21. Juli 1911 betraf die
Schaffung eines Gesetzes, womit die Autonomie der theologischen Fakultäten, die Aufhebung der theologischen Seminare und die Erklärung der theologischen Lehranstalten
zu privaten Unterrichtsanstalten verfügt werden sollte.
Die zahlreichen Interpellationen der polnischen und ukrainischen Abgeordneten betrafen die Aktivitäten der Hochschulen in Galizien. Am 29. Mai 1898 wurde ein Bericht
des Budgetausschusses (Nr. 1535), betreffend Aufbringung von Geldmitteln für die Errichtung eines neuen Gebäudes zur Unterbringung der ophtalmologischen Klinik der k.
k. Krakauer Universität, vorgelegt. In der Folge wurde im Jahre 1901 das Gesetz (Nr.
1511) betreffend Aufbringung der Geldmittel für die Herstellung der neuen Gebäude zur
Unterbringung dieser Klinik in Krakau angenommen. Der Antrag (Nr. 951) des Abgeordneten Dr. Doboszyński50 vom 10. Juni 1901 betraf die Errichtung zweier Gebäude in
Krakau zur Unterbringung des k. k. Universitätsinstitutes für Hygiene und der mit demselben verbundenen Untersuchungsanstalt für Lebensmittel.
Die Abgeordneten aus Galizien haben auch zur Entwicklung der Hochschulen im
Lemberg beigetragen. Das Gesetz (Nr. 713) betreffend die Aufbringung der Mittel zum
Bau eines anatomisch-physiologischen Institutsgebäudes für die Universität in Lemberg
wurde am 24. März 1893 angenommen. Da im Jahre 1894 eine neue Medizinische Fakultät entstand51, bemühten sich die galizischen Abgeordneten um die Schaffung der
dafür notwendigen materiellen Grundlage. Am 27. Jänner 1895 wurde das Gesetz (Nr.
1084) betreffend die Aufbringung der Mittel für den Bau von zwei Medizinischen Institutsgebäuden und eines Physikalischen Institutes für die Universität in Lemberg angenommen. In dieser Sache erstattete die Budgetkommission des Herrenhauses am 26. Juni
1895 einen Bericht (Nr. 482) betreffend Aufbringung der Mittel für den Bau von zwei
medizinischen Institutsgebäuden und eines physikalischen Institutes für die Universität
in Lemberg.
50
51
Doboszyński Adam Dr., Rechtsanwalt, Krakau, Galizien, R 1901-1907.
L. Podhorecki, Dzieje Lwowa, Warszawa 1993, S. 132.
162
JERZY GAUL
Die Anträge des Abgeordneten Dr. Ćwikliński52 vom 13. Dezember 1899 (Nr. 442)
und vom 20. Februar 1901 (Nr. 346) betrafen die Errichtung einer zweiten staatlichen
Untersuchungsanstalt für Lebensmittel und diverse Artikel des täglichen Bedarfs in Galizien, und zwar in Verbindung mit der medizinischen Fakultät der k. k. Universität in
Lemberg.
Neben der k. k. Universität gab es in Lemberg seit dem Jahr 1844 auch die k. und k.
Technische Akademie. Auf dieser Basis entstand im Jahr 1877 die k. und k. Technische
Hochschule, die bis 1918 bestand53.
Der galizische Landtag forderte am 13. Februar 1894 die Errichtung einer Fachabteilung für Berg- und Hüttenwesen54. Am 7. März 1900 wurde im Abgeordnetenhaus
ein Antrag (Nr. 532) von Dr. Roszkowski55 und Rojowski56 betreffend die Errichtung
einer Fachabteilung für Berg- und Hüttenwesen an der k. k. Technischen Hochschule in
Lemberg gestellt. Dieser Antrag wurde von Roszkowski und Rojowski am 12. Februar
1910 (Nr. 77) noch einmal vorgelegt. Am 27. Juni 1907 forderten die Abgeordneten Dr.
Głąbiński und Buzek57 in ihrem Antrag (Nr. 96) vom Minister für Kultus und Unterricht
die Errichtung einer Montanhüttenabteilung an der Polytechnischen Hochschule in Lemberg. Trotz zahlreicher weiterer Anträge entstand diese Abteilung bis 1914 leider nicht.
Es wurden nur Berg- und Hüttenkurse abgehalten58.
Erwähnenswert ist auch der Antrag (Nr. 668) des Abgeordneten Dr. Głąbiński vom
18. Oktober 1917 betreffend die Zulassung von Frauen zum chemisch-technischen Studium an der Polytechnischen Hochschule in Lemberg.
Sehr strittig waren in Galizien die ukrainischen Forderungen in Hochschulangelegenheiten. Im Jahre 1890 bekamen die Ukrainer einen Lehrstuhl für Literatur an der Universität Lemberg. Im Jahre 1908 wurden mit Unterstützung des Statthalters Michał Bobrzyński zwei weitere ukrainische Lehrstühle (Geografie und Zivilrecht) geschaffen59.
Da dies für die Ukrainer zu wenig war, forderten sie die Errichtung einer selbstständigen
ukrainischen Universität in Lemberg60. Der erste Antrag in dieser Sache wurde von den
Abgeordneten Romańczuk61 am 19. November 1901 eingebracht. Auch viele andere
Anträge in den Jahren 1909-1911, u. a. der Antrag (Nr. 117) vom 27. Juni 1907 der
Abgeordneten Dr. Dnistriański62 und Dr. Kolessa, betrafen die Errichtung einer selbstständigen ukrainischen Universität in Lemberg. Dieser Antrag (Nr. 219) wurde am 10.
März 1909 von den polnischen Abgeordneten, u.a. von Moraczewski und Liebermann,
Ćwikliński Ludwik Dr., Universitätsprofessor in Lemberg, Galizien, R 1897-1900, 1901-1902.
Z. Popławski, Dzieje Politechniki Lwowskiej 1844-1945, Wrocław-Warszawa-Kraków 1992, S. 65 ff.
54
Ebd., S. 114.
55
Roszkowski Gustaw Jan Dr., Universitätsprofessor in Lemberg, Galizien, R 1885-1911.
52
53
56
Rojowski Kazimierz, Galizien, R 1897-1900.
Buzek Józef, Universitätsprofessor in Lemberg, Galizien, R 1907-1918.
58
L. Podhorecki, Dzieje Lwowa..., S. 133.
59
J. Buszko, Polacy w Parlamencie..., S. 299.
60
K. Michalewska, Sprawa uniwersytetu ukraińskiego w latach 1848-1914, „Studia Historyczne”, Bd. 27,
1984, H. 1, S.35-59.
61
A. Ajnenkiel, S. 139.
62
Dnistriański Stanisław, Universitätsprofessor in Lemberg, ruthenisch, Galizien, R 1907-1918.
57
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unterstützt. Die Abgeordneten Moraczewski und Liebermann forderten am 28. Juli 1911
(Nr. 488) die Errichtung einer selbstständigen ukrainischen Universität in Lemberg. Im
Ersten Weltkrieg, am 15. Juni 1917, wurde noch einmal der Antrag der Abgeordneten Dr.
Kolessa, Dr. Dnistrianski und Genossen betreffend die Errichtung einer selbständigen
ukrainischen Universität in Lemberg eingebracht.
Mittelschulen (23 b)
In der Angelegenheit der Mittelschulen in Galizien wurden sehr viele Anträge angenommen. Am 10. November 1911 legte der Abgeordnete Dr. Alfred v. Halban den
Antrag (Nr. 1147) betreffend die mangelhafte Raumsituation zahlreicher galizischer Mittelschulen vor. In diesem Antrag (Nr. 557) forderte der Abgeordnete Dr. Okuniewski am
12. März 1900 die Errichtung einer ruthenischen Lehrerinnen-Bildungsanstalt in Ostgalizien. Der Antrag (Nr. 589) des Abgeordneten Dr. Ćwikliński vom 15. März 1900 betraf
die Regelung der Dienstzeit der Übungsschullehrer und der Lehrerinnen an den k. k.
Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalten. Der Abgeordnete Dr. Alfred v. Halban stellte
am 16. November 1911 einen Antrag (Nr. 1147) zur Neusystematisierung der erforderlichen Lehrstellen an den k. k. Mittelschulen in Galizien.
Die Abgeordneten stellten auch sehr viele Anträge, die die Mittelschulen in zahlreichen Orten in Galizien und österreichischen Schlesien betrafen. Die Abgeordneten
Reger und Daszyński legten am 3. Juli 1917 einen Antrag (Nr. 401) betreffend die Verstaatlichung des polnischen privaten Realgymnasiums in Biała in Galizien vor. Der
Antrag (Nr. 2570) des Abgeordneten Thomas Szajer63 vom 9. März 1906 betraf die
Errichtung einer Mittelschule im polnischen Bezirk Kolbuszowa.
Am 3. März 1896 brachte das Parlament das Gesetz (Nr. 1398) betreffend die Aufbringung der Mittel zur Herstellung eines Neubaues für das III. Staatsgymnasium in
Krakau ein – mit dem Ergebnis, dass das III. Staatsgymnasium im Jahr 1897 im neuen
Gebäude in der Sobieskistraße seine Tätigkeit aufnahm64.
Die zahlreichen Anträge betrafen die Entwicklung der Mittelschulen in Lemberg. In
seinen Anträgen verlangte der Abgeordnete Dr. Tomaszewski65 am 17. März 1909 (Nr.
367) und am 26. Oktober 1919 (Nr. 390) die Errichtung einer keramischen und elektrotechnischen Abteilung bei der k. k. Staatsgewerbeschule in Lemberg.
Dr. Tomaszewski forderte am 12. März 1909 (Nr. 274) sowie am 26. Oktober 1909
(Nr. 395) die Errichtung einer Staatsschule für gewerbliche Erziehung der Mädchen mit
polnischer Unterrichtssprache in Lemberg. Der Antrag (Nr. 1212) vom 15. März 1912
der Abgeordneten Dr. Głąbiński und Zamorski66 betraf die Errichtung einer k. k. Forstakademie in Lemberg.
Am 14. Februar 1896 wurde das Gesetz (Nr. 1382) betreffend die Aufbringung der
Mittel zum Ankauf eines eigenen Gebäudes für das Staats-Obergymnasium in Neu-Sandec und zur Adaptierung desselben eingebracht. Es wurden auch die Berichte der BudgetSzajer Tomasz, Galizien, R 1897-1918.
J. Bieniarzówna, J. Małecki, Dzieje Krakowa, Bd. 3, Kraków 1994, S. 295.
65
Tomaszewski Franciszek Dr., Galizien, R 1907-1911.
66
Zamorski Jan, Galizien, R 1907-1918.
63
64
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JERZY GAUL
kommission des Herrenhauses über die Regierungsvorlage betreffend die Aufbringung
der Mittel zum Ankauf eines eigenen Gebäudes für das Staats-Obergymnasium in NeuSandec vorgetragen.
Am 1. März 1901 legte der Abgeordnete Szajer und Genossen einen Antrag (Nr.
458), betreffend die Errichtung einer Staatsrealschule in der Stadt Rzeszów vor. Am 22.
Mai 1901 forderte er im Antrag Nr. 879 die Erteilung einer jährlichen Subvention für die
höhere Töchterschule in Rzeszów.
Der Antrag Nr 543 des Abgeordneten Kuryłowicz67 vom 26. November 1909 betraf
die Errichtung einer Fachschule für das Maschinenschlosserhandwerk in Sanok.
Paweł Stwiertnia68 forderte zweimal im Jahre 1909 (am 25. Jänner – Nr. 1332 und
am 16. März - Nr. 296) die Errichtung einer Gewerbeschule für Maschinenschlosserei
sowie für das Schmiedehandwerk in Stanislau69.
Der Abgeordnete Franciszek Krempa70 stellte am 29. September 1905 (Nr. 2432) und
am 22. November 1907 Anträge betreffend die Verhältnisse im Schulwesen in Galizien.
Die Anträge des Abgeordneten Dr. Ćwikliński vom 17. März 1900 (Nr. 345) und 20.
Februar 1901 (Nr. 601) betrafen die Errichtung einer maschinengewerblichen Fachschule mit Werkstättenbetrieb in Tarnopol. Am 12. März 1901 wurde vom Abgeordneten
Gładyszowski71 ein Antrag (Nr. 557) vorgelegt, dass „der Bau des ruthenischen Franz
Joseph-Gymnasiums in Tarnopol ehestens unternommen werde“. Der Antrag (Nr. 1147)
des Abgeordneten Gall vom 6. März 1912 betraf die Errichtung einer staatlichen Müllerschule in Galizien mit dem Standort in Tarnopol.
Am 30. Jänner 1913 forderte der Abgeordnete Bernhard Stern72 in seinem Antrag
(Nr. 1836) die Berücksichtigung der ersten Baurate für das neu zu errichtende Gebäude
des k. k. Staats-Gymnasiums in Tłumacz im Budget des k. k. Unterrichtsministeriums
im Jahr 1913.
Der Antrag Nr. 1773 des Abgeordneten Stwiertnia vom 28. April 1903 betraf die
Errichtung einer Gewerbeschule für Gerberei aus Staatsmitteln in der Stadt Tyśmienica
in Galizien, Bezirk Tłumacz.
Die Abgeordneten unterstützten den Ausbau der k. k. Lehrerbildungsanstalt in
Zaleszczyki. Der Antrag (Nr. 611) des Abgeordneten Dr. W. Ochrymowicz73 vom 9.
Dezember 1907 betraf die Errichtung einer Übungs-Musterschule bei der k. k. Lehrerbildungsanstalt in Zaleszczyki. In diesem Antrag (Nr. 1277) forderte der Abgeordnete
Bernhard Stern am 28. März 1912 den Bau eines entsprechenden Staatsgebäudes für die
Unterbringung der Lehrerbildungsanstalt in Zaleszczyki.
Kuryłowicz Włodzimierz, ruthenisch, Galizien, R 1911-1918.
Stwiertnia Paweł, Galizien, R 1897-1911.
69
J. Buszko, Polacy w parlamencie..., S. 254. Die Ukrainer forderten auch die Errichtung eines ukrainischen
Gymnasiums in Stanislau, das wurde aber vom Abgeordnetenhaus im Oktober 1903 abgelehnt.
70
Krempa Franciszek, Galizien, R 1897-1911.
71
Gładyszowski Emilian, Bezirksarzt, ruthenisch, Galizien, R 1901-1907.
72
Stern Bernard, Galizien, R 1911-1918.
73
Ochrymowicz Włodzimierz, Galizien, R 1907-1911.
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68
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Der Antrag (Nr. 1128) des Abgeordneten Kubik74 und Genossen vom 10. Dezember
1901 betraf den Bau und die Eröffnung einer Realschule im Bezirk Żywiec und der Zuweisung des Antrages ohne erste Lesung an die Schulkommission.
Viele polnische Abgeordnete kämpften für die Erweiterung der Sprachenrechte der
polnischen Bevölkerung im österreichischen Schlesien75. Am 5. Oktober 1897 wurde der
Antrag (Nr. 148) von den Abgeordneten Dr. Danielak76 betreffend die Verstaatlichung
des polnischen Privatgymnasiums in Teschen vorgelegt. Ähnliche Anträge stellten die
Abgeordneten Kubik, Szajer, Robert Cena77, Stanisław Stojałowski78 und Jan Zabuda79, und am 20. Februar 1901 (Nr. 344) die Abgeordneten Kubik, Antoni Bomba80,
Maciej Fijak81, Szajer und Andrzej Wilk82 am 22. November 1899 (Nr. 425).
Am 29. März 1901 wurde der Antrag (Nr. 711) des Abgeordneten Kubik vorgelegt,
der die Verstaatlichung des polnischen Gymnasiums in Teschen sowie eine eventuelle
Erhöhung der Dotation desselben von 16.000 Kronen und die Vorlage dieses Antrages
ohne erste Lesung an die Budgetkommission betraf. Am 22. Juli 1907 legten die Abgeordneten Reger und Kunicki83 den Antrag (Nr. 368) betreffend die Errichtung einer k. k.
Lehrerbildungsanstalt mit polnischer Unterrichtssprache in Teschen vor.
Resultat der Bemühungen der polnischen Abgeordneten aus Schlesien war der Antrag (Nr. 1369) betreffend die mangelhafte Unterbringung des k. k. Staats-Gymnasiums
mit polnischer Unterrichtssprache in Teschen, am 7. Mai 1912 von Josef Londzin84, 85.
Auch die Idee der Errichtung einer Staatsrealschule mit polnischer Unterrichtssprache in Schlesien war sehr lebendig. Dies forderten die Abgeordneten Daszyński und Kunicki in den Jahren 1908-1909. Am 25. Jänner 1909 unterstützte auch der Abgeordnete
Londzin diesen Antrag (Nr. 1340).
Am 17. März 1910 wurde von den Abgeordneten Dr. Kunicki und Daszyński ein
Antrag (Nr. 805) betreffend Verstaatlichung des polnischen Realgymnasiums in Orlau in
Schlesien vorgelegt. Dieser Antrag wurde von den Abgeordneten Reger und Daszyński
am 28. Juli 1911 (Nr. 485) und am 3. August 1917 (Nr. 398) unterstützt.
Die Anwesenheit der verschiedenen Volksgruppen in Schlesien zog die Interpellationen ihrer jeweiligen Vertreter nach sich. Die tschechischen Abgeordneten Cingr86 und
Pospisil forderten in den Jahren 1908-1909 (am 15. Juli 1908 – Nr. 1133 sowie am 10.
Kubik Jan, Galizien, R 1897-1907, 1911-1918.
A. Ajnenkiel, S. 143-144.
76
Danielak Michał Dr., Redakteur, Galizien, R 1897-1907.
77
Cena Robert, Landwirt, Galizien, R 1897-1900.
78
Stojałowski Stanisław, Galizien, R 1897-1900, 1907-1911.
79
Zabuda Jan, Galizien, R 1897-1900.
80
Bomba Antoni, Grundbesitzer, Galizien, R 1901-1918.
81
Fijak Maciej, Grundbesitzer, Galizien, R 1901-1911.
82
Wilk Andrzej, Galizien, R 1901-1907.
83
Kunicki Ryszard Paweł Dr., Galizien, R 1907-1911.
84
Londzin Józef, Geistliche, Galizien, R 1907-1918.
85
A. Ajnenkiel, S. 143-144.
86
Cingr Peter, Redakteur in Mährische Ostrau, Böhmen, R 1897-1918.
74
75
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Oktober 1909 – Nr. 629) die Errichtung einer Staatsgewerbeschule mit tschechischer
Unterrichtssprache in Polnisch-Ostrau.
Am 16. Jänner 1873 und am 19. September 1875 erschienen die Erlässe des schlesischen Landesschulrates betreffend die Einführung des utraquistischen Unterrichts in
den polnischen Schulen in Schlesien. Laut dieser Erlässe wurde in den höheren Klassen
der polnischen Volksschulen (gewöhnlich von der IV. bis VI. Klasse) ausschließlich die
deutsche Sprache als Vortragssprache eingeführt. Dies verursachte bei der polnischen
Bevölkerung große Aufregung.
Der Antrag (Nr. 831) der Abgeordneten Daszyński und Kunicki vom 14. April 1910
betraf die Abschaffung des sogenannten utraquistischen Unterrichts in den polnischen
Schulen in Ostschlesien. Die Abgeordneten stellten den Antrag, dass das Hohe Haus
beschließen wolle: „Die Regierung wird aufgefordert, die Erlässe des schlesischen Landesschulrates vom 16. Jänner 1873 und 19. September 1875, Z. 3229, wodurch die Utraquisierung der polnischen Schulen in Schlesien eingeführt wurde, aufzuheben und in den
polnischen die polnische Vortragsprache in allen Klassen zuzuweisen“.
Volksschulen (23 b)
Die Abgeordneten waren an einer Änderung des Reichsvolksschulgesetzes sehr interessiert. Werner Schrammel und Daszyński stellten am 28. Oktober 1899 einen Antrag
(Nr. 236) betreffend die Änderung des Reichsvolksschulgesetzes vom 14. Mai 1869. Am
27. Juni 1907 (Nr. 60) forderten die Abgeordneten Seitz, Nemec, Diamand, Pittoni und
Wityk die Aufhebung der Schul- und Unterrichtsordnung. Der Abgeordnete August Sehnal forderte am 16. Dezember 1901 (Nr. 1158) die Errichtung einer zweiklassigen Schule
mit polnischer Unterrichtsprache für die polnischen Analphabeten in Mährisch-Ostrau.
Staatsdienst, Organisation und Behörden (24)
Die polnischen Abgeordneten beschäftigten sich nicht nur mit der großen Politik,
sondern auch mit Angelegenheiten, die die einfachen Bürger in den Gebieten des ehemaligen Polens betrafen. Sie nahmen mehrfach Stellung zur Regelung der Dienstverhältnisse und der Bezüge verschiedener Gruppen von Staatsangestellten. Sie stellten
Anträge betreffend die Erhöhung der Gehälter der k. k. Staatsbeamten, z. B. den Antrag
(Nr. 669) vom Jahre 1911 des Abgeordneten Śliwiński und Genossen, betreffend die
Notlage der Staatsbeamten und Staatsbediensteten in Galizien, und den Antrag (Nr. 28)
vom 21. März 1898 des Abgeordneten Grafen Piniński87 und Genossen, betreffend das
Inkrafttreten der Gesetze, die sich auf die Erhöhung der Gehälter der k. k. Staatsbeamten, Professoren, Lehrer und Staatsdiener sowie finanzielle Einbußen des Klerus unter
gleichzeitiger Annahme einer entsprechenden budgetären Bedeckung. Die polnischen
Abgeordneten berücksichtigten jedoch auch eine weitere Gruppe von Staatsangestellten
in Galizien, wie z. B. der Antrag (Nr. 1108) vom 2. Dezember 1901 des Abgeordneten
Dr. Opydo88 betreffend die Regelung des Dienstverhältnisses der bei den politischen Behörden als provisorische Amtsdiener bzw. Aushilfsdiener in Verwendung stehenden Personen zeigt. Der Antrag (Nr. 2394) vom 28. Juni 1905 des Abgeordneten Ernest Breiter
87
88
Piniński Leon, Graf, Galizien, R 1889-1898, HH 1903-1918.
Opydo Franciszek Dr., Galizien, R 1901-1907.
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betraf die Regelung der Stellung und der Bezüge des im Rechnungs- und Kanzleimanipulationsdienste in den k. k. Ämter und Anstalten in Verwendung stehenden weiblichen
Hilfspersonals.
Die polnischen Abgeordneten interessierten sich auch für die Arbeits- und Lohnverhältnisse. Am 19. Dezember 1907 legte der Abgeordnete Jędrzej Moraczewski89 den
Antrag (Nr. 690) betreffend Verbesserung der Arbeits- und Lohnverhältnisse der staatlichen Salinenarbeiter in Kalusz vor. Der Antrag (Nr. 550) der Abgeordneten Schrammel,
Moraczewski, Abram und Wityk vom 27. April 1909 betraf die Verbesserung der Arbeits - und Lohnverhältnisse der staatlichen Salinenarbeiter in Österreich. Der Abgeordnete Ernst Breiter forderte am 16. November 1911 (Nr. 909) die Schaffung einer zweiten
Arztstelle bei der k. k. Tabakfabrik in Monasterzyska (Galizien).
Kirchen- und Kultusangelegenheiten (25)
Die polnischen Abgeordneten beschäftigten sich auch mit den Angelegenheiten der
katholischen Kirche in Galizien. In Zusammenhang mit dem Gesetz betreffend die Religionsverhältnisse im Allgemeinen sowie der Kirchen- und Religionsgenossenschaften
im Besonderen, waren Petitionen, die konfessionelle Angelegenheiten betrafen, eingegangen, u.a. die Petition vom 12. Mai 1862 (Nr. 1882) der katholischen Vereine in Lemberg gegen den Gesetzesentwurf über konfessionelle Angelegenheiten.
Der Antrag (Nr. 209) vom 20. Oktober 1897 der Abgeordneten Dr. Danielak und
Szponder90 betraf die Ausscheidung des Fürstentums Teschen aus der preußischen
Diözese Breslau.
In seinem Antrag (Nr. 2568) vom 9. März 1906 forderte Tomasz Szajer die Versorgung der Organisten bei den lateinischen Pfarrkirchen in Galizien aus dem Religionsfonds. Mit dieser Sache beschäftigte sich am 26. Juni 1917 auch Dr. Matakiewicz91 in
seinem Antrag (Nr. 351) betreffend eine rasche und ausgiebige materielle Hilfeleistung
seitens der Regierung zugunsten der Organisten in Galizien.
Die Abgeordneten von Galizien berücksichtigten auch die Angelegenheiten der griechisch-katholischen Kirche. Die Anträge (Nr. 156 vom 3. Oktober 1898 und Nr. 111 vom
20. Oktober 1899) der Abgeordneten Szponder und Genossen betrafen die Erteilung
einer entsprechenden Dotation aus Staatsmitteln zur Aufbesserung der Lage der Organisten bei den lateinischen Pfarrkirchen sowie der so genannten Diaken (Chorsänger) bei
den griechisch-katholischen Pfarrkirchen in Galizien.
Heereswesen, Marine (26)
Sehr viele Interventionen der polnischen Abgeordneten geschahen nach der Wiederaufnahme der Beratungen am Ende des Ersten Weltkrieges. Die Abgeordneten aus Galizien engagierten sich in Angelegenheiten der Militärgerichtsbarkeit, der Ermöglichung
des Wiederaufbaues Galiziens durch die Entlassung aller zum Wiederaufbau notwendigen aus Galizien stammenden Landsturmmänner aus dem Militärdienst bzw. die Enthe-
Moraczewski Jędrzej, Galizien, R 1891-1897, 1907-1918.
Szponder Andrzej, Geistlicher, Galizien, R 1897-1900, 1907-1911.
91
Matakiewicz Antoni Dr., Galizien, R 1911-1918.
89
90
168
JERZY GAUL
bung und Beurlaubung der zur Besorgung der Landwirtschaft notwendigen Bauern vom
Militärdienst.
Der Antrag (Nr. 777) der Abgeordneten Dr. Liebermann und Genossen betraf die Bewährung der so genannten Belagerungszulage für die während der Belagerung in Przemyśl seinerzeit in dienstlicher Eigenschaft zurückgebliebenen Staatsangestellten. Die
Abgeordneten Graf Lasocki, Dębski, Ritter v. Haller, Klemensiewicz und Stesłowicz
forderten (Nr. 229) am 6. Juni 1917 die Erhöhung des Unterhaltsbeitrages für Angehörige von Mobilisierten.
Es wurden auch Anträge betreffend Beurlaubung und Entlassung verschiedener
Gruppen der Bevölkerung aus der Armee eingebracht. Der Antrag (Nr. 290) vom 15. Juni
1917 des Abgeordneten Witos betraf die Enthebung und Beurlaubung der zur Besorgung
der Landwirtschaft notwendigen Bauern vom Militärdienste. Die Abgeordneten Witos,
Jachowicz92, Dylo93, Rusin94 und Genossen brachten am 14. Juni 1917 den Antrag
(Nr. 327) in der Angelegenheit der Versetzung der im Hinterlande und im Etappenraume anderer Kronländer tätigen und aus Galizien stammenden Landsturmmänner in ihr
Heimatland ein. Zygmunt Klemensiewicz stellte am 23. September 1917 einen Antrag
(Nr. 602) betreffend die Entlassung unheilbar Kranker und Invalider aus der Armee.
Die Abgeordneten Witos, Dylo und Genossen (Nr. 824) forderten die Enthebung der
Volksschullehrer sowie der Volksschulleiter vom Militärdienst. Am 4. Dezember 1917
stellte Dr. Sigismund Marek einen Antrag (Nr. 864) betreffend der Ermöglichung des
Wiederaufbaues Galiziens durch die Entlassung aller zum Wiederaufbau notwendigen
aus Galizien stammenden Landsturmmänner vom Militärdienst, die das 36. Lebensjahr
überschritten haben.
Die Abgeordneten intervenierten auch hinsichtlich der Versorgung der zivilen Kriegsinvaliden und deren Angehörigen. Am 26. Juni 1917 stellten die Abgeordneten Dr.
Matakiewicz, Dr. Tertil und Witos einen Antrag (Nr. 349), der die Gewährung von staatlichen Unterhaltsbeiträgen an Zivilpersonen in Galizien betrifft, die infolge von Kriegsoperationen ihre Erwerbsfähigkeit teilweise oder gänzlich eingebüßt hatten, sowie
an Familienmitglieder, die von Zivilpersonen unterhalten wurden, welche infolge von
Kriegsoperationen ihr Leben beziehungsweise ihre Erwerbsfähigkeit eingebüßt haben.
Der Antrag (Nr. 640) des Abgeordneten Dr. Matakiewicz vom 2. Oktober 1917 betraf
die Versorgung der Zivilkriegsinvaliden und deren Angehörigen. Die Abgeordneten Graf
Zygmunt Lasocki, Otto Glöckel95 und Alois Konecny96 forderten am 5. Dezember 1917
in ihrem Antrag (Nr. 867) die provisorische Regelung der Versorgungsgenüsse für Invalide. Der Antrag (Nr. 1088) vom 26. Juni 1918 der Abgeordneten Grafen Lasocki und
Genossen betraf die Abänderung des § 3 des Gesetzes vom 27. Juli 1917 und die Neuregelung des Unterhaltsbeitrages für die Dauer des gegenwärtigen Krieges.
Jachowicz Józef, Gutsbesitzer, Galizien, R 1907-1918.
Dyło Tomasz, Landwirt, Galizien, R 1914-1918.
94
Rusin Józef, Galizien, R 1911-1918.
95
Glöckel Otto, Lehrer und Beamter, Böhmen, R 1907-1918.
96
Konecný Alois, Mähren, R 1911-1918.
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Von großer Bedeutung in den Anträgen waren die Angelegenheiten der kriegsbedingten Erschwernis der Lebensbedingungen für die Bevölkerung der Donaumonarchie.
Der Antrag (Nr. 933) vom 6. Februar 1918 der Abgeordneten Tetmajer97, Witos, Długosz, Bojko, Dr. Banaś98 und Ruebenbauer99 betraf die Aufhebung des Kriegsgebietes
in Galizien. Erwähnenswert ist auch der Antrag (Nr. 346) vom 22. Juni 1918 des Abgeordneten Dr. Banaś in der Angelegenheit der Anlegung einer Statistik über die Leiden der
Bevölkerung der Monarchie im Krieg sowie über den Anteil der einzelnen Länder an den
Kriegslieferungen und Vorlage dieser durch die Regierung festzustellenden Daten an das
Abgeordnetenhaus.
Der Antrag (Nr. 1134) vom 22. Juni 1918 der Abgeordneten Dr. Waldner100, Hauser101, Stanek102, Tertil, Seitz103, Korošec104, Petruszewicz, Wassilko, Isopescul105, Głąbiński, Daszyński und Genossen betraf die Vorfälle an der Südwestfront. Im Antrag (Nr.
1158) vom 24. Juli 1918 erkannten die Abgeordneten Stanek, Dr. Korvoser und Głąbiński die Ausführungen des Landesverteidigungsministers über die letzten militärischen
Operationen für ungenügend und forderten am 24. Juli 1918 (Nr. 1159) die Vorlage des
stenographischen Protokolle über die militärischen Operationen an Seine Majestät.
Bürgerliches Gesetzbuch, Ehesachen, Enteignung (27)
Die Abgeordneten von Galizien beschäftigten sich mehrmals mit Angelegenheiten
des Bürgerlichen Gesetzbuches. Der Antrag (Nr. 1789) vom 5. Mai 1903 des Abgeordneten Stwiertnia und Genossen betraf die Änderung des Artikels VII des Gesetzes vom
20. Juli 1894, RGBl Nr. 168, bezüglich gleichmäßiger Behandlung des Bahnpersonales
bezüglich des Rentenausmaßes im Falle einer Betriebsverletzung sowie Zuerkennung
einer einmaligen Entschädigung an den Verletzten für jede infolge einer ärztlichen Operation verlorene Extremität. Der Abgeordnete Szajer brachte am 12. März den Antrag
(Nr. 273) betreffend Abänderung und Bestimmung des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches über die gesetzlichen Bestimmungen bei Erkrankungen von Tieren ein. Der
Antrag (Nr. 1000) vom 1. Dezember 1911 des Abgeordneten Biś106 und Genossen betraf
die Änderung der Bestimmungen des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches über die
Absicherung der Rechte von Käufern bei Beeinträchtigungen von angekauftem Vieh.
Zivilrecht, Strafrecht (28-30)
Die polnischen Abgeordneten brachten auch die Interpellationen in Streitsachen in
Galizien ein. Die zahlreichen Anträge betrafen auch die Einrichtung und den Bau der
Amtsgebäude für die Bezirksgerichte.
Tetmajer Włodzimierz, Galizien, R 1911-1918.
Banaś Antoni Dr., Richter, Galizien, R 1911-1918.
99
Ruebenbauer Adam, Galizien, R 1907-1918.
100
Waldner Viktor, Kärnten, R 1907-1918.
101
Hauser Johann, Pfarrer, Oberösterreich, R 1908-1918.
102
Stanĕk Franciszek, Mähren, R 1904-1918.
103
Seitz Karl, Niederösterreich, R 1901-1918.
104
Korošec Anton Dr., Steiermark, R 1906-1918.
105
Isopescul-Grecul Konstantin Dr., Universitätsprofessor in Czernowitz, Bukowina, R 1907-1918.
106
Bis Jan, Landwirt, Galizien, R 1911-1915.
97
98
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Der Abgeordnete Wiącek107 forderte im Antrag (Nr. 606) vom 28. April 1909 die
Errichtung eines Bezirksgerichtes in Radomyśl am San. Der Antrag (Nr. 743) vom 11.
Juni 1909 des Abgeordneten Ciągło108 betraf den Bau eines Amtsgebäudes für das Bezirksgericht in Stary Sącz.
Stanisław Bieniowski109 forderte im Antrag (Nr. 807) vom 12. März 1910 die Errichtung eines Bezirksgerichtes in Chorostków, Bezirk Husiatyn.
Die Anträge vom 14. Dezember 1910 (Nr. 1085) und vom 16. Juni 1911 (Nr. 363) der
Abgeordneten Anton Bomba und Dr. Stanisław Biały betrafen die Errichtung eines k. k.
Bezirksgerichts in Błażowa, Bezirk Rzeszów, in Galizien.
Die Abgeordneten Lubomirski und Jachowicz forderten (Nr. 429) im Juli 1908 die
Errichtung von Bezirksgerichten in Żołynia und Kańczuga in Galizien.
Der Antrag (Nr. 323) vom 22. Juli 1907 der Abgeordneten Stwiertnia und Genossen
betraf den Bau von Wohnhäusern für die Aufseher der k. k. Strafanstalt in Stanislau.
Die Abgeordneten Krempa und Genossen (u. a. Stapiński, Bojko, Daszyński) forderten am 28. Oktober 1899 (Nr. 237) eine Amnestie für die im Jahre 1897 auf Grund der
Ausschreitungen bei den Reichratswahlen in Ostgalizien Verurteilten. Auf diese Angelegenheit kamen auch Dr. Okuniewski und Genossen (u.a. Szponder, Stapiński, Bojko,
Stojałowski) im Antrag (Nr. 463) vom 16. Dezember 1899 betreffend Begnadigung der
wegen Wahlexzessen in Ostgalizien verurteilten Bürger zurück.
Der Abgeordnete Breiter hat am 16. Oktober 1902 einen Dringlichkeitsantrag (Nr.
1483) eingebracht, die Dringlichkeit dieses Antrages wurde jedoch in der Sitzung des
Abgeordnetenhauses vom 30. Oktober 1902 abgelehnt. Demnach wurde dieser Antrag
nach § 18 und § 20 der Geschäftsordnung behandelt: „Die Regierung wird aufgefordert,
eine Revision aller Strafprozesse, welche gegen streikende Bauern in Galizien durchgeführt wurden, sofort anzuordnen“.
Der Antrag (Nr. 883) vom Jahre 1917 des Abgeordneten Grafen Lasocki und Genossen betraf die Entschädigung der unschuldig Verhafteten und Internierten beziehungsweise deren Hinterbliebene sowie die Familienangehörigen unschuldig Hingerichteter110.
Bevölkerungswesen, Volkszählung, Statistik, Auswanderung (31)
Der Antrag (Nr. 307) des Abgeordneten Taniaczkiewicz111 und Genossen (u. a. Szajer, Cena, Stojałowski) vom 16. November 1899 betraf eine Durchführungsnorm für die
bevorstehende Volkszählung im Jahre 1900 bezüglich Galiziens.
Große Aufmerksamkeit richteten die Abgeordneten auf Fragen, die Emigration und
Auswanderung betrafen. Im November 1911 stellten der Abgeordnete Georg Graf Baworowski112 und Genossen (u. a. Halban, Jaworski, Gołuchowski, Bojko, Matakiewicz)
einen Antrag (Nr. 966), die Stellung von Berichterstattern für das Auswanderungswesen
Wiącek Wojciech, Galizien, R 1907-1911.
Ciągło Tomasz, Landwirt, Galizien, R 1907-1911.
109
Bieniowski Stanisław, Galizien, R 1907-1911.
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Z. Lasocki, S. 145.
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Taniaczkiewicz Daniło, ruthenisch, Galizien, R 1897-1900.
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Baworowski Jerzy, Graf, Gutsbesitzer, Galizien, R 1911-1918.
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POLONICA IM PARLAMENTSARCHIV WIEN...
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betreffend. Am 13. März 1912 stellte Dr. Banaś den folgenden Antrag (Nr. 1190): die k.
k. Regierung wird aufgefordert, dahin zu wirken, dass an der k.u.k. Konsularakademie
ein ständiges besonderes Kolleg über Auswanderung und Auswanderungspolitik eingeführt und die Führung dieses Kollegs einer Fachkraft anvertraut werde.
Handels-, Zoll- und Schifffahrtsverträge; Verschiedene Verträge (32)
Im Parlamentsarchiv sind auch jene Akten aufbewahrt, die die Tätigkeit der parlamentarischen Ausschüsse unter der Leitung der polnischen Abgeordneten (Leon Chrzanowski113, Konstanty Czartoryski114, Julian Dunajewski, Włodzimierz Kozłowski115, Stefan Onyszkiewicz, Leon Piniński, Seweryn Smarzewski116, Stanisław Wysocki117, Filip
Zaleski118) dokumentieren, die sich mit Angelegenheiten von Handels-, Zoll- und Schifffahrtsverträgen sowie anderen Verträgen und Übereinkommen beschäftigen.
Die Verträge betrafen auch die Regulierung der Grenzen mit den Teilungsmächten
Russland und Preußen. Am 24. März 1871 (Nr. 331) wurde der Bericht der Kommission
für Staatsverträge über den Vertrag vom 20. August 1864 mit der kaiserlich-russischen
Regierung wegen der Regulierung des Weichselstromes und des Sanflusses in den Grenzstrecken zwischen dem Kaiserreich Österreich und dem Königreich Polen vorgelegt.
Dazu kam der Bericht des Finanzausschusses (Nr. 14), deren Berichterstatter Zublikiewicz war.
Im Jahre 1899 wurde die Regierungsvorlage (Agenor Gołuchowski) des Staatsvertrags vom 19. Jänner 1898, betreffend die Regulierung der österreichisch-preußischen Landesgrenze längs des Przemszaflusses in der Strecke von Słupna bis zu dessen
Einmündung in die Weichsel diskutiert (Nr. 271 und 423).
Der Bericht des Ausschusses (Nr. 1025) vom 7. Februar 1864 betraf den Antrag (Nr.
751) des Abgeordneten Dr. Zublikiewicz und Genossen, u. a. Będkowski119, Bocheński120, Dobrzyński121, Horodyski122, Grocholski123, Gutowski124 und Rogawski125 wegen
der Prüfung der Gesetzeskraft beziehungsweise Erläuterung der Verordnung des k. k.
Justizministeriums vom 19. Oktober 1860, betreffend der Bestrafung der Vorkommnisse
gegen die Sicherheit des russischen Staates, und über die diesem Ausschuss am 12. Jänner d. J. zur Berichterstattung zugewiesene Petition (Nr. 917) aus Galizien. Die Petition
wurde von Maria Tarnowska, Anna Tarnowska, Julia Hallerowa, Jadwiga Sapieżyna,
Oktawia Lewakowska, Maria Lewakowska und Albin Czerwiński unterzeichnet.
Chrzanowski Leon, Gutsbesitzer und Schriftsteller, Galizien, R, 1867-1870, 1873-1879, 1891-1899.
Czartoryski Konstanty, Fürst, Gutsbesitzer, Galizien, HH 1867-1891.
115
Kozłowski Włodzimierz Dr., Galizien, R 1885-1917.
116
Smarzewski Seweryn, Gutsbesitzer, Galizien, R 1848-1849,1871-1888.
117
Wysocki Stanisław, Gutsbesitzer, Galizien, R 1885-1891, 1897-1898.
118
Zaleski Filip, Graf, Minister, Galizien, R 1885-1897, HH 1897-1911.
119
Będkowski Nikodem Dr., Arzt, Galizien, R 1848-1849, 1861-1865.
120
Bocheński Alojzy, Gutsbesitzer, Galizien, R 1861-1865, 1873-1879.
121
Dobrzański Aleksander, griechisch-katolische Pfarrer, Galizien, R 1861-1865.
122
Horodyski Tomasz, Gutsbesitzer, R 1861-1865, 1867-1885.
123
Grocholski Kazimierz, Gutsbesitzer, Galizien, R 1861-1888.
124
Gutowski Julian, Notar, Galizien, R 1861-1865.
125
Rogawski Karol, Gutsbesitzer, Galizien, R 1861-1865, 1867-1870.
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JERZY GAUL
Der Bericht des Steuerausschusses über die Regierungsvorlage (Nr. 2435) vom 29.
September 1905 betraf die zu Zwecken des Landesgesetzes für das Königreich Galizien
und Lodomerien mit dem Großherzogtum Krakau vom 17. Februar 1905, L.D und V. Bl.
Nr. 40, zur Errichtung von Rentengütern gewährten staatlichen Begünstigungen.
Die bisher im Parlamentsarchiv in Wien durchgeführten Untersuchungen und die bei
diesen Recherchen registrierten Polonica des Zeitraums von 1848 bis 1918 bestätigen
die vielfältige und fruchtbringende Tätigkeit der polnischen Abgeordneten in den Bereichen Politik, Kultus, Unterricht, Staatsdienst, Verwaltung und Justiz.
Die zahlreichen allgemeinen und dringlichen Anträge der Abgeordneten aus Galizien und Schlesien erlaubten es, auf aktuelle Ereignisse zu reagieren. Es muss betont
werden, dass sich die polnischen Abgeordneten neben der „großen“ Politik auch mit
dem Alltagsleben und mit Angelegenheiten des Landes beschäftigten. In Friedenszeiten
beschäftigten sie sich mit neuen Volks- und Gewerbeschulen, Mittel- und Hochschulen,
den Bau von Gerichten usw. In den Jahren 1917-1918 kämpften sie für eine Verbesserung der Lage der Zivilbevölkerung. Sie waren unnachgiebig, was die zahlreichen und
wiederholten Anträge in denselben Angelegenheiten zeigen.
Um die Untersuchungen im Parlamentsarchiv in Wien zu einem Abschluss zu bringen, müssen noch die restlichen Sachgruppen im Archiv des Abgeordnetenhauses sowie
der gesamte Bestand des Herrenhauses des Reichsrates überprüft werden. Dies erst wird
es ermöglichen, ein umfassendes Bild von der Tätigkeit der Abgeordneten aus Galizien
und Schlesien zu erhalten.
Jerzy Gaul ist Absolvent der Universität Warschau und Dozent im Hauptarchiv der Alten Akten (Archiwum Główne Akt Dawnych) in Warschau, dem polnischen Staatsarchiv,
sowie Professor an der Uniwersytet Humanistyczno-Przyrodniczy Jana Kochanowskiego
in Kielce. Seine Forschungsinteressen gelten der Archivistik (österreichische Kanzleibüros, Polonica in österreichischen Archiven), der Geschichte des XX. Jhdt. (I. Weltkrieg, die Politik Józef Piłsudskis) sowie der Publizistik (Zeitgeschichte).

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